Missbrauch in der Kirche:"Die Täter sind sexuell unreif"

Bischof Mixa zufolge soll die sexuelle Revolution mit an Missbrauchsfällen in der Kirche schuld sein - Unsinn, meint Psychoanalytikerin Perner. Ein Gespräch über die tatsächlichen Ursachen.

Barbara Vorsamer

Prof. Dr. Rotraud Perner ist eine österreichische Psychoanalytikerin und Autorin. Von ihr stammt das Buch "Die Wahrheit wird euch frei machen", das sich mit sexueller Gewalt im kirchlichen Bereich befasst.

Rotraud Perner

Rotraud Perner

(Foto: Foto: oh/Helmut Klein)

sueddeutsche.de: Frau Perner, der Augsburger Bischof Walter Mixa gibt in einem Interview der sexuellen Revolution der Sechziger Jahre eine Mitschuld an Kindesmissbrauch in katholischen Einrichtungen. Hat er damit Recht?

Rotraud Perner: Natürlich nicht. Sexuellen Missbrauch von Kindern gab es schon immer. Die sexuelle Revolution in Deutschland war bekanntlich 1968 - und hat sich nicht in katholischen Kreisen abgespielt.

sueddeutsche.de: Was ist die tatsächliche Ursache für sexuellen Missbrauch in katholischen Einrichtungen? Befördert das Zölibat die Übergriffe?

Perner: Am Zölibat liegt es nicht. Das Problem ist, dass die katholische Kirche alle Arten der Sexualität ablehnt, positive wie negative. Weil sie sich überhaupt nicht damit auseinandersetzt, kommen viele katholische Priester nicht mit ihrer eigenen Erregung klar. Die meisten Laien übrigens auch nicht. Sexueller Missbrauch kommt nicht nur in der katholischen Kirche vor. Die Ursache ist überall gleich: Sexuelle Unreife des Täters - also die Unfähigkeit, mit körperlicher und emotionaler Erregung umgehen zu können.

sueddeutsche.de: Stimmt die Annahme, dass der Beruf des Priesters sexuell unreife Männer anzieht, die daher häufiger zu Tätern werden?

Perner: In dem Alter, in dem die Männer ins Priesterseminar kommen, sind sie sexuell unreif - wie wir alle. Dann wird versucht, sie von Versuchungen "reinzuhalten", weswegen sie in einer vorpubertären Phase stecken bleiben. Sie müssten sich aber mit ihrer Sexualität - auch mit den Schattenseiten - auseinandersetzen und lernen, sie zu beherrschen. Ich sage bewusst "beherrschen", nicht unterdrücken. Das funktioniert nicht.

sueddeutsche.de: Wie Sie bereits angemerkt haben, ist Missbrauch kein Phänomen des katholischen Umfeldes. Warum regt sich die Bevölkerung über Fälle in der Kirche besonders auf?

Perner: Die katholische Kirche hat einen allgemeinen Heilsanspruch und Priester sollen den göttlichen Geist vermitteln. Kommt es in so einem Verhältnis zu Missbrauch, ist das die ärgste Form von Gewalt. Sie betrifft nicht nur den Körper, sondern auch Geist, Seele und das Gewissen. Dazu kommt, dass die Kirche falsch auf die Vorfälle reagiert und oftmals die Täter schützt, indem sie verschleiert statt aufklärt.

sueddeutsche.de: Die meisten Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern ereignen sich im familiären Umfeld. Wie ist das zu erklären?

Perner: Durch sexuelle Neugier und sexuelle Erregung. Dann nimmt sich der Täter die Opfer, die sich am wenigsten wehren können und denen nicht geglaubt wird: Kinder oder behinderte Menschen.

sueddeutsche.de: Wie kann man sexuellem Missbrauch in der Kirche vorbeugen?

Perner: Durch professionelle Begleitung von Menschen, die mit Kindern und in der Seelsorge arbeiten. Besonders bei Priestern, die das Zölibat leben, muss genau hingeschaut werden. Sie müssen sich selbst und ihre Sexualität gut kennen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: