Polizeiruf aus Magdeburg:Finster wie das Leben

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Ein Ständchen für Ronny: Im Frühstücksraum des Kinderheimes feiert er Geburtstag - kurz darauf ist Ronny verschwunden. (Foto: Stefan Erhard/MDR)

Wer hat nicht aufgepasst? Der Polizeiruf "Ronny" als Philosophie über Menschen, die sich gegenseitig schrecklich alleinlassen können.

Von Holger Gertz

Ganz am Anfang schon sucht der zehnjährige Ronny Kontakt, aber findet ihn natürlich nicht. Ein Schlüsselmoment in diesem sehr starken Magdeburger Polizeiruf - und eine Frage, die trauriger nicht sein könnte: "Hallo Mama, ich hab doch heut Geburtstag. Hast du das vielleicht vergessen?" Kurz danach ist Ronny weg, sein Verschwinden setzt eine Lawine von Emotionen, Erkundigungen, Selbstbefragungen in Gang. Wer hat nicht aufgepasst? Wer hat versagt? Die Heimleiterin, in deren Obhut der Junge doch war. Die Mutter, aus der Spur geraten und noch immer nicht stabil genug, um den Jungen zu schützen. Die Kommissarin, die wie jede Kommissarin antritt, die Welt ein bisschen besser zu machen. Und die, wie jede Kommissarin, an diesem Vorsatz scheitert und deren Ohnmacht aber selten so nachfühlbar ist wie diesmal. Wer hat nicht aufgepasst? Wer hat versagt?

Alle natürlich. Und mal wieder auch die Technik. Denn in Zielitz ist die Kamera am Bahnhof außer Betrieb. Und die Frau von der Wasserrettung - halb Mensch, halb Apparat - findet den Jungen nicht, vor allem findet sie keine passenden Worte: "Wenn der im Hafen abgesoffen ist, dann liegt er wie'n Stein auf Grund. Bei den Temperaturen dauert das Wochen, bis der hochpoppt. An Ihrer Stelle würde ich mal über einen Wasserleichenhund nachdenken." Für diese Analyse aus der Kältekammer fängt sie sich fast ein paar Schläge von der Kommissarin Doreen Brasch, die sich nicht anders zu helfen weiß.

Die Männer sind Verdächtige, vielleicht Opfer, vielleicht Spurenverwischer

Denn die Figuren reden in diesem hochspannenden Film von Barbara Ott (Buch: Jan Braren) nicht nur miteinander, sie interagieren, mit Handlungen, Blicken, mit Wut und manchmal auch mit Wortlosigkeit. Brasch (Claudia Michelsen), die Heimleiterin Kleinschmid (Maja Schöne), Ronnys Mutter Sabine (Ceci Chuh) sind alle auf ihre Art Gefangene eines Dramas um ein verschwundenes Kind, das nur Erloschene zurücklässt. Die Frauen stehen im Mittelpunkt, alle spielen präzise. Die Männer sind Verdächtige, vielleicht Opfer, vielleicht Spurenverwischer, aber die Frauen sind untereinander und mit sich selbst im Clinch, ihr Beteiligtsein wird nicht herbeigeredet, sondern erspielt, damit wird es greifbar. Wer hat versagt? Wer hat nicht aufgepasst? Eine Philosophie über Menschen, die sich gegenseitig schrecklich alleinlassen können. Für jenen Teil des Publikums, der Krimis immer nur danach beurteilt, ob sie denn auch schön hell ausgeleuchtet sind, wird's mal wieder zu dunkel sein. Aber "Ronny" ist genauso finster wie das Leben.

Polizeiruf 110, Sonntag, 20.15 Uhr, Das Erste.

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