Atomausstieg:"Die absolut richtige Strategie"

Er prophezeit, dass die Kernkraft schon 2020 überflüssig sein könnte: Der Präsident des Umweltbundesamtes, Jochen Flasbarth, über den Atomausstieg und die Energieversorgung der Zukunft.

M. Bauchmüller

Nach Auffassung von Jochen Flasbarth, Präsident des Umweltbundesamtes, machen sich die Deutschen zu viele Gedanken über die Kernkraft. Schon 2020 könnten die Reaktoren überflüssig sein - weil erneuerbare Energien sie ersetzen können. "Das passt genau zum bisherigen Ausstiegsfahrplan", sagt Flasbarth.

Atomausstieg: "Auch wenn kein Wind weht, gehen die Lichter nicht aus": Jochen Flasbarth.

"Auch wenn kein Wind weht, gehen die Lichter nicht aus": Jochen Flasbarth.

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SZ: Herr Flasbarth, die Deutschen erregen sich wieder mal über die Kernkraft, und Barack Obama spendiert Milliarden für neue Reaktoren. Sind wir hier auf dem komplett falschen Dampfer?

Flasbarth: Überhaupt nicht, im Gegenteil. Wir haben doch die Notwendigkeit von Klimaschutz, die Verbindung von Klimaschutz mit wirtschaftlicher Entwicklung viel früher entdeckt. Die USA liegen zurück, nicht wir.

SZ: Mit Klimaschutz argumentiert Obama auch.

Flasbarth: Zunächst mal hat Obamas Kurswechsel wohl weniger mit Klimaschutz zu tun als mit taktischen Erwägungen in Amerika. Zweitens ist und bleibt richtig, dass die Atomenergie keine nachhaltige Form der Energieversorgung ist, wegen ihrer Risiken, wegen der ungeklärten Endlagerung, letztlich auch wegen begrenzter Rohstoffe. Deshalb muss sie schnellstmöglich beendet werden. Und drittens hat sie auch technologisch und wirtschaftlich keine Zukunftsperspektive. Einen großen Fortschritt kann ich in Obamas Ankündigung jedenfalls nicht erkennen.

SZ: Immerhin planen einige Länder neue Kernkraftwerke.

Flasbarth: Abwarten. Schauen Sie sich die Preisentwicklung bei einigen Atomprojekten an, da sind die Preise massiv angestiegen. Selbst jenseits von Fragen der Nachhaltigkeit und Sicherheit sehe ich nicht, wie sich diese Technologie behaupten will. Deshalb ist die Strategie, die wir in Deutschland verfolgen, absolut richtig. Wir setzen auf die Technologie der Zukunft, und das sind die erneuerbaren Energien. Die werden im Lauf dieses Jahrhunderts weltweit die Vorherrschaft übernehmen.

SZ: Bundesumweltminister Röttgen hält Kernkraft für überflüssig, sobald 40 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien kommt. Wann ist denn dieses Ziel zu erreichen?

Flasbarth: Nach unseren Daten um das Jahr 2020 herum. Aber es setzt natürlich eine Politik voraus, die den Ausbau weiter fördert und nicht hemmt. Das entspricht ziemlich genau dem Ziel, die Kernkraft durch erneuerbare Energien zu ersetzen. Wir glauben, dass die Brücke, so wie sie jetzt aufgestellt ist, exakt ins Feld der erneuerbaren Energie führt.

SZ: Dann kann sich die Koalition einige Arbeit sparen - an den Atomausstieg müsste sie jedenfalls nicht mehr ran.

Flasbarth: Innerhalb der Bundesregierung ist beschlossen worden, die Laufzeitverlängerung zu betrachten. Das soll im Rahmen eines Energiekonzeptes geschehen. Wir können dazu nur unseren Rat beitragen. Und der ist, dass wir den Anteil von 40 Prozent erneuerbaren Energien gut um das Jahr 2020 erreichen können. Das passt genau zum bisherigen Ausstiegsfahrplan.

SZ: Und die stehen verlässlich zur Verfügung? Oder nur, wenn der Wind weht?

Flasbarth: Die Frage ist doch, was bedeutet eigentlich verlässlich? Auch wenn kein Wind weht, gehen die Lichter nicht aus, weil flexible fossile und erneuerbare Kraftwerke oder auch Stromspeicher den Wind und die Sonne ergänzen - das wird im europäischen Stromverbund über den Markt geregelt. Damit das effizient klappt, müssen wir in den Ausbau der Netze investieren, damit Spitzenlastkraftwerke die Lücken füllen können. Letztlich entscheidend ist die Kompatibilität von konventionellem Kraftwerkspark und erneuerbaren Energien.

SZ: Was heißt das?

Flasbarth: Es ist eine Frage der Physik. Wind und Sonne liefern eben nicht konstant gleiche Strommengen, sondern mal mehr und mal weniger. Deshalb braucht man daneben Kraftwerke, die schnell rauf- und runtergefahren werden können. Das sind typischerweise hochflexible Erdgaskraftwerke, die für die erneuerbaren Energien einspringen können. Deshalb unterstützen wir auch fachlich die Reihenfolge, die Röttgen vorschlägt: Erst gehen die Atomkraftwerke raus und dann die Kohlekraftwerke. Übrigens ist es auf lange Sicht auch besser, alte Kohlekraftwerke jetzt nicht durch neue zu ersetzen. Denn die werden mit ihren Emissionen zwischen 2030 und 2050 unsere Klima-Hypothek sein.

SZ: Schön und gut. Und wer soll das bezahlen?

Flasbarth: Bei uns wird Klimapolitik viel zu oft ausschließlich von der Kostenseite gesehen. Sehen Sie es mal von der anderen Seite. In der Klimapolitik und den erneuerbaren Energien liegt ein enormes Wachstumspotential. Wir gehen von 2,5 Prozent Wachstum und etwa 630000 zusätzlichen Jobs pro Jahr bis 2020 aus, wenn die Regierung ihre Klimaschutzziele umsetzt. Der Klimaschutz wird so der Innovationsmotor in diesem Jahrhundert sein. Diejenigen, die voranpreschen, werden wirtschaftlich profitieren. Das zweite ist, je schneller wir bei erneuerbaren Energien in die Massenfertigung kommen, desto günstiger wird der ganze Umbau unserer Energieversorgung. Für eine Industrienation wie Deutschland ist das eine extrem kluge Strategie.

SZ: Das sagt sich leicht, Umbau der Energieversorgung.

Flasbarth: Der Dreh- und Angelpunkt ist der Umbau des Kraftwerkparks. Aber wir müssen auch die Netze umbauen, hin zu intelligenten Netzen.

SZ: Intelligente Netze?

Flasbarth: Das sind Stromnetze, in denen sich die Stromnachfrage stärker nach dem Angebot richtet. Da können Sie zum Beispiel ein großes Kühlhaus für ein paar Stunden vom Netz nehmen, wenn Strom knapp ist. Wenn er im Überfluss vorhanden ist, kühlt es wieder. Die Kälte lässt sich so lange speichern, und wir werden gleichzeitig viel flexibler. Technisch ist das schon längst möglich. Jetzt müssen wir damit anfangen.

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