Gespräch mit Natalie Cole:"Ich habe eine Kondition wie ein Pferd"

Als Tochter des Jazz-Sängers Nat King Cole hat man es nicht leicht: Natalie Cole über untote Väter, ihre Heroinsucht und Amy Winehouse.

Antje Wewer

Hamburg, zehn Uhr. Zum Interview erscheint Natalie Cole im Hosenanzug. Obwohl sie eine große Frau ist, trägt sie High Heels. Sie ist erschreckend dünn, hat an diesem Morgen einen unentschlossenen Händedruck und wirkt erschöpft. Als Natalie Cole zum ersten Mal lächelt, geht die Sonne auf. Breiter und freundlicher kann man nicht lächeln, es ist dieses unverwechselbare Lurchi-Lächeln ihres Vaters. Das einen dazu einlädt, diese Frau einfach alles zu fragen, was man schon immer mal wissen wollte.

Gespräch mit Natalie Cole: "Für meinen Vater kam es nicht in Frage, dort hinzuziehen, wo alle anderen Schwarzen wohnten", sagt Natalie Cole: "Er wollte es schön haben."

"Für meinen Vater kam es nicht in Frage, dort hinzuziehen, wo alle anderen Schwarzen wohnten", sagt Natalie Cole: "Er wollte es schön haben."

(Foto: Screenshot: www.nataliecole.com)

SZ: Guten Tag Miss Cole, Sie haben wirklich sehr grüne Augen. Tragen Sie Kontaktlinsen?

Natalie Cole: Ach, diese Frage kann nur von einer Europäerin kommen. Ihr glaubt gerne, dass an uns Amerikanerinnen das eine oder andere geschummelt ist. Über meine Haut sage ich nur: blacks don't crack. Die Augenfarbe habe ich von meinem Großvater geerbt, er hatte kaukasische Vorfahren. Bis zu meinem siebten Lebensjahr war auch ich ziemlich hellhäutig. Allerdings fand das niemand sonderbar. Meine Familie hatte ein Haus in Hancock Park, Los Angeles, in unserer Nachbarschaft lebten ausschließlich Weiße - und ich fühlte mich nicht schwarz.

SZ: Ziemlich ungewöhnlich für Amerika in den Sechzigern, oder?

Cole: Rückblickend sehr! Für meinen Vater kam es nicht in Frage dort hinzuziehen, wo all die anderen Schwarzen lebten. Er wollte es schön haben. Und er wollte ein Statement setzen. Er war schließlich Nat King Cole, ein gefragter Jazzmusiker, der Martin Luther King unterstützte und es sich leisten konnte, im feinen Viertel Hancock Park zu wohnen!

SZ: Die Familie Ihrer Mutter war entsetzt, als sie Nat King Cole das erste Mal mit nach Hause brachte. Sie war strikt gegen diese Heirat.

Cole: Zum einen, weil er sehr dunkel war. Noch dazu war er Musiker, und meine Großeltern waren in Sorge, ob er mit diesem Beruf eine Familie ernähren konnte. Meine Mutter rebellierte, sie heiratete ihn trotz des Verbots. Am Ende haben ihn meine Großeltern natürlich geliebt.

SZ: Ich nehme an, als er berühmt war?

Cole: Nein, vorher schon. Aber natürlich beruhigte es sie, dass mein Vater mit seiner Musik Dollars nach Hause brachte. Die Gettys wohnten am Ende unserer Straße, mit den Mädchen der Shell-Familie hab' ich Kekse gebacken und wir sind, wie alle Nachbarskinder auch, auf eine Privatschule gegangen. Wir Cole-Kinder sind sehr behütet aufgewachsen. Das war schön, ließ mich aber auch weltfremd werden. Ich habe erst auf dem College kapiert, was Schwarze damals auszustehen hatten. In der Nachbarschaft kannten alle meinen Vater, verehrten ihn und wenn er von seinen Konzertreisen zurückkam, gab es meist ein Fest. Im Garten hatten wir ein Haus nur für Partys. Bei uns gab es Pool-, Cocktail und "4th of July"-Partys.

SZ: Das Leben war eine einzige Party?

Cole: Manchmal schon, aber es gibt natürlich auch den Katzenjammer danach. Die Partys waren herrlich. Aber auch dann hatten wir nicht viel von unserem Dad. Fünf Kinder und ein Vater, der viel auf Reisen ist. Wir wussten nie, wie lange er bleiben wird. Er war das, was wir einen Sunshine-Daddy nennen. Ein Vater, der uns zu den Baseball- Spielen der Los Angeles Dodgers mitnahm und mit uns ins Kino ging.

SZ: Sie hatten nicht lange etwas von ihm, weil Nat King Cole mit 47 Jahren an Lungenkrebs starb.

Cole: Damals war ich 15 Jahre alt und steckte mitten in der Pubertät. Ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt, seinen Vater zu verlieren. Mein Vater war Kettenraucher, drei Packungen am Tag waren es bestimmt. Er dachte wohl, dann bleibe seine Stimme schön tief. Nun ja, obwohl er daran gestorben ist, habe ich damals mit dem Rauchen angefangen.

SZ: Was hat sich noch verändert?

Cole: Von einen Tag auf den anderen war ich nicht mehr Natalie, sondern die Tochter der Legende Nat King Cole. Sie glauben nicht, wie oft ich diesen Satz gehört habe: "Schau mal, das ist doch die Tochter von..."

SZ: Aber es ist doch nicht nur eine Bürde, ein Kind berühmter Eltern zu sein, oder?

Cole: Das Paradoxe ist, dass wir, die Kinder berühmter Eltern, nie unten ansetzen. Wir denken, wir müssten gleich ganz weit oben einsteigen. Als ob alles andere nicht zählen würde. Als ob unsere Eltern nie klein angefangen hätten. Manche blockiert das total, und sie machen gar nichts, die anderen treten irgendwann dann doch in die Fußstapfen.

SZ: Sie haben ziemlich lange gewartet, bis Sie das gemacht haben.

Cole: Ich wollte als Kind nie Sängerin werden. Meine Mutter war sowieso strikt dagegen; wir sollten alle eine akademische Ausbildung genießen. Also habe ich Kinderpsychologie an der University of Massachusetts studiert und hatte wirklich fest vor, ein Auslandsjahr in Heidelberg einzulegen. Dann kam mir die Disco-Ära dazwischen. Ich begann am Wochenende zum Spaß in Bars zu singen. Meine Band war weiß, und wir spielten Pop, R'n'B und Rock'n'Roll, alles außer Jazz. Und niemals die Songs meines Vaters. Das war ein ungeschriebenes Gesetz.

Lesen Sie auf Seite zwei, wie Cole über ihre frühere Heroinsucht denkt.

"Ich habe eine Kondition wie ein Pferd"

SZ: Trotzdem wusste jeder, wer Sie sind, oder?

Cole: Ja, klar. Die Tochter von...

SZ: Nat King Cole. Ein großer Name kann auch ein Türöffner sein.

Cole: Sicher. Aber was, wenn jemand nur den Namen, aber nicht das Talent der berühmten Eltern geerbt hat? Diese Kinder tun mir unglaublich leid. Sie werden sich ihr Leben lang abstrampeln und nie bei sich selber ankommen. Künstlerisches Talent wird nicht mit der Gießkanne verteilt. Schauen Sie sich den Jackson-Clan an, eine Horde von Kindern, und doch hatten nur zwei von ihnen das Zeug zum Star.

SZ: Eine andere tragische Geschichte.

Cole: Meine geht so: Du realisierst nicht, wie berühmt und genial dein Vater ist, bis du versuchst, es ihm gleich zu tun.

SZ: Warum haben Sie es dann getan?

Cole: Weil ich das Talent dazu hatte. Während meiner Collegezeit habe ich gemerkt, dass ich gut singen kann. Ohne Unterricht, ohne Studium, ohne alles. Einfach so. Ein Geschenk von Gott. Aber bevor ich es auspacken durfte, schickte er mich erstmal auf eine lange Reise zu mir selbst.

SZ: Wie lange hat sie gedauert?

Cole: Oh dear, eine Dekade und Jahre davon war ich on the road to nowhere.

SZ: Sie meinen die Jahre, als Sie heroinabhängig waren?

Cole: Genau. Und davor gab es noch Haschisch und LSD. Das waren meine Einstiegsdrogen. Heroin ist ein Teufelszeug. Ich habe es zwei, vielleicht drei Jahre genommen und diese Phasen nur überlebt, weil ich eine Kondition wie ein Pferd habe. Neben meinem Geburtstag feiere ich auch den 28. November, weil das der Tag ist, an dem ich das letzte Mal Drogen genommen habe.

SZ: Gerade wurde bekannt, dass Sie unter Hepatitis C leiden.

Cole: Eine Spätfolge meines Heroinkonsums. Ich hatte aber Glück im Unglück, dass die Erkrankung entdeckt worden ist, als es mir gut ging und die Ärzte nun auch hochwirksame Medikamente dagegen haben. Für mich war es eine weitere Lektion, dass wir früher oder später immer unsere Rechnungen bezahlen müssen. Lassen Sie sich das von einer Frau sagen, die es wissen muss: Du kannst nicht entkommen.

SZ: Haben Sie das denn geglaubt?

Cole: Nicht bewusst. Aber ich habe sehr lange Probleme, Ängste und Muster meiner Kindheit verdrängt. Du kannst jahrelange in therapeutischer Behandlung sein, ohne dich wirklich zu stellen. Stattdessen habe ich versucht mich abzulenken. Ich habe mich erst gestellt, als der Schmerz so groß, so drückend wurde, dass ich ihn nicht mehr wegschieben konnte.

SZ: Was war denn so schmerzhaft?

Cole: Die Angst vor dem eigenen Anspruch. Das Gefühl, nicht zu genügen. Dass ich doch nur die Tochter von Nat King Cole bin, dass ich seine Fußstapfen nie füllen kann, dass ich nicht würdig bin, seine Songs zu singen. Selbst als ich schon zwölf Alben veröffentlicht und mehrere Hits hatte, war ich immer noch am Kämpfen. Innere Prozesse gehen sehr langsam vor sich. Es gibt kein Patentrezept. Es geht um eine Lektion im Leben, die gelernt werden muss. Erst wenn man das akzeptiert, kann man darüber hinwegkommen. Ergibt das Sinn? Oder klinge ich wie eine Kinderpsychologin, die LSD genommen hat?

SZ: Nein, das klingt durchaus plausibel. Aber eine konkrete Gegenmaßnahme wüsste ich gerne.

Cole: Sich stellen. In meinem Fall war das tatsächlich, ein Album mit den alten Songs meines Vaters aufzunehmen. Bewusst das zu tun, was viele Jahre an mich herangetragen wurde: Sing was von Nat King Cole! Der springende Punkt war, dass ich endlich dazu Lust verspürte. Plötzlich wollte ich es und habe dann sogar "Unforgettable" im "Duett" mit meinem Vater gesungen.

SZ: Der Song war ein absoluter Hit, monatelang in den Charts - und Sie gewannen 1991 einen Grammy dafür.

Cole: Das war großartig, aber ich war auch traurig, dass mein Vater den späten Erfolg seiner Lieder nicht mehr erlebt hat. Im Grunde will man doch, egal wie alt man ist, dass die Eltern auf einen stolz sind. Ich werde nie rausfinden, ob es einfacher für mich gewesen wäre, wenn mein Vater nicht so früh gestorben wäre. Bonnie Raitt, die Tochter des Broadway-Stars John Raitt, sagte mir mal, dass ihr Vater eine große Unterstützung bei ihrer Karriere gewesen wäre. Wenn ich junge Frauen mir ihren Vätern auf der Straße sehe, möchte ich ihnen zurufen: genießt es, es könnte schneller vorbei sein, als ihr denkt.

SZ: Sie dagegen kritisierten bei der diesjährigen Grammy-Verleihung die junge Kollegin Amy Winehouse. Warum?

Cole: Als ich Amy Winehouse sah, dachte ich an mich in meinen Zwanzigern: ein talentiertes Mädchen, das Heroin nimmt. Ich war da, wo sie gerade ist. Ich weiß, was sie gerade durchmacht. Die Musikindustrie ist oft sehr verlogen. Gewisse Strippenzieher denken, sie können noch mehr Platten von Amy verkaufen, wenn sie weiter Drogen nimmt und durchdreht. Diese Art von Heroin-Chic darf einfach nicht unterstützt werden. Wir helfen dem Mädchen nicht damit, sie mit einem Grammy auszuzeichnen, wenn sie ein offensichtliches Drogenproblem hat. Gebt Amy Winehouse Preise, wenn sie clean ist!

SZ: Jeder muss wohl seine eigenen Lektionen lernen. Warum dauert es nur so verdammt lange, bis man sie verstanden hat?

Cole: Das liegt in der menschlichen Natur. Unser Hirn ist unglaublich träge, wir sind unzufrieden, ahnen, dass wir etwas ändern müssen, wollen aber so bleiben wie wir sind. Wir halten fest an dem, was wir kennen. Wir haben wenig Vertrauen, dass für uns gesorgt ist. Bei uns Frauen kommt noch hinzu, dass wir die Männer oft so sehen, wie wir sie sehen wollen. Nicht wie sie wirklich sind.

SZ: Mit Ihrer Mutter waren Sie eine Weile zerstritten. Es ging um Geld.

Cole: Das stimmt leider. Inzwischen haben wir uns wieder vertragen. Am Ende des Tages ist sie die einzige Mutter, die ich habe. Sie ist 86 Jahre alt, sie ist immer noch eigen mit Geld, aber ich versuche dieses Thema jetzt auszuklammern. Als sie hörte, dass ich ein zweites Album mit den Songs meines Vaters aufnehme, reagierte sie kritisch. Letzte Woche erzählte sie mir dann, dass sie sich darauf freut. Mütter! Nach Männern die zweite Spezies, die uns Frauen in den Wahnsinn treibt.

SZ: Was ist mit Ihrem Sohn Robert, helfen Sie ihm bei seiner Karriere?

Cole: Er ist Musiker, lebt bei mir um die Ecke in Los Angeles. Robby ist Schlagzeuger, er ist schon oft mit mir aufgetreten. Er trägt den Nachnamen seines Vaters. Das macht vieles einfacher. Ich wünsche mir für ihn, dass Leute ihn buchen, weil er ein guter Drummer ist. Nicht, weil er der Sohn von Natalie Cole ist. Robby ist jetzt 31 Jahre alt und viel stabiler, als ich jemals war. Und das, obwohl er mich in Situationen erlebt hat, die eigentlich keine Mutter ihrem Sohn zumuten will.

Lesen Sie auf Seite drei, warum Coles Sohn keine glückliche Kindheit hatte.

"Ich habe eine Kondition wie ein Pferd"

SZ: Das klingt dramatisch.

Cole: Bedingt durch meine Abhängigkeit habe ich ihn teilweise in gefährliche Situationen gebracht. Wenn ich nicht diese wunderbare Kinderfrau gehabt hätte, wäre sicher das Jugendamt gekommen und hätte ihn einkassiert. Sie hat auch auf ihn aufgepasst, als ich in der Entzugsklinik war.

SZ: Demnach hatte Robert keine glückliche Kindheit.

Cole: Nein, aber er hat mir vergeben, dass ich damals nicht ständig für ihn da sein konnte. Geliebt habe ich ihn immer, aber es gab Phasen, da musste ich mich um mich selbst kümmern. Ich konnte nichts geben. Damals habe ich aber auch die schöne Lektion gelernt, dass Kinder - im Gegensatz zu Männern - einen bedingungslos lieben.

SZ: Schade eigentlich, oder?

Cole: Je früher man das akzeptiert, desto mehr Tränen können gespart werden. Aber ich bin sicher auch ein schwieriger Fall. Der Vater ist der erste männliche Freund, den ein kleines Mädchen hat. Er prägt dich und die Art und Weise, wie und warum du bestimmte Männer liebst. Meine Beziehungen haben schwer darunter gelitten, dass ich ohne Vater aufgewachsen bin.

SZ: Sie waren dreimal verheiratet.

Cole: Mein erster Mann war Marvin, er war der Beste. Er ist der Vater meines Sohnes und ich bereue nichts. Leider lebt er nicht mehr. Der nächste war ein Musikproduzent, mit ihm habe ich "Unforgettable" gemacht. Ein talentiertes Arschloch. Der dritte war ein Baptistenprediger, nicht besonders talentiert und ich frage mich heute ernsthaft, was ich an dem fand . . . Ich hoffe, ich klinge nicht frustriert.

SZ: Nein, eher wie eine Frau, die weiß, wovon sie spricht. Sind Sie Single?

Cole: Ja. Und ich mache mir keine Illusionen, dass sich das so schnell ändern wird. Starke Frauen finden seltener einen adäquaten Partner. Das liegt daran, dass die Männer angeblich Angst vor uns haben, was für ein Quatsch. Nein, es liegt daran, dass wir so anspruchsvoll sind. Und der Markt sehr überschaubar ist. Es gibt einfach viel mehr tolle Frauen, als interessante Männer!

Natalie Cole, 58, wurde als erstes Kind von Nat King Cole und Maria Ellington in Los Angeles geboren. Mit dem Singen beginnt sie erst nach dem Tod ihres Vaters, als sie längst das College besucht. Ihr erstes Album "Inseparable" mit dem Disco-Hit "This will be" erschien 1975. In den Achtzigern feiert sie bei uns einen großen Erfolg mit "Pink Cadillac". Nach einem Dutzend Alben sang Cole in den Neunzigern dann endlich die Jazzklassikers ihres Vaters neu ein. Das Album "Unforgettable" bescherte ihrem Vater ein großes Comeback und zeigte, dass Natalie Cole auch eine große Jazzsängerin ist. Auf ihrem neuen Album "Still Unforgettable" (Warner, ab 26. September im Handel), singt sie zusammen mit Nat King Cole "Walkin' my Baby back home". Natalie Cole hat einen erwachsenen Sohn und lebt in Los Angeles.

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