Vulkan-Tour in Guatemala:"Hör zu, sonst schmorst Du in der Lava!"

Ein Schritt zu viel und das Leben wäre vorbei. Der sprichwörtliche Tanz auf dem Vulkan wird in Guatemala am Pacaya für fünf Euro Wirklichkeit.

M. Burkhardt

Der Bus hält noch nicht, da reißen die Kinder schon die Tür auf. "Hola" schreien sie aufgekratzt und halten den Fremden Wanderstöcke entgegen: "Nehmen Sie einen, der wird Ihnen sehr helfen! Nur fünf Quetzales." 40 Cent sind das und jedes Kind hält ein Dutzend Stöcke bereit. Leichtfüßig schleppen sie die schwere Last und werben laut: "Nur fünf Quetzales! Oder vier! Drei!" Aber da sind noch die älteren Burschen, die ihre Pferde vermieten möchten. Dazu kommen die Proviantverkäufer. Was für ein Trubel, Geschiebe und Stimmengewirr auf dem staubigen Dorfplatz von San Francisco de Sales.

"Willkommen am Pacaya!", ruft plötzlich ein kleiner durchtrainierter Mann, der mit seinem Camouflage-Kopftuch aussieht wie ein moderner Pirat. Er schiebt sich durch die Menge, nimmt die Sonnenbrille ab und stellt sich vor: "José Heriberto, ich bin euer Führer zum Vulkan."

Seine wichtigste Regel: In den kommenden Stunden ist er der "Vater dieser Familie hier", während der Tour zu einem der gefährlichsten der 37 Vulkane Guatemalas hört jeder auf ihn. Ein stämmiger Monsieur aus Paris scherzt, da wird José Heriberto eindringlich: "Hör lieber gut zu, sonst schmorst du nachher vielleicht in der Lava, das wollen wir doch nicht."

Einen Augenblick lang ist es still. Dann lacht der guatemaltekische Führer, schaut nach unten, kontrolliert die Schuhe. Nicht jeder hat Trekkingschuhe dabei. Die Reiseagenturen in Antigua unterbieten sich im Preiskampf um die Touren zum Pacaya, einem der aktivsten Vulkane der Welt. Einige bieten das halbtägige Programm inklusive Anfahrt, Eintritt für den Nationalpark, Vulkantour und Rückfahrt für fünf Euro an. Und wenn wegen der Wirtschaftsflaute selbst in der bezaubernden Kolonialstadt die Geschäfte zäh laufen, wird kein Abenteurer weggeschickt, weil er den Aufstieg in Turnschuhen wagen will.

Immerhin, niemand hat Flipflops an.

José Heriberto klatscht in die Hände, "vamos", los geht's. "Holt euch ruhig ein paar Wanderstöcke", rät er, aber nur wenige hören es. Steil geht es nach oben, auf schmalem Pfad durch ein Wäldchen. Bis vor einigen Jahren hat es hier immer wieder Überfälle auf Wanderer gegeben. Aber José Heriberto beruhigt, inzwischen gibt es im Nationalpark bewaffnete Ranger.

Blumen aus der Asche

Es geht weiter, vorbei an kleinen Feldern, auf denen Bauern Mais anbauen, das Hauptnahrungsmittel der meisten Menschen in Guatemala. Die Luft ist angenehm kühl an diesem Morgen, Staudengewächse verströmen einen süßen, leichten Duft.

Nach wenigen Minuten lichtet sich der Wald, gibt den Blick frei auf den rauchenden Pacaya. Er schleudert Asche in den blauen Himmel. Die Spitze des Vulkans ist bald in eine dichte Wolke gehüllt. Die jungen guatemaltekischen Begleiter können die Fragen in den Gesichtern der Wanderer lesen. "Muy peligroso!", sehr gefährlich, sagen sie und lachen amüsiert.

Dann hilft nur rennen

Hat José Heriberto vielleicht Angst? Schwer zu glauben, er strahlt Ruhe und Entschlossenheit aus. Bis zum Kraterrand auf rund 2550 Metern Höhe wäre es gerade wirklich zu gefährlich, sagt er. Die Brocken, die der Pacaya ausspuckt, sind zu groß.

Aber die Lavaströme an den Hängen anschauen, warum nicht?

Und wenn der Pacaya überraschend doch glühende Lavabomben Hunderte Meter weit in den Himmel spucken sollte wie zuletzt vor zehn Jahren, als sie sogar den 25 Kilometer entfernten Flughafen von Guatemala-Stadt sperren mussten, dann hilft eh nur rennen. So sieht José Heriberto das.

Er läuft voran über ein riesiges graues Feld. Der Boden ist übersäht mit kleinen Aschebrocken. Sie sind scharfkantig und fühlen sich rau an. Unter den Schuhsohlen knirscht das Basaltgestein. Etwas abseits ragen erkaltete Lavablöcke wie Gerippe in den Himmel. Und inmitten dieser scheinbar lebensfeindlichen Landschaft wachsen Blumen aus der Asche.

Im Zickzackweg geht es den Hang hinauf. José Heriberto achtet auf seine Gruppe wirklich wie ein Vater auf seine Kinder, wenn auch wie ein "daddy cool". Denn am Ziel mahnt er zwar noch einmal zur Vorsicht - wer es aber wagen will, einen Marshmallow zu rösten, nur zu.

Die Wanderer aus Frankreich, Spanien, Italien und Deutschland schauen ihn ungläubig an. Vor ihren Augen wälzt sich ein gewaltiger Feuerstrom träge den Berg hinab. Die Lava leuchtet intensiv rot und orange. Schmatzend wirft sie Blasen, kratzt am umliegenden Gestein. Keinerlei Barrieren sind da. Ein Schritt zu viel, ein kleiner Sprung und das Leben wäre aus. Die Urkraft der Erde lässt die Wanderer mit einem Mal andächtig verstummen.

Schmelzende Schuhsohlen

Die Luft riecht metallisch. Flimmernd schlägt einem die Hitze entgegen - eine trockene, alles verbrennende Backofenluft, die kleine Härchen im Gesicht und an den Armen versengt.

Trotzdem weichen die Wanderer erst zurück, als bei den ersten die Schuhsohlen zu schmelzen beginnen. In sicherem Abstand trinken sie Wasser, essen Orangen, Bananen, Brot und Tomaten. José Heriberto bleibt dagegen nahe am Lavastrom. Er kniet auf einem Felsen, zündet sich eine Zigarette an und schaut hinab ins Tal. Kilometerweit hat sich der Lavastrom dorthinein ergossen.

Der Vulkan ernährt die Familie

Und da drüben, noch mächtiger als der Pacaya, thront der Vulkan Agua kegelförmig 3765 Meter hoch über der zauberhaft schönen Landschaft. Wer den Pacaya zum ersten Mal bestiegen hat, möchte von dort oben stundenlang einfach nur hinab schauen auf das Grün der Ebene, die Dörfer, die Berge und Federwolken, die sich wie ein dünnes Netz über den Himmel spannen. José Heriberto hat diesen Ausblick zwei- bis dreimal am Tag, an sechs Tagen in der Woche - der Vulkan ernährt ihn und seine Familie.

Er schaut auf die Uhr, schnippt seinen Zigarettenstummel in die Glut. "Vamos!"

Die Kinder von San Francisco de Sales. Beim Abstieg denken die Fremden wieder an sie und ihr Angebot, jetzt, wo die Kräfte nachlassen. Die Sonne scheint grell. Es ist heiß, die Strecke rutschig. Einige stürzen, kommen mit Schürfwunden davon. Der Herr aus Paris beschwert sich, schimpft schnaufend über das Tempo, die "Abzocke". Unten angekommen spült er seinen Ärger mit eiskaltem Heineken-Bier hinunter. Er sitzt im Schatten, kühlt langsam ab, da bereitet sich José Heriberto schon für die nächste Wandergruppe vor.

Die Kinder kommen aus den ärmlichen Hütten ihrer Familien herbeigeeilt. Sie tragen die schweren Wanderstöcke unter ihren Armen und öffnen den Neuankömmlingen erwartungsvoll die Bustüren: "Hola, willkommen am Pacaya!"

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