Leonard Cohen:Der Mann der Stunde

Die Welt rutscht uns aus den bankrotten Händen - und wer liefert den Soundtrack dazu? Leonard Cohen ist der Sänger der Krise, der große Seher, auf seiner mutmaßlich letzten Tournee.

Hilmar Klute

Wären wir zynisch, müssten wir sagen: Wir sind dabei, uns den Untergangsfilm unserer Wertegesellschaft anzuschauen, haben aber noch keinen Soundtrack gefunden. Der Film handelt vom Erosionsprozess, der unsere großen alten Ängste vor Bankrott und Untergang noch beschleunigt. Dass nichts mehr so sein wird, wie es war, ist einer der wichtigsten Merksätze des neuen Jahrtausends, seitdem er das erste Mal nach dem 11. September 2001 ausgesprochen wurde.

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"Ich werde meinen Namen ändern": Leonard Cohen.

(Foto: Foto: dpa)

Dieser Tage geht nun unsere schönste Fiktion den Bach runter: die Wertanlage, die Börsenkurve - das Geld.

Wer singt die Hymne des Offenbarungseids - Bob Dylan? Dass die Zeiten sich ändern, ist ein bisschen zu zukunftsfroh, damit können wir nichts anfangen. Nein, der große Sänger der Krise, er sieht selbst ein bisschen aus wie ein älterer New Yorker Broker, der jetzt zwar viel Zeit zum Reisen, aber auch immer noch den Beratervertrag zur Errettung unserer bankrotten Seelen hat.

Leonard Cohen ist seit einigen Monaten durch Europa unterwegs und singt mit schöner brüchiger Stimme seine Hymne "The Future" auf eine Zukunft, die schon längst Gegenwart geworden ist: Things are gonna slide in all directions, won' t be nothing you can measure anymore.

Irre werden

Die Welt rutscht uns aus den Händen wie ein Stück Seife, und wir können keine Berechnungen mehr anstellen, welche Mittel wann, wo und mit welchem Effekt anzuwenden sind. Der Sturm der Welt, singt Cohen, hat längst die Grenze überschritten und damit die Ordnung unserer Seele umgedreht.

Das Lied ist schon 1992 erschienen und damit lange vor den ersten großen Brüchen unseres Jahrtausends. "There'll be the breaking of the ancient western code" - alles, was unser westliches Selbstverständnis ausmacht, wird zusammenbrechen: Wenn man die ganze CD "The Future" heute - 16 Jahre nach ihrem Erscheinen und sieben Jahre nach 9/11 hört - will man irre werden über die präzisen Codes Cohens - das war nicht modisch dahergeraunt, das war bis ins letzte Detail der anfliegenden Katastrophen: sehend.

Es ist immer schön, eine Stimme für die großen Aufbrüche zu haben: den frühen Dylan, die entschiedene Joan Baez, den russischen Sänger Wladimir Wyssozky, der in den siebziger Jahren bärig gegen den korrupten Sowjet sang. Aber wenn wir uns schon entschieden haben, dass wir in hoffnungslosen Zeiten leben, möchten wir gerne auch einem zuhören, der keine Morgenröte verspricht, sondern dem Elend einen sublimen literarischen Ausdruck verleiht. Einem Dichter, der eine Sprache gefunden hat für das, was kommt, wenn alles gelaufen ist; wenn sich die kapitalistische Welt selbst kannibalisiert - so wie in Cohens Lied "Last year's man", wo es heißt, dass unser Fleisch nur ein Schleier sei, den man beiseiteschieben muss, um zu sehen, wie die Schlange ihren Schwanz verspeist.

Lesen Sie weiter auf Seite 2 über Cohen als Lyriker.

Der Mann der Stunde

Wie wurde Leonard Cohen eigentlich zum Troubadour des großen Entgleitens im ausgechillten Posthistoire? Es gibt ein frühes Interview, das eine blond toupierte Kanadierin im Jahr 1966 mit Cohen führte, der damals überhaupt noch kein Sänger war, sondern einer der erfolgreichsten jüngeren Schriftsteller Kanadas, ein mit Staats- und Akademiepreisen geschmückter Lyriker, der in der Tradition Gabriel García Lorcas stand, aus dessen Poesie Cohen für sich ableitete, "dass Lyrik rein und tief sein kann und dennoch populär", wie er damals sagte.

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"I'm the little jew who wrote the bible": Leonard Cohen.

(Foto: Foto: ap)

Er schrieb den Roman "The Favourite Game" über den jungen, von Narben faszinierten Lawrence Breavman, der sagt, dass es ja wohl viel einfacher sei, eine Wunde vorzuzeigen, die stolze Narbe aus dem Kampf, als einen Pickel.

"Haben Sie einmal daran gedacht, Ihren Namen zu ändern?", fragte die Blonde im Interview.

"Ja, ich werde meinen Namen ändern in September."

"Leonard September?"

"Nein, September Cohen."

In einer Nacht im Jahr darauf rief Cohen seine Freundin, die Folksängerin Judy Collins, an und sang ihr durchs Telefon mit leiser, brüchiger Stimme ein Lied vor, in welchem eine halb verrückte Frau, die in Flussnähe wohnt, einen Fremden mit Tee und Orangen füttert, die allesamt aus China stammen; ein Lied, in dem Jesus ein Seemann ist und Honig auf "unsere Lady im Hafen" tropft, während Suzanne den Spiegel hält.

Sänger des Abgrunds

Dieses Lied, Suzanne, ist eigentlich weniger ein Song als ein sehr rhythmisches Gedicht, in dem nur zwei Zeilen durch einen Reim verkettet sind: blind und mind, die Homersche Blindheit, mit welcher der Dichter unterwegs ist und der Geist, dem einzig die Berührung gestattet ist - so texten normalerweise keine Liedermacher, so schreibt ein an den großen poetischen Ästhetiken der Moderne geschulter Lyriker.

Ja, natürlich muss auch daran erinnert werden, dass dieses eigentlich doch sehr rätselhafte Lied von Tausenden in irgendwelche Susannen verliebten Studenten tapfer weggeklampft worden ist, und das obwohl sie ärgerlicherweise immer diesen platonischen Widerhaken mitsingen mussten: you've touched her perfect body with your mind.

Aus Leonard wurde im Jahr 1967 natürlich nicht September Cohen, aber aus dem etwas vorlauten kanadischen poète maudit wurde ein dunkler Sänger des Abgrunds und des Albtraums, der weniger an die Folktradition der amerikanischen Nachkriegszeit anknüpfte, als dass er den Gestus und Duktus der frankophonen Chansonniers besaß; er war eher Jacques Brel als Woody Guthrie, eher Serge Gainsbourg als Bob Dylan.

Die dunklen Stimmen

Auch seine Poesie speiste sich aus den großen und dunklen Stimmen der europäischen Literatur - den kleinen Wiener Walzer aus García Lorcas großem Poem "Dichter in New York" übersetzte er sich in ein Requiem auf den Tod selbst: "In Wien gibt es zehn schöne Frauen, es gibt eine Schulter, an welcher der Tod zu weinen beginnt, eine Festhalle mit neunhundert Fenstern, diesen Baum, in den die Tauben zum Sterben kommen."

Ein bisschen muss man wohl nörgeln, dass Cohen die ersten zwanzig Jahre seines Sängerlebens viel Zeit mit Liebeszeug verbracht hat. Erst in den späten achtziger Jahren fand er plötzlich eine wilde, aufregende dichterische Sprache für unsere kommenden Katastrophen; er zeichnete in "First we take Manhattan" den Wahnsinn des weltenvernichtenden Attentäters vor, den ein Signal am Himmel leitet, ein Muttermal auf der Haut - "es ist Vatertag und alle sind verwundet"; Cohen schafft es mit dieser Poesie sogar, die Erinnerung an das Roma-Orchester von Auschwitz in ein geheimnisvoll verzaubertes Lied zu bannen, in dessen Anfangszeile Grauen und Ästhetik zu einer der schönsten poetischen Metaphern für die Liebe in den Zeiten der Gewalt verschmelzen: "Dance me to your beauty with a burning violin."

Und in "Everybody knows" steht, dass wir alle zwar wissen, dass die Würfel gefallen sind, das Schiff ein Leck und der Kapitän gelogen hat. Aber was empfinden wir dabei? Wir haben nur so ein kaputtes Gefühl, als sei unser Vater oder unser Hund gestorben. Mehr nicht. Es sind Texte von brutaler Schönheit, wie schon die frühe Ballade "Avalanche" über jene bucklige Gestalt, die in eine Lawine trat, jedes menschliche Gefühl verliert und deren letzter Triumph es ist, sich mit dem Fleisch der Geliebten zu kleiden.

Lesen Sie weiter auf Seite 3, wo man Cohen erleben kann.

Der Mann der Stunde

Aber zwischen all den Explosionen, den Spielarten des Miteinanders, den Grenzüberschreitungen, den Visionen von brennenden Straßen, Phantomen und Feuern sowie den lausigen kleinen Dichtern, die in Katastrophengeilheit angelaufen kommen und wie Charles Manson klingen wollen, gibt es in Cohens Lied "The Future" diesen einen, in seiner utopischen Originalität eigentlich auch sehr komischen Satz : "I'm the little jew who wrote the bible." Hahaha. Dann war es also doch nur einer, der die Bibel schrieb?

Vielleicht, und das wäre nicht einmal so vermessen, ist mit der Bibel ja auch "Das Buch der Sehnsüchte" gemeint, Cohens jüngster, bisher umfangreichster Band mit Gedichten, Kurzprosa, Zeichnungen und Computerbildern, den der Münchner Blumenbar Verlag jetzt auf Deutsch herausgebracht hat. Ein großartiges Buch, sozusagen die Überwindung Leonard Cohens durch Leonard Cohen:

Die starken romantischen Bilder sind noch da, die Sehnsüchte, Nachtigallen und spirituellen Trips. Aber die Weisheit von früher, all jene Verheißungen und heiligen Botschaften werden gleichzeitig parodiert, wenn der Erleuchtete sagt: "Mein Rat wird sehr geschätzt. Zum Beispiel: Piss nicht auf zu große Pinienzapfen."

Für pinienzapfenfixierte Philologen ist Cohens Buch übrigens eine Fundgrube - Pinienzapfen kommen an mindestens drei Stellen vor. In "Sisters of Mercy", einem der großen alten Cohen-Songs, hieß es noch, dass man das Licht getrost aus lassen könne, weil ja die Adresse jener Gnadenschwestern im Mond zu lesen sei. Heute schreibt Cohen: "Der Mond, er wirkt so streng heute Nacht; er hat die Fratze einer Eisernen Jungfrau, wo er doch sonst dreinschaut wie ein Dorftrottel." Das ist er wohl - der Bankrott der großen Idee von der Erlösung.

Die Antwort

Aber die Moderne hat ja Gott sei dank noch ein sehr lässiges, an verzweifelter Komik kaum zu überbietendes Spielzeug in ihrer Asservatenkammer liegen: die Endlosschleife. Beckett hat sie in "Warten auf Godot" seinen beiden traurigen Männern um den Hals gelegt, damit sie sich immer wieder gegenseitig mit Hilfe der gleichen Sinnlosigkeiten ihrer Existenz versichern, ständig aufs Neue also dieses: Ich habe nichts - Ich gehe. Ich auch - Schlief ich schon lange? - Ich weiß nicht - Wohin gehen wir. Nicht weit.

So kann man sich mit Worten in eine Art Drehschwindel schrauben, und im schlimmsten Fall geht man daran zugrunde. Man kann die Endlosschleife aber auch zum Stilprinzip erklären, dann fährt man zum Beispiel wie Bob Dylan mit seinen alten Sachen immer wieder um die Erde, zersingt ein Lied bis zur Unkenntlichkeit und stellt sich und sein Werk immer wieder aufs Neue aus.

Oder man macht es wie Leonard Cohen, der kürzlich an seinem 74. Geburtstag auf der Bühne im Arcul de Triumf in Bukarest stand und zentnerschwere rumänische Sahnetorten in Empfang nahm. Vorher hatte sein Chor, die sublimen Webb-Sisters, Cohens poetisches Testament Tower of Song in ein endloses "Doo dam dam dam dee doo dam dam" fließen lassen. Wenn dieses Lied ausklingt, sieht Cohen immer eine Weile zu, zieht dann seinen Fedorahut und sagt den Leuten: "Ich habe die Religionen und Philosophien der Welt studiert und nie die Antwort gefunden, was der Schlüssel zu unserem Dasein ist. Jetzt habe ich die Antwort, Freunde: Sie lautet doo damm dam dee . . . "

Natürlich lachen die Rumänen, genauso, wie zuvor die Iren und die Briten und die Italiener und Franzosen gelacht haben. Aber ob sie alle wirklich verstanden haben, dass Leonard Cohen, der seit so vielen Jahren an den dunklen Rändern der Poesie entlangrauschende Engel, dieser wahrhaft kriegerische Sänger und hasserfüllte Liebesdichter, etwas fertiggebracht hat, das nur wenigen Elegikern glückt: die Rettung in die Selbstironie, die Heimkehr in eine Art sanfte Parodie der eigenen Kunstfigur, die dieser Mann ja auch immer war - dance me through the panic till I'm gathered safely in.

Am Montag erscheint Leonard Cohens "Buch der Sehnsüchte" im Münchner Blumenbar Verlag.

Am Samstag, 4. Oktober, tritt Cohen in der Berliner O2-Arena auf. Am Montag, 6. Oktober, spielt er in der Olympiahalle in München. Weitere Konzerte in Deutschland: Am 29.Oktober in Frankfurt, am 31.Oktober in Hamburg, am 2.November in Oberhausen.

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