Die Mühsal der Spargel-Stecher:"Ach, du mit deinen Studentenhänden"

Harte Arbeit, geringer Lohn: Bauer Johann Hainzlmair findet seit 30 Jahren keine deutschen Erntehelfer.

Von Martin Zips

Am Ende des Tages wird der Reporter sehr müde sein. Ihm wird die Hand schmerzen, als hätte er vier Stunden lang Bach am Klavier geübt. Aber so stand er eben stundenlang mit Familie Hainzlmair in Pörnbach am Feld und hat Spargel gestochen.

Spargelernte

"Haben sie keine Gummistiefel dabei? Das Feld ist batzig."

(Foto: Foto: AP)

Reiche Großstädter fliegen, wenn sie Natur erleben wollen, zum Holzhacken in die Rocky Mountains. Sie reisen zum Golfen nach Irland oder zur Olivenernte in die Toskana. Schick. Zur Spargelernte nach Pörnbach fahren sie eher nicht. Ist doch merkwürdig.

Auch der deutsche Arbeitslose fährt nicht zur Spargelernte nach Pörnbach. Dabei könnte er hier bei Familie Hainzlmair überdurchschnittliche 6,50 Euro in der Stunde verdienen. Bei sieben Stunden Arbeit am Tag an sechs Tagen in der Woche kann das weit mehr als das monatliche Arbeitslosengeld eines Geringverdieners sein.

"Seit mehr als 30 Jahren hat sich noch kein Deutscher bei uns gemeldet, der diese Arbeit machen würde", sagt Johann Hainzlmair, 42. Daran hat auch die Drohung des Vizechefs der Bundesagentur für Arbeit, Heinrich Alt, bislang nichts geändert.

Alt hatte Anfang April im Zuge der Hartz IV-Reformen angekündigt, künftig deutsche Langzeitarbeitslose als Saisonarbeiter in die Landwirtschaft zu schicken. 870 000 Arbeitsgenehmigungen für ausländische Saisonkräfte habe sein Amt im vergangenen Jahr erteilt. Es wäre ein riesiger Erfolg, wenn davon die Hälfte wegfallen könnte, sagte er.

Und seit Anfang dieses Jahres gilt in Deutschland bekanntlich jeder Job als zumutbar. Auch, wenn er weit vom Wohnort entfernt liegt oder weit unter Tarif bezahlt wird. So weit die Theorie.

Johann Hainzlmair junior steht gemeinsam mit seiner Frau Rosa, seinem Vater Johann senior, seiner Mutter Amalia und Nachbarin Roswitha auf dem Feld und sticht. "Haben sie keine Gummistiefel dabei?", fragt er den Reporter. "Das Feld ist batzig."

Der Begriff "Spargel stechen" ist ziemlich daneben. Vielmehr müsste es "Spargel graben" heißen - denn das ist ja das Anstrengende. Ständig muss sich der Erntearbeiter mit zwei Fingern bückend in die Erde graben, um zu sehen, ob die Risse im Boden durch das harntreibende Gemüse verursacht wurden, oder einfach nur Risse im Boden sind.

So erlebt man viele Enttäuschungen. Besonders, wenn gleichzeitig die Lederschuhe knöcheltief im Matsch versinken und erste Erdspritzer die Hose zieren. "Ach, du mit Deinen Studentenhänden", sagen die Hainzlmairs gerne zu ihren Töchtern Lena, 7, und Lisa, 10, wenn sich die beiden Schulmädchen ungeschickt anstellen.

Zum Reporter sagen sie das nicht. Man merkt aber, dass sie sich ein bisschen das Lachen verkneifen, wenn ihr neuer Erntearbeiter an riesigen Schutzfolien scheitert, wie ein Kind im Kampf mit einer Tischdecke.

Mit dem gebogenen Spargelmesser sticht der Neue öfters mal ins Leere und mit der Kelle versucht er vergebens, den löchrigen Erddamm zu kitten. Zudem muss sich der Tagelöhner aus der Stadt mit den erdigen Gummihandschuhen ständig wieder seine Brille auf den schweißgetränkten, oberen Nasenrücken ziehen.

Es ist heiß, in Pörnbach. Zumindest, wenn man auf dem Feld steht und nach Spargel gräbt.

Johann Hainzlmair besitzt etwa einen Hektar Spargelfelder in Pörnbach. Das reicht nicht, um die Familie zu ernähren. Also arbeitet er als Nebenerwerbslandwirt und tagsüber am örtlichen Bauhof.

Seinen Jahresurlaub nimmt er pünktlich zur Spargelernte von Ende April bis Anfang Juni. In dieser Zeit steht vor dem Haus der Hainzlmairs, an der B13 Richtung Pfaffenhofen, ein Holzschild: "Hofverkauf". Halbstündig kommen Menschen vorbei. Klingeln, kaufen, fahren weiter.

Seit 1990 hat sich die Spargel-Anbaufläche in Bayern von 700 auf über 2000 Hektar erhöht. Der Boom dauert an, Spargelstecher werden gebraucht. Ein großer Spargelbauer in Brandenburg, Hauptlieferant einiger Supermarktketten, verglich vor Jahren die Leistungsfähigkeit von Polen und Deutschen.

Ergebnis: Der deutsche Spargelstecher ist nicht motiviert und bringt es im Durchschnitt auf nur drei Kilo in der Stunde. Ein Pole schafft mehr als sieben.

Wenn Johann Hainzlmair junior für seine Helfer Dixie-Klos neben das Feld stellen würde, wenn er mehr Land besäße und mehr polnische Saisonkräfte hätte, dann wäre er vielleicht auch Lieferant von Supermarktketten.

Hainzlmair könnte seinen Spargel - garantiert nicht mit Helfer-Urin getränkt - an Münchner Spitzenköche verkaufen. Ein Teller 1A-Spargel, kerzengerade gewachsen, nicht zu dick, nicht zu dünn und kein bisschen rosa, kostet in einem Restaurant in der Münchner Innenstadt locker 25 Euro.

Doch Hainzlmair stellt sich kein Dixie-Klo neben das Feld, nur um Kontrolleure zu begeistern. Sein Spargel schmeckt so oder so fantastisch. "Spargel darf auch krumm und rosa sein", sagt er, "Hauptsache, er ist frisch".

Der Rücken beginnt zu schmerzen. Die Knie zittern schon. Am Samstag löst uns Tomas ab. Tomas kommt aus der Nähe von Warschau, ist 23 Jahre alt und verheiratet. Eigentlich ist Tomas Schreiner, aber in Polen findet er gerade keinen Job. Also wird er auch in diesem Jahr wieder den Hainzlmairs bei der Ernte helfen.

Die Familie kann kaum Englisch und Tomas versteht nur wenig Deutsch. Dennoch freuen sich alle auf Tomas. "Der passt gut zu uns", sagt Johann Hainzlmair junior. Tomas wird mit dem polnischen Erntehelfer-Bus nach Pörnbach reisen. Das kostet ihn 75 Euro. Die Sache rentiert sich.

In nur einer Woche verdient Tomas auf dem Spargelfeld etwa so viel wie ein Holzfäller monatlich in Polen. Tomas schläft und isst gratis bei den Hainzlmairs. "Und manchmal leihe ich ihm mein Fahrrad, dann erkundet er die Gegend", sagt Johann.

Es gibt in Pörnbach einen anderen Spargelbauern, der beschäftigt mehr als hundert polnische Erntehelfer pro Saison. Die müssen bei ihm in kargen Baucontainern schlafen und sich Strichcodes auf die Körbe kleben. Am Abend rechnet ein Computer den Tageslohn aus. Da ist es bei den Hainzlmairs viel familiärer.

Mittagspause. Frau Hainzlmair stellt Gulasch, Spätzle und natürlich Spargel auf den Tisch. "Ohne die zusätzlichen Einnahmen aus dem Spargelverkauf könnte ich mir die Landwirtschaft nicht leisten", sagt der junge Herr Hainzlmair.

Nur 25 Cent bezahle man ihm für einen Liter Milch. Das sei zu wenig. "Vor allem die Subventionen machen den Markt kaputt. Davon profitieren allein die großen Bauern." Die Hainzlmairs schimpfen ein bisschen. Über die immer ausgefeilteren, aber sehr teuren Melkroboter und über den größten Spargelbauer des Ortes.

Der lasse 24 Stunden für sich arbeiten und zahle für gute Felder die höchste Pacht. "So sterben wir kleinen Bauern langsam aus", seufzt Amalia, die alte Bäuerin. Dann blickt sie den Reporter an. "Und? Schmeckt die Arbeit?" Nun, zumindest macht sie hungrig. Noch bis 22 Uhr werden die Hainzlmairs ihren Spargel waschen, schneiden, bündeln.

Der Reporter reist etwas früher ab. Im Kofferraum nimmt er 20 Kilo Spargel mit. Frischen bayerischen Spargel, den will doch jeder haben. Und selbst gestochen ist er noch viel köstlicher.

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