Q-Fieber in den Niederlanden:Fieberhaftes Schlachten

Die Niederlande töten Zehntausende Ziegen, um eine rätselhafte Tierseuche einzudämmen. Ihr Erreger kann auch dem Menschen gefährlich werden und gilt in den USA als B-Waffe.

Franziska Draeger

Im trächtigen Ziegenweibchen reift das junge Lamm heran. Mit ihm wachsen Abermilliarden von Bakterien, die sich im Mutterleib explosionsartig vermehren - die Erreger des Q-Fiebers, Coxiella burnetii. Die Seuche, die auch Menschen gefährlich werden kann, grassiert derzeit auf niederländischen Höfen. 2300 Einwohner erkrankten dort im vergangenen Jahr am Fieber, sechs starben an den Folgen. Um die Ausbreitung zu stoppen, wurden bereits Tausende Tiere notgeschlachtet - dabei weiß die Wissenschaft noch nicht genau, warum an der Seuche auch so viele Menschen erkranken.

Ziegenzucht, Niederlande, dpa

Die Niederlande exportieren mehr Feta-Käse als Griechenland - 300.000 Ziegen machen es möglich.

(Foto: Foto: dpa)

Tiere spüren die Infektion kaum, trächtige Weibchen erleiden allerdings oft Früh- oder Totgeburten. Mit Fruchtwasser und Mutterkuchen gelangen die Bakterien ins Freie. Dort bilden sie Dauerformen und trotzen jahrelang Trockenheit und Hitze. Bis sie zum Beispiel von einem Spaziergänger eingeatmet werden, der über eine Weide geht. Ein einziger Keim kann ausreichen, um einen Menschen zu infizieren.

Erste Anzeichen einer Ansteckung sind grippeähnliche Symptome wie Fieber, Schüttelfrost und Stirnkopfschmerzen. Die Beschwerden werden durch Antibiotikagabe zwar gelindert. "Vollständig abtöten lassen sich die Bakterien aber nicht. Sie ziehen sich ins Rückenmark zurück, in blutbildende Zellen und in die Fresszellen des Immunsystems", sagt Georg Baljer, Experte für Infektionskrankheiten bei Tieren an der Universität Gießen. "Dort gelangen die Medikamente nicht hin." Noch Jahre später können sie Hirnhaut- oder Herzklappenentzündung auslösen.

In den USA gelten die Bakterien, die erstmals 1935 bei australischen Schlachthofarbeitern beschrieben wurden, als biologische Waffe der Kategorie B. Weniger tödlich als Milzbrand, aber mit dem Potential, Krankheit und Angst zu verbreiten. Der Name geht auf die zunächst unklare Herkunft des Fiebers zurück - und ist die Abkürzung für "query", fragwürdig. Der Name blieb, auch als 1937 der Erreger beschrieben wurde.

Die niederländische Landwirtschaftsministerin, Gerda Verburg, hat nun eine Massenkeulung trächtiger Ziegen angeordnet. Mehr als 40.000 Tiere, elf Prozent des Ziegenbestandes im Land, sollen bis Ende Januar mit der Giftspritze getötet werden. Baljer hält das für maßlos übertrieben. "Das ist vor allem politischer Aktionismus." Naiv ist es wohl obendrein. "Damit könnte man die Seuche nur beenden, wenn man danach die Zucht einstellen würde", sagt Baljer. Denn die Bakterien überdauern nicht nur im Freien, sondern in verschiedenen Wirten: In Schafen, Rindern, Hunden und Katzen, aber auch in Fliegen, Zecken und Vögeln. In seltenen Fällen wird von einer Übertragung von Mensch zu Mensch berichtet, zum Beispiel während der Entbindung, durch Blut- und Knochenmarktransfusionen oder Geschlechtsverkehr.

In Deutschland ist jedes zweite Schaf infiziert

In Deutschland, schätzt Baljer, ist mittlerweile jedes zweite Schaf infiziert. Dennoch bleibt die Zahl der Neuinfektionen bei Menschen relativ konstant. Seit 2001 haben sich dem Robert-Koch-Institut zufolge hier ähnlich viele Menschen mit Q-Fieber angesteckt wie in den Niederlanden 2009. In der Bundesrepublik häufen sich Krankheitsfälle zwar hin und wieder wie 2008 im Lahn-Dill-Kreis, in dem 64 Q-Fieber-Patienten gemeldet wurden. Die Verbreitung wurde allerdings eingedämmt: Mutterschafe durften nur im Stall ablammen, Nachgeburt und Mutterkuchen mussten aufwendig entsorgt werden.

Tiere wurden gegen Zecken behandelt, die die Erreger übertragen können. Menschen, die nicht in der Tierhaltung arbeiteten, durften sich Schafen und Ziegen nicht nähern. Mit einer Sondergenehmigung wurden zwei Schafherden geimpft, mit einem in Deutschland nicht zugelassenen Impfstoff der französischen Firma CEVA. Leider sei die Durchführung eher "politisch pragmatisch" gewesen: Weil Standards einer medizinischen Studie nicht eingehalten wurden, habe es keine verwertbaren Ergebnisse gegeben, sagt Baljer. Aber zumindest seien nach der Immunisierung keine neuen Patienten gemeldet worden.

Auch in den Niederlanden soll der Impfstoff großflächig eingesetzt werden. Allerdings wirkt er nur bei Tieren, die nicht infiziert sind. Da man nicht schnell genug testen kann, welche Ziegen infiziert sind, töten Spezialisten alle trächtigen Ziegen auf Höfen, auf denen der Erreger entdeckt wurde. Und zwar bevor die Lämmer im Februar geboren werden.

Warum sich die Bakterien in den Niederlanden so schnell ausbreiten, ist unklar. Vermutlich liegt es auch an der enorm gestiegenen Ziegenhaltung - nach einer Schweinepestepidemie 1997 stiegen viele Bauern auf Ziegen um. Gab es 1995 erst einige Tausend Ziegen in den Niederlanden, so sind es heute mehr als 300.000 und die Niederlande exportieren mehr Feta-Käse als Griechenland.

Weil Höfe oft nah beieinander liegen und Tiere häufig transportiert werden, breiten sich Infektionen schnell aus. Einen anderen Grund nennt der niederländische Veterinär Hendrik-Jan Roest. Im Fachblatt Science sagt er, dass alle in den Niederlanden infizierten Menschen und Ziegen den gleichen genetischen Untertyp von C. burnetii aufwiesen, vielleicht handele es sich dabei um eine besonders aggressive Variante des Bakteriums. Während die Forscher versuchen, das Rätsel zu klären, laufen die Notschlachtungen auf Hochtouren.

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