Deutschlands Angst vor Russland:"Das ist die alte Ostpolitik"

Russland strebt nach Westen: Die Unternehmen des Landes würden sich nur allzu gerne bei deutschen Konzernen einkaufen - doch oft genug stehen sie vor verschlossenen Türen. Der Russland-Experte Roland Götz hält die deutsche Haltung für doppeldeutig und mahnt eine zeitgemäße Strategie an.

Von Paul Katzenberger

sueddeutsche.de: Herr Götz, russische Unternehmen überschlagen sich derzeit förmlich, um einen Fuß in die Tür bei deutschen Konzern zu bekommen: Erst heute wurde bekannt, dass der Energiekonzern Gazprom beim Anlagenbauer Lurgi einsteigen will. Gazproms Interesse an RWE ist ja schon länger bekannt, und dass die Wneschtorgbank ihren Anteil an EADS deutlich erhöhen möchte, ist auch kein Geheimnis. Die Deutschen blocken allerdings fast immer ab. Warum eigentlich?

Götz: In Deutschland gibt es ein gewisses Misstrauen - nicht nur gegenüber Russland, sondern auch gegenüber russischen Unternehmen. Diese Bedenken wurden zum Teil durch die Gaskrise mit der Ukraine ausgelöst.

Angela Merkel und Wladimir Putin

Suchen noch den richtigen Umgang miteinander: Wladimir Putin (links) und Angela Merkel.

(Foto: dpa/dpaweb)

sueddeutsche.de: Was ja auch verständlich ist.

Götz: Nach meiner Meinung sind die Ängste auf westlicher Seite nicht wirklich begründet. Russische Unternehmen agieren praktisch genauso wie westliche Unternehmen, denn sie treten in die Phase der Globalisierung ein, die auch für Russland wirkt.

sueddeutsche.de: Also reine Panikmache bei völlig normalen Vorgängen?

Götz: Man muss sich vor Augen halten, dass Unternehmensbeziehungen zwischen Russland und Europa überhaupt nichts Neues sind. Kontakt bestand bis zum Ersten Weltkrieg in großem Umfang, wurde dann aber durch die Sowjetperiode unterbrochen.

sueddeutsche.de: ....immerhin ein Zeitraum von circa 70 Jahren ....

Götz: ... was niemand bestreitet, aber auch schon wieder eine gewisse Zeit zurückliegt. Auch in den 90-er Jahren haben sich die Beziehungen noch verhalten entwickelt - Russen kauften im Ausland vor allem Immobilien, festverzinsliche Wertpapiere und Aktien, aber tätigten eben keine direkten Investitionen. Nun beginnt aber diese Phase direkten Engagements, vor allem deswegen, weil die Kassen der russischen Unternehmen gut gefüllt sind.

sueddeutsche.de: Wenn es keine wirklich objektiven Gründe gibt, wie lange werden sich die Russen diese Abfuhren dann noch gefallen lassen?

Götz: Das ist ein echtes Problem. In Russland spricht man ja von einer gewissen Zweideutigkeit des Westens, von einem doppelten Spiel. Einerseits hat man ja Russland die Marktwirtschaft fast schon gepredigt, andererseits legt man marktwirtschaftlich agierenden Unternehmen heute Steine in den Weg. Das führt in Russland durchaus zu Verstimmung.

sueddeutsche.de: Hat denn Russland Möglichkeiten, sich zu wehren? Kann das Land Konsequenzen ziehen, die für deutsche Unternehmen oder Deutschland insgesamt schädlich wären?

Götz: Im Prinzip schon. Russland könnte Hindernisse gegenüber deutschen Unternehmensinvestitionen errichten. Das würde aber auf einen sinnlosen Kampf hinauslaufen, den keine der beiden Seiten wirklich will.

sueddeutsche.de: Was wird dann aber gewollt, vor allem auf deutscher Seite? So richtig erschließt sich das im Augenblick nicht.

Götz: Es ist ja so, dass Russland mit Deutschland sogar eine strategische Partnerschaft anstrebt, die von beiden Seiten zumindest formal gut geheißen wird. Hinzu kommt, dass Deutschland Russlands größter Handelspartner ist, bei den Investitionen liegen aber andere Länder vorne. Und genau das scheint sich jetzt gerade zu ändern. Das heißt, es geht jetzt auch um eine größere Kapitalverflechtung zwischen beiden Ländern, was ja durchaus Sinn machen würde.

sueddeutsche.de: Aber genau gegen diese Verflechtung wehrt sich doch die deutsche Politik mit Händen und Füßen?

Götz: Die Politik spielt da ein etwas eigenartiges Spiel. Einerseits tritt man vehement für bessere Wirtschaftsbeziehungen ein, andererseits ist man dann zögerlich, wenn sich russische Unternehmen tatsächlich bei uns engagieren. Ich glaube, wir befinden uns derzeit in einer Übergangsphase, die beeinträchtigt wird durch das angespannte Klima, das derzeit vor allem zwischen der EU und Russland herrscht. Dabei geht es aber doch vor allem um innenpolitische Fragen in Russland.

sueddeutsche.de: Sollte sich Deutschland ihrer Meinung nach also von seinen westlichen Verbündeten emanzipieren und seine Strategie gegenüber Russland ändern?

Götz: Die Frage ist: Welche Strategie hat die deutsche Politik überhaupt? Es gibt eine ganz allgemeine Strategie, nämlich die Vertiefung der deutsch-russischen Beziehungen, gleichzeitig gibt es da noch den "kritischen Dialog". Das Schlagwort, das Anfang dieses Jahres formuliert worden ist, heißt "Annäherung durch Verflechtung". Das ist aber eigentlich nur eine Fortsetzung der alten Konzeption "Wandel durch Annäherung". Man spricht zwar von der "neuen Ostpolitik", im Grunde ist das aber die alte Ostpolitik.

sueddeutsche.de: Was wäre im Sinne einer "neuen Ostpolitik" also angemessen?

Götz: Das Richtige wäre, die einzelnen Fälle wirklich genau zu prüfen. Also wenn Gazprom in ein deutsches Stadtwerk einsteigen will und das Stadtwerk durchaus daran interessiert ist, seine Anteile zu verkaufen, dann sollte man das einfach sachlich prüfen, ob das ein Problem für die deutsche Energiewirtschaft darstellt, oder nicht. Ich meine nicht.

"Auch nicht anders als die europäischen Energieunternehmen"

sueddeutsche.de: Auch dann nicht, wenn Gazprom nach dem Einstieg erstmals von der Erzeugung des Gases bis zum deutschen Endkunden die vollständige Kontrolle erhielte?

Deutschlands Angst vor Russland: Roland Götz ist Mitglied der Forschungsgruppe Russland bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Die Schwerpunkte seiner Arbeit umfassen die Lage der russischen Wirtschaft und den Energiedialog zwischen der EU und Russland.

Roland Götz ist Mitglied der Forschungsgruppe Russland bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Die Schwerpunkte seiner Arbeit umfassen die Lage der russischen Wirtschaft und den Energiedialog zwischen der EU und Russland.

(Foto: Foto: SWP, Berlin)

Götz: Nun ja, Gazprom verhält sich da nicht anders als die europäischen Energieunternehmen, das sind nämlich alles integrierte Unternehmen, gerade die deutschen: Von der Erzeugung zum Endkunden, genau das Rezept. Gazprom hat sich das im Grunde abgeschaut. Sie wollen eben nicht nur ihr Gas an der Grenze abliefern und das wär's dann, sondern sie wollen in den lukrativen Endverbrauchermarkt einsteigen.

sueddeutsche.de: Es geht also um Effizienz und Renditemaximierung, nicht aber um Macht?

Götz: Es geht nicht unbedingt nur um die höhere Rendite, sondern auch um den Kontakt zum Kunden, also um Erfahrungen und Technologietransfer. Ich halte das für ein ganz rationales Vorgehen von international operierenden Konzernen. Dabei darf man nicht vergessen, dass Gazprom nicht nur halb-staatlich ist, sondern auch halb-privat: 49 Prozent sind in Privatbesitz und darunter zum großen Anteil in westlichem Händen.

sueddeutsche.de: Gleichwohl trat Gazprom gegenüber der Ukraine nicht sehr kundenfreundlich auf.

Götz: Dieses Problemmit der Ukraine war eigentlich nur der Höhepunkt einer ganzen Kette von Auseinandersetzungen, die in den 90-er Jahren stattgefunden haben, etwa auch mit Weißrussland. Da ging es immer um den Inlandsmarkt dieser Länder. Sie wurden bisher zu Vorzugspreisen mit Erdgas aus Russland beliefert, das war eine sowjetische Tradition. Gazprom hat seine Preise schrittweise angehoben in Richtung europäisches Niveau, es möchte nämlich Geld mit seinem Gas verdienen, zumindest da wo es kann.

sueddeutsche.de: Das klingt interessant. Wo wird denn Gazprom am Geld verdienen gehindert?

Götz: Beispielsweise auf dem russischen Inlandsmarkt, wo die Preise niedrig festgesetzt sind. Auch dagegen kämpft Gazprom im Übrigen an. Immerhin liefert Gazprom etwa 50 Milliarden Kubikmeter an die GUS-Staaten und möchte da eben auch entsprechend hohe Preise erzielen. Betriebswirtschaftlich ist dagegen nichts einzuwenden. Ganz davon abgesehen war diese Auseinandersetzung mit der Ukraine nicht wie es meistens dargestellt wird eine rein einseitige Angelegenheit - auch die Ukraine hatte Schuld an den Problemen.

sueddeutsche.de: Die russisch-ukrainischen Differenzen sollten die Deutschen ihrer Meinung nach also kalt lassen?

Götz: Gegenüber westlichen Kunden, die ihre Rechnungen immer bezahlt und auch keine Schulden gegenüber Gazprom angehäuft haben, gab es zumindest nie die geringsten Probleme. Es ist außerdem absurd anzunehmen, dass es eine Gazprom-Strategie sein könnte, seine Hauptkunden zu verprellen.

sueddeutsche.de: Aber das Misstrauen ist ja dennoch da, was müsste geschehen, damit es abnimmt?

Götz: Das Misstrauen wird natürlich auch durch die Vorgänge in Russland selber befördert. In der Ära Putin hat sich Russland doch wieder in Richtung eines autoritären Staates zurückentwickelt. Der Tschetschenienkrieg, Morde an Geschäftsleuten und Journalisten - das alles verdüstert das Bild von Russland.

sueddeutsche.de: Einerseits schon, andererseits entsteht derzeit bei uns auch ein wesentlich glamouröseres Bild des Landes: Moskau richtet Millionärsmessen aus, in St. Petersburg wachsen demnächst hyper-moderne Bürotürme in den Himmel.

Götz: Dieser neue Reichtum ist aber auch ein Teil des Problems. Im Augenblick beweihräuchert sich die russische Elite auf Grund des hohen Ölpreises selbst und glaubt an die eigene Größe. Vielleicht sollte die Einsicht wachsen, dass man die Dinge realistisch beurteilen müsste und auf die Bedenken der westlichen Seite nicht so ungehalten reagieren sollte, wie es zum Teil der Fall ist.

"Auf beiden Seiten wird alarmistisch argumentiert"

sueddeutsche.de: Sie mahnen also zu einer Art Deeskalationsstrategie auf beiden Seiten.

Götz: Genau, nichts anderes. Auf beiden Seiten wird übertrieben und alarmistisch argumentiert. Auf russischer Seite hat man sich noch längst nicht befreit von den Stereotypen des Kalten Krieges. Umgekehrt wirft Russland genau das dem Westen vor. Beide Seiten haben das alte Denken noch nicht überwunden. Ich würde mich wirklich für Realismus aussprechen, der ja in der Wirtschaft durchaus vorhanden ist.

sueddeutsche.de: Gut, Aufgeschlossenheit kann nie schaden. Aber besteht nicht dennoch die Gefahr allzu großer Abhängigkeit von Russland bei der Energieversorgung?

Götz: Man muss Abhängigkeit entsprechend definieren. Es gibt zweifelsohne eine numerische Abhängigkeit, das heißt etwa 30 Prozent des Gasverbrauchs in Europa werden durch russische Importe gedeckt, beim Erdölverbrauch sind es ebenfalls 30 Prozent. Bei den Energieimporten insgesamt hat Russland den größten Anteil, nämlich 65 Prozent, der Rest kommt aus Nordafrika. Das ist schon eine starke Stellung. Aber das ist eine numerische Abhängigkeit, die keineswegs mit einer politischen Abhängigkeit gleich zu setzen ist. Denn diese Abhängigkeit ist ja zweiseitig.

sueddeutsche.de: Tatsächlich? Der Energiehunger wächst doch weltweit.

Götz: Russland ist numerisch von Europa noch viel stärker abhängig als Europa von Russland. Das Argument, das sich das alles schnell ändern könnte, weil Russland zukünftig Öl und Gas nach China liefert, ist weit übertrieben. Da fehlt es vor allem an der Infrastruktur. Die müsste erst aufgebaut werden, was sehr teuer werden würde. Es liegt auch gar nicht in den russischen Absichten, sich jetzt einseitig nach Asien zu hin orientieren. Russland kann also diese "Energiewaffe" gegen Europa gar nicht einsetzen, selbst wenn es wollte.

sueddeutsche.de: Wie jüngst bekannt wurde, steht Russland kurz vor der Aufnahme in die WTO. Hat das reale Bedeutung oder ist das nur Etikettenschwindel? Irgendwie ist ja kaum vorstellbar, dass die millionenfach raubkopierten Hollywood-DVDs bei Moskauer Straßenhändlern auf einen Schlag verschwinden, oder dass die westlichen Ölmanager auf Sachalin plötzlich mit Samthandschuhen angefasst werden.

Götz: Zunächst einmal: Russland ist das letzte große Land, das noch nicht in der WTO ist, sogar die Mongolei ist schon drin. Deswegen ist es für Russland auch eine Prestigefrage, dass die Verhandlungen, die jetzt schon über zehn Jahre andauern, abgeschlossen werden. Immerhin ist auch China - der große Rivale - schon in der WTO.

sueddeutsche.de: Aber gerade China gibt doch Anlass für Zweifel. Geistiges Eigentum ist doch dort kaum besser geschützt als etwa bei dem derzeitigen Nicht-WTO-Mitglied Russland.

Götz: Die WTO kennt zwar Ausnahmen und zeitliche Befristungen für bestimmte Regeln, doch die Macht des geschriebenen Rechts wird sich allmählich durchsetzen. Das wird zu einer größeren Verrechtlichung der Beziehungen zwischen Russland und auch dem Ausland führen. Insofern ist es für beide Seiten positiv.

sueddeutsche.de: Die WTO könnte also der vorhin angemahnten Deeskalation Vorschub leisten?

Götz: Ja, ich meine, dass die WTO-Regeln in diese Richtung wirken. Es gibt ja noch das andere Problem der Energie-Charta, die die WTO-Regeln für den Energiebereich spezifiziert. In diesem Übereinkommen werden so wichtige Punkte geregelt wie die Gleichbehandlung für in- und ausländische Investoren oder der Zugang zu Pipelines. Ich kann mir vorstellen, dass es Russland leichter fallen würde, auch die Energie-Charta eines Tages zu akzeptieren, wenn erst einmal der WTO-Beitritt erfolgt ist. Auch das würde für Russland letztendlich Vorteile haben, obwohl es im Augenblick dort nicht so gesehen wird.

sueddeutsche.de: Die Energieriese Russland gibt einseitig Macht ab und hätte selbst noch Vorteile. Das ist schwer nachzuvollziehen.

Götz: Es trifft aber dennoch zu. Denn in Russland findet interessanterweise genau so wie im Westen Lobbyismus in großem Ausmaß statt. Für Gazprom als Einzelunternehmen ist die Energie-Charta störend, weil sie seine Monopolposition bedroht, aber volkswirtschaftlich ist es für Russland besser, dass eben nicht ein großes Gas-Monopol den Markt beherrscht. Und diese Einsicht wird sich nach und nach durchsetzen.

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