"Wir sind noch im Training":Der kalte Blick von rechts

Götz Kubitschek will der Anführer einer neuen konservativen Bewegung sein. Seine Gegner nennen ihn einen Salonfaschisten und fürchten seine aggressiven Aktionen.

Marc Felix Serrao

Sind Sie ein Nazi?" Ja, so kann man ein Gespräch auch beginnen. Es ist kurz nach 22 Uhr, die Veranstaltung im Hamburger Thalia Theater ist seit einer Viertelstunde vorbei, und Ludwig von Otting, der Kaufmännische Geschäftsführer des Hauses, hat keine Lust auf Kennenlernfloskeln.

"Wir sind noch im Training": Götz Kubitschek will "pathetisch und kalt zu gleich" sein. Und er vermittelt diese Philosophie an seine Anhänger weiter.

Götz Kubitschek will "pathetisch und kalt zu gleich" sein. Und er vermittelt diese Philosophie an seine Anhänger weiter.

(Foto: Zeichnung: privat / Montage: SZ)

Etwa hundert Meter vom Eingang entfernt hat er sich im Halbdunkel der Laternen vor einem großen, schwarz gekleideten Mann aufgebaut. "Nein, ich bin kein Nazi", sagt der zu ihm. "Ich bin konservativ." Otting schaut ratlos zu ihm auf. "Rechts", sagt der andere, der sich als Götz Kubitschek vorstellt. "Na, da sind wir weit auseinander", antwortet Otting. "Und was sollte diese Aktion eben?"

Diese Aktion. Ja, damit hatte an diesem Abend keiner gerechnet, nicht im feinen Hamburg, nicht bei dieser Lesung. Es ist halb neun, als Günter Grass in einem zerknitterten braunen Anzug ans Pult tritt, um aus seinem neuen Buch "Die Box" vorzulesen.

Der Nobelpreisträger will gerade loslegen, da ertönt von oben eine Stimme: "Vatti! Wir haben dir was mitgebracht!" Mit einem lauten Rascheln entrollt der Sprecher ein Plakat. Darauf ist ein Kopf mit Stahlhelm zu sehen, im Mund eine Pfeife. "www.ungebeten.de grüßt die moralische Instanz Günter Grass" steht darüber.

Das Wortgefecht dauert nicht lange. Grass fordert die Störer - es haben sich mehrere im Saal verteilt - auf, still zu sein. Die wiederum haben schon vor der Lesung einen Anti-Grass-Comic ("Günter - ein Alptraum") verteilt und rufen ihm nun zu, er solle endlich Schluss machen mit seiner "Nebelkerzenprosa"; eine Anspielung darauf, dass Grass jahrzehntelang verschwiegen hatte, Mitglied der Waffen-SS gewesen zu sein. Nun reagiert auch das Publikum.

"Seid ihr von der NPD, oder was?", brüllt ein älterer Herr. "Schmeißt den Knilch raus!", fordert ein anderer, was die Ordner dann auch tun. Im heute journal ist später nur von einer "Störung" der Lesung die Rede. Wer gestört hat, erfährt man nicht. Auch das Deutschlandradio "kann diese Gruppe nicht so recht einschätzen".

Die "Salonfaschisten"

Diese Gruppe. Es ist fast Mitternacht, als sie wieder vollzählig ist. Die Stimmung beim Italiener in der Nähe des Theaters ist gut. Ein Dutzend junge Männer und zwei Frauen lachen und reden wild durcheinander, einige rauchen zur Feier des Tages übelriechende Zigarillos. Der Anführer, Kubitschek, sitzt vor einem Glas Milchkaffee und grinst. Dass der Theaterchef und die meisten Journalisten nicht wussten, wer da gerade gegen den großen Grass angebrüllt hat, sei halb so wild. "Wir sind ja noch im Training." Der 38-jährige Oberleutnant der Reserve, Verleger und Institutsleiter hat seit kurzem offiziell noch einen Job: Störenfried. "Konservativ-Subversive Aktion" (KSA) hat er seine neue Gruppe getauft, frei nach Rudi Dutschke.

Der Besuch bei Grass war schon der dritte Einsatz der KSA, von den ersten beiden hat bloß kaum einer etwas mitbekommen. Am 2. Mai stürmten Kubitschek und seine Leute eine 68er-Tagung an der Berliner Humboldt-Universität und bewarfen die überraschten Teilnehmer mit Flugblättern, auf denen sie Che Guevara und andere linke Idole als Massenmörder bezeichneten. Am 14. Juni störten sie in Chemnitz eine Rede des früheren DDR-Staatsratschefs Egon Krenz.

Viele Linke, allen voran die Antifa, bezeichnen Kubitschek und seine Freunde als "Salonfaschisten". Sie nehmen ihm besonders übel, dass er ihre Methoden klaut, was der rechte Chefsponti gerne zugibt. Vor der Grass-Aktion hatte die Antifa versucht, rauszukriegen, was die KSA vorhat. Vergeblich.

Die "neue" und die "alte" Rechte

Politikwissenschaftler bezeichnen Kubitschek und seine Leute als "Neue Rechte". Alleine der wissenschaftliche Streit um den Begriff könnte diese Zeitung füllen. Nur so viel: Die "neuen" unterscheidet von den "alten" Rechten, also etwa der NPD, vor allem, dass Erstere jede Form von Nazi-Romantik ablehnen. Hitler war in ihren Augen kein verkanntes Genie, sondern ein Irrer; einer, den ihr großes Idol - Graf Stauffenberg - leider nicht in die Luft sprengen konnte. So weit, so zeitgemäß. Doch sobald es um Egalität oder die multikulturelle Gesellschaft geht, marschieren neue und alte Rechte in ihrem Ekel Hand in Hand. Und über das, was neuerdings alles als echt "konservativ" gilt, also Kinderkriegen und Tischmanieren, können Leute wie Kubitschek nur müde lächeln.

Beim Gespräch in seinem mit Büchern vollgestellten Büro im heimischen Schnellroda erzählt Kubitschek, wie ihn seine rechte Gesinnung mal fast den Beruf gekostet hätte, damals, am 16. August 2001, als er bei der Bundeswehr rausgeflogen ist. Drei Nächte lang habe er zuvor am Rheinufer im Schlafsack übernachtet, weil ihm das Zimmer in einer leeren Kaserne "unwürdig" erschien. Überhaupt sei die Prozedur "widerwärtig bürokratisch" gewesen.

Weder habe ihm der Vorgesetzte die Offiziersklappen von den Schultern gerissen, noch habe er ihm irgendetwas erklärt. Im Entlassungsschreiben stand nur, Kubitschek habe sich durch Texte in der Jungen Freiheit "an rechtsextremistischen Bestrebungen beteiligt". Nach einem öffentlichen Appell der JF hob die Bundeswehr den Bescheid 2002 wieder auf.

"Junge Kerls wollen was erleben"

Heute hat sich Kubitschek so eingerichtet, dass ihm keiner mehr reinreden kann. In seinem Heimatdorf in Sachsen-Anhalt gibt es einen Gasthof (das "Schäfchen"), eine freiwillige Feuerwehr, einen Fußballverein, einen Männerchor und ein kleines, gelb gestrichenes Rittergut - Burg Kubitschek. Hier lebt er mit Frau und sechs Kindern. Hier ist auch sein "Institut für Staatspolitik", kurz IfS, untergebracht, das er bislang mit dem Gymnasiallehrer Karlheinz Weißmann leitet. Das Amt als Institutschef, bisher sein wichtigstes, will der Familienvater noch im September abgeben. "Ich will mich mehr auf die politischen Aktionen konzentrieren", sagt er.

Mathias Brodkorb ist da skeptisch. Der 31-jährige SPD-Mann aus dem Landtag von Mecklenburg-Vorpommern kommentiert das Treiben der Rechten, auch der Neuen Rechten, seit fast zwei Jahren auf seiner Internetseite "Endstation Rechts". Er tut das so klug und differenziert wie kein zweiter Linker im Land - so dass sogar Kubitschek für die aktuelle Ausgabe seiner Zeitschrift Sezession ein kritisches, aber respektvolles Porträt ("Brodkorbs Dilemma") anfertigen ließ.

Für den SPD-Mann, der ebenfalls mit einer distanzierten Achtung von Kubitschek spricht, steckt der rechte Tausendsassa seit dem Start seiner KSA in einer "verzwickten Lage". Einerseits wolle er mithelfen, eine neue, konservative Elite zu repräsentieren - was auf viele "intellektuell ambitionierte Männer Anfang 20" attraktiv wirke. Andererseits wollten diese jungen Kerls auch "was erleben". Nur deshalb habe Kubitschek die KSA gegründet. "Kubitscheks Dilemma" so Brodkorb, "ist, dass er mit den neuen Aktionen seine eigenen Ansprüche karikiert."

Kubitscheks Mentor: Ein Gymnasiallehrer

Allerdings ist für den geistigen Überbau eher ein anderer zuständig: Karlheinz Weißmann, der zweite Mann im IfS. Man sieht es Kubitscheks Mentor, einem Studienrat mit Metallbrille und ausgebeulten Cordhosen nicht an, aber neben dem charismatischen Burgherrn ist er der wichtigste Kopf der Szene. Was Weißmann schreibt, etwa in "Das Konservative Minimum", das gilt. Im Kern gehe es um drei Dinge, sagt er: "Gegenaufklärung - Gegenöffentlichkeit - Gegenrevolution."

Es war im Jahr 1994, als Weißmann seine Ideen erstmals einem großen Publikum kundtun konnte, in einem Beitrag für die FAZ und deren Reihe "What's right?". Frank Schirrmacher, der Leiter des Feuilletons, habe sich dafür Einiges anhören müssen, erinnert sich Weißmann. Jürgen Habermas, der Philosoph, und Ignatz Bubis, der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden, hätten seinetwegen "geschäumt". Danach habe er von Schirrmacher nichts mehr gehört. Nur einmal seien sie sich noch begegnet, auf der Beerdigung von Ernst Jünger. Schirrmacher habe ihn nicht gegrüßt.

Der FAZ-Herausgeber erinnert sich anders an die Geschichte. Es habe damals viele Beschwerden gegen seine Links-/Rechts-Serie gegeben, schreibt er auf Nachfrage, "gegen die ganze Serie". Auch Lob, das sei doch klar. Weißmanns Behauptung, sein Artikel habe derart prominenten Protest hervorgerufen, nennt Schirrmacher "mythoman". "So wichtig" sei der Text nun nicht gewesen. Bei Jüngers Begräbnis habe er den Autor schlicht nicht erkannt. Er erinnere sich nur an einen Tisch, an dem die "Junge-Freiheit-Leute" saßen. Mit denen habe er nichts zu tun haben wollen.

Die Jungen sind "politisch heimatlos"

Die Junge Freiheit (JF), natürlich. Die konservative Wochenzeitung (gedruckte Auflage: rund 21 000 Stück) zählt ebenfalls zu Kubitscheks engen Verbündeten. Er hat vor zwei Jahren das Jubiläumsbuch "20 Jahre Junge Freiheit" verfasst und verlegt. Seine Frau Ellen schreibt bis heute regelmäßig in der JF. Kubitschek, Weißmann und der Chefredakteur der Zeitung, Dieter Stein, kennen sich noch aus der Deutschen Gildenschaft, einer bündischen Studentenvereinigung. Auch am Sonntag, bei Grass, muss ein Mitarbeiter der Zeitung mittendrin gewesen sein im Protestgeschehen. Der JF-Bericht, inklusive Fotos, war bereits eineinhalb Stunden nach der Lesung online.

Kubitscheks wichtigstes Mittel zur Nachwuchswerbung sind seine "Akademien". Seit acht Jahren schon laden er und Weißmann junge Leute auf ihr einsames Rittergut. In diesen Tagen, vom 4. bis 7. September, findet wieder eine solche Tagung statt. Das Thema: Strategie. "Der Wirbel, den die Konservativ-Subversive Aktion und die Widerstand-Kollegs unseres Instituts verursachen, legt eine Beschäftigung mit metapolitischer und politischer Strategie nahe", heißt es in der Einladung. Die Teilnahme kostet 100 Euro, Schüler, Studenten und Wehrpflichtige zahlen 35 Euro. Der Andrang war laut Kubitschek diesmal so groß, dass er vielen Interessenten für einen der 40 Plätze eine Absage schicken musste.

Ein Tempel aus den Schädeln der Gegner

Wer schon einmal auf so einem Treffen in Schnellroda dabei war, weiß, dass der neurechte Nachwuchs alles andere als eine homogene Gruppe ist. Korporierte Studenten sind dabei, mit beeindruckenden Schmissen im Gesicht; schwarz gekleidete Neofolk-Fans; Bayern in Tracht; Priesteranwärter; Schüler in gebügelten Hemden. "Die meisten unserer jungen Teilnehmer sind von der NPD ebenso weit entfernt wie von der CDU", sagt Kubitschek: "Politisch heimatlos also".

Gegen Ende des Jahres will der scheidende Institutschef den Unterricht noch einmal intensivieren. "Curriculum dextrum" lautet der Titel des jüngsten Projekts. Rechter Lehrplan. Über zwei Jahre sollen Klassen à zwölf Schüler Texte von Theoretikern wie Carl Schmitt oder Armin Mohler und Schriftstellern wie Gottfried Benn oder Knut Hamsun kennenlernen. "Es geht um unseren speziellen Blick auf die Dinge", sagt Kubitschek: "pathetisch und kalt zugleich".

Die jungen Teilnehmer sollen Arbeiten schreiben und Praktika absolvieren, im IfS oder im institutseigenen Verlag, Antaios. Der Name stammt aus der griechischen Mythologie. Antaios heißt dort ein Riese, der seine Kraft aus der Muttererde zieht und aus den Schädeln seiner unterlegenen Gegner einen Tempel baut.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: