Zeitenwende in Frankreich:Paris schafft die 35-Stunden-Woche ab

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Die Proteste von Lehrern, Beamten un Gewerkschaftern haben nichts genützt - der Präsident hat der "Katastrophe" Einhalt geboten.

Nina Bovensiepen

Als Katastrophe hat Nicolas Sarkozy einmal die 35-Stunden-Woche bezeichnet. Nun hat der Präsident dafür gesorgt, dass sie ein Ende findet: Am Donnerstag beschloss das französische Parlament eine Arbeitsmarktreform, derzufolge Betriebe künftig mit ihren Beschäftigten längere Arbeitszeiten aushandeln können. Formell bleibt die Begrenzung der Arbeitszeit auf 35 Stunden zwar bestehen - tatsächlich dürfte eine wichtige sozialistische Errungenschaft damit aber nur noch auf dem Papier existieren.

Daran ist indes nicht nur Sarkozy schuld, und die Entwicklung ist nicht auf Frankreich beschränkt. Die 35-Stunden-Woche, einst von den Gewerkschaften als Arbeitsumverteilungs-Instrument im Kampf gegen Erwerbslosigkeit gepriesen, ist auch andernorts längst Auslaufmodell. Zum Beispiel in Deutschland.

Tatsächliche Arbeitszeit über 40 Stunden

Offiziell existieren 35-Stunden-Woche-Verträge hier zwar noch, sie gelten etwa im Druckgewerbe oder in der Metall- und der Elektroindustrie. Das aber nur im Westen. In Ostdeutschland konnte die IG Metall die 35 Stunden nie durchsetzen. 2003 musste die Gewerkschaft das nach einem verlorenen Arbeitskampf einsehen. Nach Angaben der Hans-Böckler-Stiftung gilt auch im Westen nur noch für jeden fünften tarifgebundenen Beschäftigten die 35-Stunden-Woche; und die Tarifbindung sinkt seit Jahren.

Mit der beruflichen Wirklichkeit vieler Deutschen, Franzosen und übrigen Europäer haben der Sieben-Stunden-Tag oder die 35-Stunden-Woche ohnehin wenig zu tun. Die tariflich vereinbarte Arbeitszeit betrug im vergangenen Jahr für westdeutsche Beschäftigte 37,4 Stunden, im Osten waren es 38,8 Stunden.

Weil in vielen Berufen aber nicht nach Stechuhr gearbeitet wird, immer weniger Menschen nach Tarif beschäftigt werden und viele Überstunden machen, ist die tatsächliche Arbeitszeit deutlich höher. Laut dem europäischen Statistik-Amt Eurostat betrug sie 2007 in Deutschland im Schnitt 42,3 Stunden. In Spanien waren es 41,1, in Frankreich 39,5, in der Türkei gar 52 Stunden - und nirgendwo 35, 36 oder 37 Stunden.

"Der Trend geht überall zum längeren Arbeiten, da gibt es eine Rückentwicklung", sagt Gerhard Bosch vom Institut für Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg. Das habe mit der sinkenden Tarifbindung zu tun. Zudem hätten die Gewerkschaften in vielen Branchen längeren Arbeitszeiten zugestimmt, um Lohnkürzungen zu verhindern. Die Menschen arbeiten für den gleichen Lohn länger. Ob das mehr bringt, ist strittig. "Wir Deutschen sind immer noch dort am erfolgreichsten, wo wir die kürzesten Arbeitszeiten haben", sagt Bosch mit Blick auf die Metall- und Elektroindustrie.

Eine ideale tägliche Arbeitszeit gibt es nach Meinung des Forschers nicht. Studien zufolge steigt aber die Fehlerquote in Firmen oder etwa auch in Krankenhäusern stark, wenn Menschen länger als acht Stunden arbeiten. "Der Acht-Stunden-Tag ist eine tief verankerte Norm", sagt Bosch. Ausnahmen gibt es natürlich. Extreme sind jene Manager oder Politiker, die nachts nie mehr als vier Stunden schlafen und täglich angeblich 14 Stunden arbeiten - und die 35- genauso wie 40-Stunden-Wochen oft für eine Katastrophe halten.

© SZ vom 25.07.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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