Missbrauch im Sport:Warum ein Ex-Wasserspringer den Deutschen Schwimm-Verband verklagt

Missbrauch im Sport: Jan Hempel, ehemaliger Weltklasse-Wasserspringer.

Jan Hempel, ehemaliger Weltklasse-Wasserspringer.

(Foto: Henning Kaiser/dpa)

Der frühere Profisportler Jan Hempel fordert Schmerzensgeld und Schadensersatz in Millionenhöhe - und spricht von insgesamt 1200 sexuellen Übergriffen durch seinen damaligen Trainer.

Von Sebastian Winter

Der frühere Wasserspringer Jan Hempel will den Deutschen Schwimm-Verband (DSV) auf Schmerzensgeld und Schadensersatz in Millionenhöhe verklagen. Das berichtet die Sportschau. Hempel hatte in der ARD-Dokumentation "Missbraucht" im vergangenen August seinem mittlerweile verstorbenen Trainer Werner Langer jahrelangen sexuellen Missbrauch vorgeworfen. In der Klage soll es demzufolge um die schier unglaubliche Zahl von 1200 sexuellen Übergriffen gehen, die Hempel seinem Trainer Langer anlastet. "Die Organisation Deutscher Schwimm-Verband hat völlig versagt in der Überwachung und in der Kontrolle seiner Trainer", sagte Hempels Anwalt Thomas Summerer in der Sportschau. "Es gab nur Vertuschung. Dieses Organisationsverschulden führt dazu, dass ein Verband haftet." Der Olympiamedaillen-Gewinner und viermalige Europameister Hempel wollte sich selbst nicht weiter zu dem Fall äußern.

Der DSV teilte am Sonntagmorgen mit, dass "über Entschädigungszahlungen oder finanzielle Unterstützung von Geschädigten beraten" wurde. Hilfsmöglichkeiten finanzieller Art seien für gemeinnützige Sportverbände nach aktueller Rechtslage aber begrenzt. "Wir sind daher mit anderen Institutionen wie dem BMI, dem DOSB oder auch Athleten Deutschland bereits im Austausch darüber, wie die Möglichkeit eines angemessenen materiellen Ausgleichs aussehen könnte", sagte DSV-Vizepräsident Wolfgang Rupieper.

Hempel hatte nach eigenen Angaben die Verbandsspitze 1997 von den Vorgängen unterrichtet, sei aber auf eine Mauer des Schweigens gestoßen. Nachdem die Vertuschungsvorwürfe ans Licht kamen, suspendierte der DSV noch während der Schwimm-EM in Rom im vergangenen August Bundestrainer Lutz Buschkow, der von den damaligen Übergriffen gegen Hempel gewusst, aber nichts dagegen unternommen haben soll. Buschkow hingegen erklärte, damals nichts von Hempels Vorwürfen gewusst zu haben.

Auch Marbaise macht Vorwurf öffentlich

Seit dem 1. März arbeitet ein vom DSV beauftragtes unabhängiges Gremium Missbrauchsfälle im deutschen Schwimmen auf. Die Kommission werde sich laut DSV-Funktionär Rupieper mit "allen in der ARD-Dokumentation im August 2022 benannten Fällen" beschäftigen. Allerdings soll ihr Bericht erst in einem Jahr vorliegen.

Hinzu kommt nun ein weiterer Fall: Der ehemalige Aachener Wasserspringer Franz Marbaise machte in der Sportschau am Sonntag den Vorwurf eines sexuellen Übergriffs durch einen Trainer öffentlich. Ende der Sechzigerjahre sei dieser im Umfeld des Aachener Traditionsvereins SV Neptun erstmals erfolgt. Marbaise sagte, Jan Hempel habe ihn durch dessen mutigen Schritt dazu bewegt, sein eigenes Schweigen zu brechen. Damals habe man ihm bei einer Aussprache mit dem Beschuldigten, einem Vereinsverantwortlichen und seinen Eltern nicht geglaubt. Der inzwischen hochbetagte Beschuldigte ist nach ARD-Informationen nicht befragungsfähig. Er sei zugleich eine enge Bezugsperson der inzwischen verstorbenen Bundestrainerin Ursula Klinger gewesen. Sie gehört zu jenen DSV-Funktionären, die in der Verantwortung standen, als Jan Hempel über viele Jahre missbraucht worden war.

Hempel, 51, hatte zuvor versucht, sich mit dem DSV außergerichtlich zu einigen - ohne Erfolg. "Wir sind auf ein Schweigekartell gestoßen", sagt sein Anwalt Summerer, der vom "krassesten Missbrauchsfall, den der deutsche Sport je erlebt hat" spricht und die grundlegende Bedeutung des anstehenden Verfahrens hervorhebt: "Der Fall hat auf jeden Fall Präzedenzcharakter." Auch weil er sich nicht an den unmittelbar Beschuldigten richtet, der nicht mehr verurteilt werden kann, sondern an einen Verband, zu dessen wichtigsten Aufgaben es gehört, seine Athletinnen und Athleten vor Missbrauch zu schützen.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusSchiedsrichteraffäre
:Der tiefe Fall des FC Barcelona

Barça wollte immer "mehr als ein Klub" sein: eine moralische Instanz . Nun ermittelt Spaniens Generalstaatsanwalt wegen Millionenzahlungen an einen Schiedsrichterfunktionär. Der Skandal hat das Zeug zur Staatsaffäre.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: