Debatte um künstliche Befruchtung:Neue Polen braucht das Land

Debatte um künstliche Befruchtung: Polnisches Baby nach der Geburt: Die Opposition hat den unerfüllten Kinderwunsch vieler Paare als Wahlkampfthema entdeckt.

Polnisches Baby nach der Geburt: Die Opposition hat den unerfüllten Kinderwunsch vieler Paare als Wahlkampfthema entdeckt.

(Foto: Jaap Arriens/picture alliance / NurPhoto)

Im Nachbarland herrscht Geburtenschwund. Aktivisten und Opposition fordern staatliche Unterstützung für künstliche Befruchtungen - doch die erzkonservative Regierung hat andere Pläne.

Von Viktoria Großmann, Warschau

Die jüngste Statistik wies einen neuen Tiefpunkt aus. In Polen leben nur noch 37,8 Millionen Menschen und es werden immer weniger. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs gab es kein Jahr, in dem weniger Kinder geboren wurden als 2022. Aktivisten haben dazu einen Vorschlag: "Ja zu In vitro" heißt eine Petition, die bisher etwa 300 000 Menschen unterschrieben haben und die in dieser Woche dem polnischen Parlament, dem Sejm, vorgelegt werden soll. Gefordert wird eine staatliche finanzielle Unterstützung für Kinderwunschbehandlungen, einschließlich der In-vitro-Fertilisation, bei der Eizelle und Samenzelle außerhalb des Körpers im Reagenzglas verschmolzen werden. 500 Millionen Złoty jährlich, etwa 106 Millionen Euro, solle sich die Regierung diese Art Neubürgerprogramm kosten lassen.

Das In-vitro-Gesetz geht in Polen zwar weiter als etwa in Deutschland, statt drei dürfen bis zu sechs Eizellen befruchtet werden - sogar noch mehr, wenn die Frau älter als 35 Jahre ist -, und das Paar muss nicht verheiratet sein. Aber eben alles selbst bezahlen. Es sei denn, es lebt zum Beispiel in Breslau, Warschau oder Bydgoszcz, wo die Städte die Behandlung subventionieren.

Künstliche Befruchtung als "Menschenzucht" verunglimpft

Trotz der liberalen Gesetzeslage lehnt die rechtsnationale PiS-Regierung künstliche Befruchtungen öffentlich ab - ganz im Sinne ihrer wichtigsten Verbündeten, der katholischen Kirche. Vergangenen Sommer etwa wurden aus der Opposition heftige Vorwürfe gegen den Bildungsminister laut, weil ein neues Schulbuch künstliche Befruchtung als "Menschenzucht" beschrieb und infrage gestellt wurde, dass irgendjemand "solche Kinder lieben" könne.

Die Petition bezieht sich nun auf ein Programm, das es zwischen 2013 und 2016 schon gab - aufgelegt von der Regierung unter Donald Tusk, der heute die Opposition anführt. Infolge dessen seien immerhin 22 000 Kinder geboren worden, sagen die Befürworter. Die PiS hatte nach ihrem Wahlsieg 2015 ein eigenes Programm für Paare mit Kinderwunsch aufgelegt, das die In-vitro-Behandlung nicht mehr unterstützt. Kaum waren die ersten drei Förderjahre herum, hatte eine Oppositionspolitikerin der PiS vorgerechnet, dass sich nur 294 Schwangerschaften ergeben hätten.

Initiiert wurde die aktuelle Petition denn auch von Tusks Partei. Das zeigt auch, woher der Wind eigentlich weht: weniger von der schon etwas alten Sorge, dass die Polen immer weniger werden. Eher von der neuen Sorge, im Wahlkampf zu unterliegen. Und da ist es gerade der ultrakonservative Kurs der PiS, der christlich-konservativen Parteien wie der Bürgerplattform von Tusk plötzlich liberale Ansichten eingibt. Die Partei verspricht nun früher Undenkbares, nämlich, Schwangerschaftsabbrüche bis zur zwölften Woche zu legalisieren. Abtreibungen sind in Polen seit 2020 nur noch in extremen Ausnahmen erlaubt. Zu mehr Geburten hat das bislang nicht geführt.

Der kinderlose und unverheiratete PiS-Parteivorsitzende Jarosław Kaczyński gab vergangenen Herbst vor laufenden Kameras seine eigene Erklärung für die sinkende Geburtenrate ab: Die jungen Polinnen tränken einfach zu viel Alkohol. Die Petenten halten ihre Antwort ebenfalls schlicht: "In vitro bedeutet Menschen", lautet ihr Slogan.

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