Bundestag:Angst schweißt zusammen

Bundestag: "Ihre bigotte Arroganz ist unübertroffen": Der Parlamentarische Geschäftsführer der Linken, Jan Korte, hat die Ampelkoalition scharf kritisiert.

"Ihre bigotte Arroganz ist unübertroffen": Der Parlamentarische Geschäftsführer der Linken, Jan Korte, hat die Ampelkoalition scharf kritisiert.

(Foto: Frederic Kern/IMAGO/Future Image)

Noch nie haben die Abgeordneten der Linken der CSU so viel Beifall gespendet wie vor dem Votum über das Wahlrecht.

Von Robert Roßmann, Berlin

Alexander Dobrindt hat in seinem politischen Leben einiges erlebt, derlei aber noch nie. Seit mehr als 20 Jahren sitzt der CSU-Landesgruppenchef schon im Bundestag. Als er ins Parlament einzog, nahm Angela Merkel gerade Friedrich Merz den Vorsitz der Unionsfraktion ab. Seitdem ist im Plenarsaal viel passiert. Die Kanzlerin ist inzwischen im Ruhestand, Merz nach einigen Umwegen wieder Fraktionschef. So etwas hat man aber in der ganzen Zeit noch nicht gesehen: Dobrindt steht am Rednerpult - und bekommt ständig Applaus aus der Linksfraktion.

Der Bundestag ist an diesem Freitag zusammengekommen, um über die Änderung des Wahlrechts zu beraten. Die Ampelkoalition wolle damit nicht den Bundestag verkleinern, sondern die Opposition, schimpft Dobrindt. Ein Akt der Respektlosigkeit sei das. Mit der Abschaffung der Grundmandatsklausel wolle die Koalition "die Linke aus dem Parlament drängen" und "mit einer offensichtlichen Freude das Existenzrecht der CSU infrage stellen". Dieser "Versuch der Wahlrechtsmanipulation" sei ein "großes Schurkenstück".

Dobrindts Rede ist eine Attacke auf die Koalition - und sie scheint den Linken großartig zu gefallen. Von der Fraktionschefin in der ersten Reihe bis zu den Hinterbänklern klatschen fast alle. Ein Redner der SPD wird später hämisch sagen, Dobrindt sei wie der Generalsekretär einer neuen Christlich Sozialistischen Union aufgetreten.

Aber vorher spricht Jan Korte, der Parlamentarische Geschäftsführer der Linken. Die CSU sei eine in Bayern tief verwurzelte Partei, sagt Korte. Es sei gut, dass auch eine solche regional verankerte Partei im Bundestag vertreten sei. Umso schlimmer sei es, dass die Ampel jetzt mit einem "hingerotzten" Antrag "mal eben kurz zwei Oppositionsparteien aus dem Bundestag politisch eliminieren" wolle. Unten im Plenum klatscht Dobrindt. Und auch Merz zwei Plätze neben ihm hat seine Freude.

Im Bundestag gibt es häufig härtere Debatten, aber an diesem Tag geht es besonders heftig zu

"Ihre bigotte Arroganz ist unübertroffen", sagt Korte mit Blick auf die Ampel-Abgeordneten. "Wenn Viktor Orbán und Jarosław Kaczyński sich ihre eigenen Wahlrechte zimmern, dann twittern Sie sich die Finger wund und machen eine Mahnwache - Sie machen nichts anderes als in diesem Geiste heute eine Wahlrechtsreform."

Im Bundestag gibt es häufig härtere Debatten, aber an diesem Tag geht es besonders heftig zu. Das ist bei dem Thema aber auch kein Wunder: Das Wahlrecht ist so etwas wie das Wettbewerbsrecht zwischen den Parteien - da geht es ans Eingemachte. In diesem Fall ist das Eingemachte vor allem die Grundmandatsklausel. Die Ampelkoalition will den Bundestag mit der Wahlrechtsänderung von derzeit 736 auf 630 Abgeordnete verkleinern. Dabei schafft die Ampel auch die Grundmandatsklausel ab. Sie besagt, dass eine Partei, die an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert ist, trotzdem in den Bundestag einziehen darf, wenn sie mindestens drei Direktmandate gewonnen hat. Die Linke sitzt nur wegen dieser Klausel mit 39 Abgeordneten im Bundestag. Und für die CSU war sie bisher eine Überlebensgarantie - bei der letzten Wahl ist sie bundesweit lediglich auf 5,2 Prozent gekommen. Dank der Grundmandatsklausel würde die CSU auch im Bundestag vertreten bleiben, wenn sie irgendwann unter die Fünf-Prozent-Hürde rutschen sollte. Das alles erklärt die überraschende CSU-Linken-Allianz.

Es ist eine Allianz, die der Ampelkoalition an diesem Tag gehörig auf die Nerven geht. Denn SPD, Grüne und FDP sind nicht ganz zu Unrecht stolz darauf, dass ihnen gelingt, was der großen Koalition nicht gelungen ist. Vor allem wegen des Widerstands der CSU hat die Groko nie eine wirksame Verkleinerung des Bundestags zustande gebracht. Und jetzt spuckt ausgerechnet diese CSU große Töne - ärgern sie sich in der Ampel.

"Ich wusste nicht, dass die CSU die Fünf-Prozent-Hürde fürchtet", ätzt die Fraktionschefin der Grünen, Britta Haßelmann. Außerdem sei die Kritik der CSU scheinheilig, da auch das bayerische Wahlrecht vorschreibe, dass Wahlkreissieger nur dann in den Landtag einziehen dürfen, wenn ihre Partei die Fünf-Prozent-Hürde übersprungen habe. Auch deshalb möchte sie sich nicht "von der Regionalpartei CSU" vorschreiben lassen, wie das Wahlrecht aussehen soll. Sebastian Hartmann, der für die SPD das neue Wahlrecht verhandelt hat, ärgert sich außerdem über den Ton, den die CSU anschlägt. Dass die CSU den Gesetzentwurf der Ampel als "organisierte Wahlfälschung" verurteilt habe, sei unwürdig. Er, Hartmann, sei jedenfalls stolz darauf, an der Wahlrechtsänderung mitgewirkt zu haben. Der Bundestag zeige damit, dass er sich selbst beschränken könne. Die anderen Ampel-Abgeordneten sahen es dann mit großer Mehrheit ebenso. Der Bundestag billigte den Gesetzentwurf mit 399 Ja-Stimmen bei 261 Nein-Stimmen und 23 Enthaltungen.

Als im Plenum alles vorbei war, luden Dobrindt und Merz zu einer kurzen Pressekonferenz. Man wolle die gerade beschlossene Wahlrechtsreform per Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht zu Fall bringen, kündigten die beiden an. Der Streit geht also weiter.

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