Affäre um Amerell:Vorläufiges Ende einer bizarren Geschichte

Der DFB beendet den Fall Amerell. Es fällt auf, dass sich der Verband in der Defensive fühlt. Weitere zivil- und strafrechtliche Schritte sind noch offen.

Thomas Kistner

Es ist eine bizarre Geschichte voller Verdachtsmomente und übler Unterstellungen, sie spielt im Zentrum des deutschen Profifußballs und im Themenfeld Homosexualität, um dessen Enttabuisierung sich just der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, Theo Zwanziger, angeblich gern bemüht. Jedenfalls kommt es so in seinen Reden herüber, zuletzt bei der Trauerfeier um Torwart Robert Enke im vergangenen Herbst. Bisher aber vermieden es die Beteiligten auffallend, das homosexuelle Milieu, das in der Causa um den ehemaligen Schiedsrichter-Sprecher Manfred Amerell und die ihm angelasteten Verfehlungen klar zutage tritt, als solches zu benennen.

Affäre um Amerell: Der DFB beendet die Ermittlungen in der Affäre um Manfred Amerell.

Der DFB beendet die Ermittlungen in der Affäre um Manfred Amerell.

(Foto: Foto: Imago)

Der DFB windet sich, es sei ihm "wichtig festzuhalten, dass es im Fall Amerell nicht um die Bewertung sexueller Neigungen geht" - andererseits sei es unzulässig, "die betroffenen Personen in den Kontext Homosexualität zu stellen". Amerell sagte am Mittwoch im DSF: "Ich kann nichts dementieren und ich kann nichts bestätigen. Ich weiß nicht mal, worum es geht."

Amerell wurde von Fifa-Referee Michael Kempter sexueller Belästigung geziehen. Der DFB fand dann bei einer ebenso spät wie eilig betriebenen Anhörung mehrere weitere Schiedsrichter, die "in der Vergangenheit bedrängt und/oder belästigt worden" sein sollen, wie er Dienstag mitteilte. Ob es zu Übergriffen kam, die den Staatsanwalt beschäftigen müssten, blieb dabei unklar. "Ob strafrechtliche Schritte eingeleitet werden, liegt zunächst in der Entscheidung der Betroffenen", heißt es in der DFB-Mitteilung. Der Verband selbst hat jedenfalls keine Anzeige gestellt. Amerells Anwalt Jürgen Langer hatte ihn schon am Wochenende auf die Risiken einer möglichen Strafvereitelung hingewiesen.

Es zähle nur das Abhängigkeitsverhältnis in diesen Fällen, sagt Zwanziger, das er mit dem zwischen Lehrer und Schüler vergleicht. Andererseits verweigert der DFB Amerell jede Einsicht in den abgeschlossenen Fall. Am Mittwoch winkte auch das von Anwalt Langer angerufene DFB-Sportgericht ab. "Es gab kein Verfahren, also keine Akten, also keine Akteneinsicht", sagte DFB-Richter Hans Lorenz der SZ. Was zwar inhaltlich, nicht aber terminologisch zu Zwanzigers Darlegung des Sachverhalts bei einem Pressetermin gestern in Duisburg passte.

Für ihn gab es ein Verfahren: "Das Verfahren ist abgeschlossen", sagte er und appellierte emphatisch an Amerells Vertreter: "Herr Rechtsanwalt, erheben sie doch Klage! Klagen Sie gegen den jungen Schiedsrichter und klagen Sie gegen den DFB, und wenn ein Gericht sagt, wir müssen die Akten herausgeben, dann geben wir sie heraus." Langer kündigte an, er werde diesen Weg gehen, den Anfang soll eine Abmahnung an den DFB wegen der Belästigungsvorwürfe gegen seinen Mandanten machen.

In Duisburg, am Rand der Verleihung seines Integrationspreises, verteidigte der DFB-Chef seine Ermittlungen: "Wir verhalten uns nicht rechtsstaatswidrig." Besonder spannend dürfte noch folgende Einschätzung werden: Durch Amerells Rücktritt "war der Fall aus unserer Sicht erledigt". Zurückgetreten aber war auch 2005 der Wettbetrugs-Schiedsrichter Robert Hoyzer, der DFB machte ihm trotzdem später den Prozess und sperrte ihn lebenslang. Warum soll Amerell ungeschoren ad acta gelegt werden, wenn er dem Verband Schaden zufügte?

Zwanziger verweist nur auf Zivil- und Strafrecht: "Diesen Weg sollten sie gehen, wenn sie das wollen." Auffallend, dass der DFB-Chef aus der Defensivposition argumentiert - etwa, wenn er öffentlich fragt: "Ein Mann, der das Schiedsrichterwesen so liebt wie Amerell - glauben Sie, der tritt zurück, wenn er der Überzeugung ist, dass überhaupt nichts passiert ist, was man ihm anlasten kann? Ich glaube das nicht." Amerell ist vergangenen Freitag zurückgetreten, nachdem sein Name durch alle Medien gegangen war.

Milde für Volker Roth

Immer bizarrer wirkt da die interne Ermittlung, die erst nach Publikwerden des Sachverhalts richtig anrollte. Zum Rückrundenstart ab 15. Januar durften die Hauptfiguren Amerell/Kempter gar wieder ihre DFB-Ämter ausüben. Obwohl Kempter schon am 17. Dezember bei Schiedsrichterchef Volker Roth persönlich Klage über Amerell geführt hatte. War intern versucht worden, eine stille Einigung herbeizuführen? Kempter soll einen Monat später, am 13. Januar, Amerell eine SMS ("Komm doch ohne dich auch nicht klar!") geschickt haben, die auf starke Privatbande hinweist. Doch als Zwanziger am 4. Februar die Causa seinem DFB-Präsidium vorstellte, ging es nur um die beiden (Kempters Name fiel nicht), die SMS blieb unerwähnt.

Die Rolle Roths, der wochenlang nichts unternahm und sogar den Rückzug des Vizepräsidenten Koch aus dem Schiedswesen provozierte, macht nicht nur die Vertreter der Deutschen Fußball-Liga fassungslos. Jetzt rückt der langjährige DFB-Schiedsrichterchef noch stärker in den Brennpunkt, weil sich in seiner Zuständigkeit ein angesichts der Zahl der Klageführenden offenbar systematisches Beziehungsgeflecht entwickelt haben soll. Zwanziger beließ es indes gestern bei dem milden Tadel: "Roth hat durch seine Nicht-Information einen Fehler gemacht. Das war nicht in Ordnung." Aber was soll's: "Er hat über viele Jahre große Verdienste um das Schiedsrichterwesen erworben." Was für ein Satz nach einer ellenlangen Presseerklärung, in welcher der DFB nur eines klar darzulegen vermochte: Dass das Schiedsrichterwesen jetzt von Grund auf reformiert werden muss.

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