Performance:Misogynes Rumpelstilzchen

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Verzweifeltes Männchen: Olaf Becker in der Rolle eines gekränkten Rumpelstilzchens, nachdem ihm die Müllerstochter eine Abfuhr erteilt hat. (Foto: Stephanie Zimmer)

Mit "Männchen" präsentiert Martin Kindervater im Schwere Reiter ein böses Märchen über ideologisch motivierten Frauenhass.

Von Anna Nowaczyk

Hummer zählen gemeinhin nicht zu den Königstieren, in "Männchen" jedoch werden sie zum großen Vorbild eines Königs. Mit ihnen versucht er, männliche Überlegenheit zu erklären, schwadroniert von Naturgesetzen und zitiert wirre Statistiken.

Für sein neues Stück "Männchen", das am Freitag im "Schwere Reiter" Premiere feierte, ist Martin Kindervater in die Welt der "Incels" eingetaucht. Incel ist die Selbstbezeichnung frustrierter Männer, die sich von Frauen zurückgewiesen fühlen und die Schuld dafür der weiblichen Emanzipation zuschieben. Der Regisseur verwebt ihre Ideologien mit dem Märchen "Rumpelstilzchen", was erschreckend gut funktioniert. Ein lieber, aber hässlicher Gnom entwickelt sich zunehmend zum Frauenhasser, ohne dabei plakativ böse zu sein: Mit seiner lustigen Art gewinnt er immer wieder Sympathien - nicht zuletzt, weil er mit niedlicher Kinderschürze selbstgebackene Kekse im Publikum verteilt. Olaf Becker setzt diesen Widerspruch hervorragend schauspielerisch um. Den unschuldigen Vorschlag, dass man sich "ja mal auf einen Kaffee treffen könnte", spricht er mit derart starrendem Blick aus, dass jegliches Mitgefühl für den Gnom - zumindest kurzfristig - verschwindet.

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Weniger ambivalent sind da schon die Müllerstochter Stacy (Monja Vojacek Koper) - ein Name, der in Incel-Foren regelmäßig für verhasste, weil unerreichbare Frauen benutzt wird - und der König (Paul Furtwängler). Während sie sich in ein glamouröseres Märchen träumt, denkt er gelegentlich immer noch darüber nach, warum er als Prinz kein Kleid tragen durfte. Beide akzeptieren jedoch mehr oder weniger schicksalsergeben ihren Platz im Patriarchat, wodurch die schleichende Radikalisierung des Gnoms gelungen hervorgehoben wird.

Die größte Stärke ist jedoch Gülbin Ünlü, die als stille Erzählerin durch das Stück führt und mit an die Bühnenwand projizierten Videoschnipseln ein Tor zur Welt der Männlichkeit eröffnet. In ihm entlädt sich schließlich auch ein reizüberflutendes Märchenfinale, das gekonnt auf die Moral der Geschichte verzichtet.

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