Kirche und Sexualität:Das Tier soll in den Käfig

Dass die Kirche wegen sexuellen Missbrauchs unter Generalverdacht steht, ist unfair. Dennoch muss sie das speziell katholische Verhältnis von Sex, Religion und Macht revolutionieren.

Matthias Drobinski

Die katholische Kirche steht unter Verdacht. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ein neuer Fall öffentlich wird, wo Männer der Kirche Kinder oder Jugendliche sexuell missbraucht haben; mal ist es zehn Jahre her, mal dreißig.

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Priesterweihe im Vatikan: Im Männerbund finden Partnerlose Anerkennung.

(Foto: Archivfoto: dpa)

Es melden sich nach langem Schweigen Menschen, deren ganzes Leben überschattet ist von diesem Missbrauch; es wird offenbar, wie lange an Schulen und in Pfarreien, in Jugendgruppen und Orden das Thema verdrängt und geleugnet wurde. Zunehmend wird nun aus dem Verdacht der Generalverdacht: Vom Zölibat, von der Haltung der katholischen Kirche zur Sexualität überhaupt, geht der direkte Weg zum sexuellen Missbrauch. Dieser Generalverdacht ist falsch und unfair.

Die Toleranz der Gesellschaft ist gefragt

Er ist falsch und unfair, weil sexueller Missbrauch überall vorkommt, wo Männer - es sind fast nur Männer - eng mit Kindern und Jugendlichen zusammen sind: am häufigsten in der Familie, aber auch an der staatlichen Schule, im Sportverein, in der evangelischen Kirche. Und dann ist es genauso falsch, katholischen Priestern eine krankhafte Sexualität zu unterstellen, wenn sie versprechen, keusch zu leben: Es gibt Menschen, die ohne Sex glücklich werden - hier ist in einer sexfixierten Welt die Toleranz derer gefragt, die sich das ihrerseits nicht vorstellen können.

Trotzdem erzwingt der offenbar gewordene Missbrauch den Blick auf das Verhältnis der katholischen Kirche zur Sexualität. Missbrauch innerhalb dieser Kirche schmeckt nun mal nach Katholizismus, so wie er in der Waldorfschule nach Antroposophie schmeckt und im Schwimmverein nach Leistungssport. Es gibt katholische Gründe für den Missbrauch, dafür, warum er gedeckt, verschwiegen, vertuscht wird.

Man weiß das auch im Vatikan. Im Jahr 2002 versammelte Papst Johannes Paul II. dort alle, die in der Erforschung des sexuellen Missbrauchs Rang und Namen haben. Die Fachleute sagten: Meistens sind die Opfer sexueller Übergriffe Mädchen - nur in der katholischen Kirche sind sie in der Mehrzahl Buben.

Eine hilflose Antwort

Das legt nahe, dass für Männer mit unklarer sexueller oder uneingestanden homosexueller Orientierung die Priesterweihe oder der Ordenseintritt eine Fluchtmöglichkeit ist: Hier bringt es Anerkennung, wenn man ohne Partner bleibt, hier existiert ein Männerbund, der Nähe bietet - und in seiner Liturgie mit Gesang und Messgewand ein hohes Maß an Weiblichkeit. Dies kann ein wohltuender Kontrast zur Macho-Welt sein. Manche Männer aber heiligen so ihre sexuellen Probleme - bis sie aufbrechen.

Die Kurie in Rom hat daraufhin Homosexuelle aus den Priesterseminaren verbannt. Es war eine hilflose Antwort, die viel über das Problem dieser Kirche mit der Sexualität erzählt. Sie ist ja zunächst einmal gar nicht so leibfeindlich, diese Kirche; eine Ehe gilt ihr erst als vollzogen, wenn die Partner miteinander schlafen, und die Sexualität dient laut Kirchenrecht nicht nur dazu, Kinder zu zeugen, sondern genauso der Lust der Partner aneinander.

Nur versucht die katholische Kirche, diese Sexualität zu ordnen, angstvoll zu kontrollieren wie ein böses Tier, das in den Käfig gehört. Sex gehört zur verhütungsmittelfreien Ehe; alles andere ist Sünde, Unordnung, diabolisch, zu bekämpfen. Es ist der Versuch, etwas zu beherrschen, was sich naturgemäß der Herrschaft entzieht.

Lesen Sie weiter, was passiert, wenn Sexualität und Macht auf zerstörerische Weise zusammenkommen.

Der katholische Beigeschmack der Gewalt

Für die meisten Katholiken ist das kein großes Problem - sie entscheiden selber, was sie tun; sie haben dabei vielleicht ein schlechtes Gewissen. Viele hören aber mittlerweile einfach weg, wenn ihre Kirche redet - was auch wieder schade ist, denn vieles, was sie zum Verhältnis von Sexualität, Liebe und Menschlichkeit sagt, wäre in einer durchsexualisierten Gesellschaft hörenswert.

Für alle jedoch, die ein Amt oder einen Beruf in dieser Kirche haben, kann der Verstoß gegen die katholische Sittenlehre existentielle Folgen haben. Es wird entlassen, wer sich zu seiner Homosexualität bekennt, wer geschieden ist und wieder heiratet, wer unverheiratet mit einem Partner zusammenlebt. Hier kommt zur Sexualität die Macht, sie verbinden sich auf zerstörerische Weise.

Sex und Macht gehören nicht zusammen

Denn wenn sich Macht und Religion und Sexualität verbinden, muss geschwiegen, versteckt, verdrängt werden, dann entsteht ein Klima des Ungesagten und Unsagbaren, dann werden Menschen erpressbar - je näher sie an einer Schule, in einer Pfarrei, in einem Orden sind, umso eher. Auch das ist ein Grund, weshalb Missbrauch unentdeckt und ungeahndet bleibt. Dies ist der katholische Beigeschmack der Gewalttat. Er schmeckt furchtbar bitter.

Die katholische Kirche tut nun einiges, um Missbrauch zu verhindern, ihn aufzudecken, den Opfern zu helfen - spät, manchmal noch nicht konsequent genug, aber immerhin. Das eigentümlich katholische Verhältnis von Sexualität, Religion und Macht hat sie aber noch nicht im Blick - das ist ihr tief liegendes Problem.

Sexualität und Glaube gehören zusammen, weil Sexualität und Religion den Menschen im Tiefsten berühren. Sexualität und Macht - das gehört getrennt, strikt getrennt. Weil die katholische Kirche nur dann glaubwürdig vertreten kann, dass Eros und Liebe zusammengehören. Und weil der Schritt von der Macht zur Gewalt so klein ist.

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