Rattlesnake Saloon:Harte Jungs und einsame Herzen

Rattlesnake Saloon: "Es ist nicht schwer, im Rollstuhl zu leben", sagt Bruno Theil, hier in seinem Rattlesnake Saloon in Feldmoching. "Es ist die Hölle."

"Es ist nicht schwer, im Rollstuhl zu leben", sagt Bruno Theil, hier in seinem Rattlesnake Saloon in Feldmoching. "Es ist die Hölle."

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Dort, wo sich Fuchs, Has' und ordentliche Bürger "Gute Nacht" sagen, ist das Schlangennest in der Fasanerie, auch "Rattlesnake Saloon" genannt, Münchens legendärer Country-Schuppen.

Ursula Auginski

Vor dem Eingang in der Schneeglöckchenstraße kreuzt eine schwarze Katze den munteren Schritt und maunzt gereizt: diese knorrige Holztür, ist sie der Weg in die ewige Country-Hölle? Schließlich heißt "rattlesnake" übersetzt "Klapperschlange"! Drinnen aber säuselt friedlicher Country-Mainstream vom Band, an der Abendkasse sitzen ein paar Freaks, fordern pro Gast zehn Euro Lösegeld - pardon: Eintritt für die Live Band, die demnächst aufspielen wird. "Wir sind ein Club, dafür darfst du hier rauchen", erklärt lächelnd ein kräftiger Country-Junge. Sein Dresscode ist fachgerecht: Jeans, kariertes Oberhemd, Hosenträger.

Plastikcolt und Sheriffhut

Der im Karo-Jersey ist Bruno Theil, 50 Jahre alt und knapp die Hälfte seines Lebens Wirt des Rattlesnake Saloon. Bedächtig streicht er das Geld seiner Gäste ein und fährt sich über den Bart. Ein stolzer Preis, mag man denken, doch der Wirt erklärt ruhig: "Ich zahl' sowieso oft drauf, auch wenn die Bands niedere Gagen nehmen."

Und die Gäste, die kommen, sind willig: es sind eingefleischte Country-Fans, wie jener, der allen Ernstes einen Plastik-Revolver im Colt-Gürtel trägt und Plastikpatronen im Plastikpatronengürtel. "Macht nix, Spaß muss sein", lacht der junge Mann und schiebt sich leutselig den Sheriff-Hut in den Nacken. Sympathisch ist es allemal, das Country-Völkchen.

Ein kleines Volk ist es tatsächlich: cirka zwei Prozent in Deutschland mache die Country-Szene aus, sagt Bruno. Um diesen Mini-Prozentanteil zu kämpfen, sei hartes Brot, aber er mache es gerne. Bruno hat manchmal bis zu hundert Telefonate am Tag, kennt jede - zumindest jede bezahlbare - Band Deutschlands, viele in Europa und natürlich in Amerika und Kanada.

Wenn jemand Überblick über die Country-Szene vor allem auf Kleinkunst- und Hobbyebene hat, dann ist das Bruno, der alljährlich in Country-Land Station macht: im Mittleren Westen, im Südwesten oder in den Südstaaten Amerikas. Denn hier dringt aus allen Ecken und Enden Country-Musik - ein Paradies für Bruno. Deshalb hat er in New Mexico inzwischen seinen zweiten Wohnsitz.

Kein Gelalle

Country-Musik ist Volksmusik im besten Sinn, weit entfernt vom "Gelalle" Freddy Quinns oder Gunter Gabriels, und sehr differenziert: da gibt es Classic Country, Nashville, Mississippi-Dixieland, Rock-a-Billy, Country-Jazz, Country-Rock, New Country, Bluegrass, Texas Blues. Aber auch Hillbilly, der Ursprung des Country Musik aus den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts mit der obligatorischen Besetzung: Banjo, Fiddle, Steel Guitar und Mundharmonika.

Im tiefsten Süden wird Zydeco auf dem Waschbrett gerubbelt und Cajun gefiddelt, beides Country-Versionen der frankophonen Bevölkerung in Louisana. Und in den dortigen Tanzhallen und Kneipen wird grundsätzlich auch eine heiße Sohle aufs Parkett gelegt. Alle Spielarten haben das ganze Jahr über ihren Auftritt im Rattlesnake, die Bands kommen aus Deutschland, Europa und Übersee - ein Bandbreite, die sich gewaschen hat. Aber Bruno bleibt cool: ist alles zu schaffen, sagt er gelassen und lächelt wieder dieses ruhige, freundliche Bruno-Lächeln. Der nächste Gast trabt an: "10 Euro bitte."

Im Sommer ist nicht ganz so viel los wie im Winter. Dann kann man sich in der schwülen Hitze der Nacht an den langen Tischreihen, die, inspiriert durch den beliebten Line Dance vertikal zur Bühne hin aufgestellt sind, schon mal verlieren: Lost in Rattlesnake - bei Kerzenlicht, Zigarette im Mundwinkel und einem einsamen Glas Jack Daniels am Riesenlangtisch mag man den heutigen Auftritt von "Hardy Dayvidson" durchaus genießen. Heute tun dies so um die 20 Gäste. Hat was vom Stil eines Lonesome Rider.

Hardy Dayvidson - Bikerfan, wie der Künstlername nicht undeutlich suggeriert - serviert heute "Country-Classics". Der 58-Jährige mit dem grauen, bayerisch nach oben geschwungenen Schnurrbart und dem gut gekämmten langen Haar unterm Cowboyhut nennt sich "Gentleman" der Country-Szene. Auch er findet seinen prozentualen Anteil im Publikum. Der "Gentleman" ist schon oft in Texas unterwegs gewesen, vor allem in El Paso, an der Grenze zu Mexiko. "Amerika, Mexiko - ich bin Borderliner, sozusagen". 1976 verlegte Hardy seinen Lebensmittelpunkt nach München - seine Tochter wurde hier geboren. Verschmitzt erklärt er über Mutter und Tochter: "Die Ladys wohnten hier."

Wenig Aggressionen

Back to Bruno: am Kassiertisch, der gleichzeitig Stammtisch ist, sind Dieter, Polizeihauptmeister der Inspektion 43, und sein Kumpel Jimmy, eingetroffen. Dieter ist von Beginn an Stammgast, auch die Inspektion hat hier schon gefeiert. Seit einem halben Jahr war Dieter nicht mehr da: "Hüftoperation, aber alles gut gelaufen", sagt der Wachmann und räsonniert ein wenig über Krankheiten. "Hier ist nie was gewesen, drogenmäßig oder so," bekräftigt Dieter diensteifrig, "deshalb kann ich hier auch ganz beruhigt hingehen." Bruno nickt beifällig. Den Laden hat er sauber gehalten all die Jahre. Aber das Country-Volk sei sowieso eher fröhlich und friedlich, ohne zuviel Suff, ohne Drogen: "Wenig Aggressionen", lobt Dieter.

Gepokert wird hier auch: Dann zeigen die "Rattlesnake Poker Torpedos" so manchem Pokerface, wo der Hammer hängt. Ab und zu legt der Verein "Crazy Legs" eine heiße Dance-Sohle aufs Parkett. Bleibt zu erwähnen, dass Bruno auch selbst aufspielt: seine Band heißt "The Bajou Brothers" und spielt vor allem melancholische Songs. "Bajou - das sind diese vielen kleinen Sümpfe und Flüsse in Louisiana, erklärt Bruno. Und ein Tropfen Sehnsucht spiegelt sich in seinen Augen.

Draußen in der Schneeglöckchenstraße ist es tiefste Sommernacht geworden. An einem Vorgartenteich-Arrangement blinken rote und blaue Lämpchen, am Himmel blinken ein paar Sterne. Aus einem offenen Fenster dringt der Song "Moonriver". Die verstehen wohl doch was von der Melancholie im Country-Land, diese Münchner. Auch wenn sich die meisten hier schon "Gute Nacht" gesagt haben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: