Mörderische Medien:Die Killer-Konditionierung

Ein "Tötungs-Experte" über die Wirkung von Gewaltspielen

Markus C. Schulte v. Drach

Dave A. Grossman ist Ex-Lieutenant Colonel der US Army, und lehrt als Professor für Psychologie an der Militär-Akademie in West Point und der State University von Arkansas.

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Trainieren mit Videospielen: US-Marines

Er ist ehemaliger Trainer der Texas Rangers, der Polizei, und der Green Berets (Elitetruppe der US-Armee).

Grossman hat sich intensiv damit beschäftigt, wie man Menschen dazu bringt, andere Menschen zu töten. Er wurde in mehreren Verhandlungen von Mordfällen durch Jugendliche als Experte befragt. Brutale Videospiele betrachtet er als "Tötungssimulatoren".

Der folgende Text basiert auf einer Stellungnahme Grossmans vor dem Handels- und Wissenschafts-Komitee des US-Senats im Mai 1999 im Rahmen der Anhörung: "Verkauf von Gewalt an Kinder":

Töten muss trainiert werden

Hunderte Dinge können den Wunsch entstehen lassen, eine Waffe zu nehmen und zu töten.

Aber normalerweise macht uns nur eines fähig, tatsächlich zu töten: Training.

Es ist gar nicht so einfach, jemanden dazu zu bringen, Menschen zu töten. Das zeigen beispielsweise Erfahrungen aus dem zweiten Weltkrieg, als Brigadegeneral S.L.A. Marshall das Verhalten der Soldaten in der Schlacht untersuchen ließ.

Lediglich 15 bis 20 Prozent der Soldaten brachten es über sich, auf einen sichtbaren Gegner zu schießen. Als das Militär sich dieses "Problems" bewusst wurde, haben sie es beseitigt. Im Korea Krieg waren schon 55 Prozent der Soldaten bereit, zu schießen, in Vietnam waren es dann neun von zehn. Um dieses Ziel zu erreichen, hat das Militär effektive Methoden eingeführt. Unter anderemDesensibilisierung, Operante Konditionierung und Rollenmodelle.

Desensibilisierung

Um aus einem Zivilisten einen Soldaten zu machen, der bereit ist, zu töten, müssen die Rekruten gegenüber der Gewalt desensibilisiert werden. Sie werden brutalisiert, indem ihnen die Normen und Werte ausgetrieben werden, die vorher galten, und sie werden durch neue Werte ersetzt.

Und am Ende hat der Soldat gelernt, dass Gewalt eine akzeptable Methode ist, die er in seiner Welt anwenden soll.

Die Gewalt in den Medien wirkt ähnlich, allerdings sind ihr nicht 18jährige ausgesetzt, sondern der Prozess beginnt schon im Alter von 18 Monaten, wenn Kinder anfangen, nachzuvollziehen, was im Fernsehen geschieht.

Sie sind zwar bis zum Alter von sechs oder sieben in der Lage, nachzumachen, was sie sehen, aber erst danach sind sie fähig, zu begreifen, woher diese Information eigentlich kommt. Vorher können sie nicht unterscheiden zwischen Fantasie und Realität.

Das bedeutet, wenn ein kleines Kind sieht, wie jemand im Fernsehen erschossen, erstochen, zusammengeschlagen und vergewaltigt wird, so ist das so, als würde es in der realen Welt geschehen. Mit einem Drei-, Vier oder Fünfjährigen einen Gewaltfilm zu schauen, kann so sein, als würden sie zuerst eine Beziehung zu jemanden aufbauen, der dann vor ihren Augen abgeschlachtet wird.

Und das geschieht mit unseren Kindern immer und immer wieder. Und so werden sie desensibilisiert, fürchtet Grossman.

Operante Konditionierung

Ein zweiter Schritt, mit dem aus Zivilisten Soldaten gemacht werden, ist die so genannte operante Konditionierung.

Heute, so der Psychologe, lernen Soldaten und Polizisten, blitzschnell auf menschenähnliche Zielscheiben zu schießen, die in ihrer Umgebung auftauchen. Die Handlung wird zu einem Reflex. Das gleiche geschieht, wenn ein Kind ein Videospiel benutzt, in dem es darum, geht Gegner zu töten.

Die Kinder halten dabei eine Waffe in den Händen und machen jedes lebende Wesen nieder, dass vor ihnen auftaucht, bis entweder keine Munition oder keine Ziele mehr vorhanden ist.

Eines der beliebtesten Computerspiele, Doom, wird vom Marine Corps der USA als Trainingsmittel benutzt.

Wie, so fragt Grossman, kann ein Gegenstand Kindern über das Internet angeboten werden und gleichzeitig wird er von den Marines zum Training benutzt?

Soldaten und Gesetzeshüter lernen allerdings, dass manchmal die richtige Entscheidung ist, nicht zu schießen. Das wird den Kinder durch die Spiele allerdings nicht beigebracht.

Es gibt Beispiele von Kindern, die mit einer realen Waffe in der Hand so reagierten, wie sie offensichtlich in den Spielen konditioniert worden waren. Und manche wurden dabei zu Schützen, deren Trefferquote über der von trainierten FBI-Agenten liegt.

Es ist auch auffällig, so stellte Grossman fest, dass bei den Schießerein an US-amerikanischen Schulen in den letzten Jahren das erste Opfer häufig eine Ex-Freundin des Täters war. Warum aber schießen die Täter weiter, nachdem ihr erstes, eigentliches Ziel getroffen wurde? Weil sie darauf konditioniert sind, vermutet Grossman.

Rollenmodelle

Ein dritter wichtiger Schritt bei der Ausbildung von Soldaten ist die Identifizierung mit Rollenmodellen. Für den Rekruten ist dies der Ausbilder. Er personifiziert Gewalt und Aggression.

Zusammen mit militärischen Helden wurden diese gewalttätigen Rollenmodelle immer schon benutzt, junge, leicht zu beeindruckende Gemüter zu beeinflussen.

Heute, so beklagt der Ex-Soldat, bieten die Medien unseren Kindern Rollenmodelle. Und eines dieser Modelle ist die Person des jugendlichen Mörders, dem in den Medien viel Platz eingeräumt wird. Er ist in den Medien - und hat es somit allen gezeigt.

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