Liebeslieder damals und heute:"Bitte gib mir nur ein Wort"

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Popmusik von heute ist viel romantischer als deutsche Schlager von damals. Dafür sind ihre Sänger trauriger: So viel Liebeskummer gab es früher nie.

Von wegen Liebesschnulzen: Aktuelle Popsongs haben weit mehr Romantikpotenzial zu bieten als die guten alten Schlager. Das hat eine Studie der Ossietzky-Universität in Oldenburg ergeben.

Er will doch nur spielen: Während Roy Black die heile Welt besang, bittet Judith Holofernes von "Wir sind Helden" um jedes einzelne Wort. (Foto: Foto: dpa; Reuters)

In ihrer Dissertation hat die Psychologin Carmen Wulf Schlager und Balladen von Tokio Hotel und Peter Alexander, die Ärzte und Roy Black, Vicky Leandros und Rosenstolz analysiert. 136 deutschsprachige Liebeslieder kamen in die Analyse, veröffentlicht in den Jahren 1967 bis 1970 sowie 2001 bis 2005.

Überraschendes Ergebnis: Die aktuellen Songs sind viel romantischer. Zugleich haben viele neue Liebeslieder aber ernsthafte Untertöne und beleuchten auch öfter die Kehrseite der Zweisamkeit, nämlich den Liebeskummer.

Die 33-jährige Forscherin erläuterte, dass aus den Liedtexten auch hervorgeht, wie sich unserer Alltagsvorstellungen von der Liebe in den vergangenen vierzig Jahren verändert haben. "In den neuen Liebesliedern ist unheimlich viel davon die Rede, dass die Liebesbeziehung Schutz und Geborgenheit geben soll. Das ist ein Aspekt, der in den alten Liedern fast gar nicht vorkommt."

Dieser Unterschied passe zu soziologischen und psychologischen Befunden, wonach dem modernen Menschen im Zuge der Vereinzelung die verbindliche Orientierung von früher abhanden gekommen ist - etwa der Halt von Familie und sozialen Gemeinschaften. "Dieser Verlust macht viele unsicher, woraus eine Sehnsucht nach Intimität und Sicherheit resultiert", sagte Wulf. Eine plausible These laute daher, dass viele diese Unsicherheit über Liebesbeziehungen ausgleichen wollen. Dies spiegele sich in den Liedtexten wider.

Auf Herz reimt sich Schmerz

Keine Belege fand Wulf indes für die in der Forschung diskutierte These der "emotionalen Coolness", mit deren Hilfe Gefühle stärker kontrolliert werden sollen.

Ein ehernes Schlagergesetz lautet: Auf Herz reimt sich Schmerz. Belege für diese Regel fand Wulf jedoch nur in Songs aus dem Zeitraum von 2001 bis 2005. In den relevanten Hitlisten befanden sich gleich 33 Lieder über Liebeskummer, im Vergleichszeitraum vor vierzig Jahren hingegen gab es in den Charts kaum Lieder, die sich mit Gefühlen nach einer Trennung auseinandersetzten. "Klipp und klar sag' ich Dir / Keiner liebt Dich wie ich!", sang Vicky Leandros 1970. Dagegen flehte Judith Holofernes, Sängerin der Band "Wir sind Helden", im Jahr 2005: "Bitte gib mir nur ein Wort!"

In ihrer Arbeit bemerkt Wulf dazu nüchtern: "Der höhere Anteil von aktuellen Liedern über Liebeskummer weist darauf hin, dass heute stärker die negativen Seiten der Liebe thematisiert werden und Trennungserfahrungen so häufig geworden sind, dass sie ihren Niederschlag in populärer Musik finden."

Riesiger Berg an Liebeskummer-Songs

Früher war der Zugang der Texter zur Liebe meist unbeschwerter, ja fast spielerisch, wie Wulf berichtete. "In den alten Liebesliedern finden sich weniger ernsthafte Untertöne, während wir es heute mit einem riesigen Berg an Liebeskummer-Songs zu tun haben."

Ein Grund dafür ist nach ihrer Vermutung, dass in den 60er und 70er Jahren die Stabilität der Partnerschaft als selbstverständlicher angesehen wurde und die Liebe folglich zum Leben einfach dazugehörte und nicht groß problematisiert wurde.

Die neuen Lieder sind zudem komplexer in den Inhalten, wie ihre Dissertation mit dem Titel "Historischer Wandel von Liebesvorstellungen" ergab. "Das würde ich schon so interpretieren, dass auch die Liebe heute vielfach als komplizierter empfunden wird und mit mehr Anforderungen verbunden ist. Jedenfalls scheint mehr Unsicherheit darüber zu herrschen", lautet Wulfs Befund.

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