Alltag: Schizophrenie:Abteilung: geschlossene Psychiatrie

Diagnose Schizophrenie: Viele Angehörige Schizophrener tun sich schwer, mit der Krankheit umzugehen. Leben und leiden mit dem Stigma des Wahnsinns.

Barbara Kerbel

Ein Satz von ihrem Sohn zerriss ihr das Herz, lange noch, bevor sie auch nur eine Ahnung hatte davon, was los sein könnte mit ihm. Sie müssten sich damit abfinden, dass er anders sei, habe er ihr und ihrem Mann gesagt, erzählt Eva Straub, "noch heute kommen mir die Tränen, wenn ich daran denke."

Bis dahin war er der Star der Familie gewesen: In der Schule immer der Beste, Klassensprecher, Schulsprecher, "ein richtiger Überflieger eben", sagt Straub. Das war am Ende der 11. Klasse auf einmal vorbei. Er zog sich zurück von Familie und Freunden, schrieb plötzlich schlechte Noten, gerade noch so schaffte er das Abitur, Durchschnitt 3,0. Nach dem Zivildienst begann er zu studieren, doch bei der ersten großen Prüfung brach er zusammen. Da war er 23, und die Ärzte in der Klinik, Abteilung geschlossene Psychiatrie, stellten die Diagnose: Schizophrenie.

Mehr als 20 Jahre liegt dieser Klinikaufenthalt zurück, und dass Eva Straub heute so offen über die Krankheit ihres Sohnes sprechen kann, liegt wohl auch daran, dass sie damals nach Monaten des Bangens und Schimpfens, Schreiens und Weinens so erschöpft war, dass sie sich einer Selbsthilfegruppe für Angehörige anschloss. "In mir war alles zusammengebrochen", sagt sie. Bei Ärzten und Pflegern fand sie kaum Hilfe, und im Gespräch mit ihrem Mann blieb manches unausgesprochen - zu groß war die Angst, an etwas zu rühren, das die Trauer und das Entsetzen noch steigern würde.

"Irgendwann packt einen die Panik", sagt sie, "man fragt sich: Wovon soll er denn einmal leben?'" In der Gruppe habe sie sich getraut, Dinge zu äußern, die sie ihrem Mann nicht sagen konnte, sagt Straub, die heute an der Spitze des Bundesverbandes des Vereins Angehörige psychisch Kranker (ApK) steht. Es seien in den meisten Fällen die Mütter, auf denen die größte Sorge um ihr Kind laste, und die deswegen das Gespräch mit anderen Betroffenen suchten. Manchmal kommen auch Geschwister in die Selbsthilfegruppen, nur sehr selten die Väter.

Abteilung: geschlossene Psychiatrie

Ein schizophrenes Kind verändert in der Familie alles. Die Probleme beginnen meistens in der Pubertät, etwa mit abfallenden Leistungen in der Schule, Aggressivität oder anhaltender Depression. "Mein Bruder war schon als Kind anders als meine Schwester und ich", erzählt Melanie F. (Name geändert). Schon ein Kindergeburtstag habe ihn überfordert, statt sich zu freuen über Besuch und Geschenke habe er geweint, Freunde habe er während der gesamten Schulzeit kaum gehabt. "Heute denke ich, irgendjemand, seine Lehrer, unsere Eltern oder ein Arzt, hätte viel früher merken müssen, was mit ihm los ist."

Tatsächlich bleibt die Krankheit meistens jahrelang unerkannt - bis zur Diagnose "Schizophrenie" vergehen im Durchschnitt sieben Jahre. Qualvolle Jahre, in denen die Angehörigen zwar wissen, dass etwas nicht stimmt, aber völlig hilflos sind, da sie die Zeichen nicht zu deuten vermögen.

Mütter und Väter müssen sich damit abfinden, dass ihr Kind die in sie gesetzten Hoffnungen wohl doch nicht erfüllen kann, Geschwister müssen es verkraften, dass der schwierige Bruder oder die kranke Schwester alle Aufmerksamkeit der Eltern auf sich zieht. "Ich habe mich als Opfer gefühlt", sagt Melanie F., die gerade 13 war, als ihr großer Bruder sich die Pulsadern aufschnitt. Arbeiten konnte er nach diesem ersten Zusammenbruch kaum noch, in der Folge sei er monatelang zu Hause gelegen und habe nichts getan, das sei die schlimmste Zeit gewesen. "Es war immer eine riesige Spannung daheim", erzählt sie, "das hat die ganze Atmosphäre in der Familie überschattet".

Melanie F. will ihren Namen vor allem deshalb nicht in der Zeitung lesen, weil psychisch Kranke und deren Angehörige nach wie vor von der Gesellschaft stigmatisiert würden, wie sie sagt. Obwohl psychische Krankheiten wie Angst, Zwang, Depression und Schizophrenie inzwischen jeden vierten Deutschen betreffen, bleibt das Thema für viele tabu. Gerade Schizophrene gelten landläufig als verrückt und gefährlich, die wenigsten wissen, dass nur wenige Kranke aggressiv werden und dass Schizophrene nicht nur Stimmen hören oder sich verfolgt fühlen, sondern dass auch Depression und Angst zu den Symptomen zählen.

Melanie F.s Bruder war jahrelang das Familiengeheimnis, alle achteten peinlich genau darauf, dass Nachbarn, Freunde, Schulkameraden und Kollegen nichts davon mitbekamen, wie "schwierig" er tatsächlich war. Wie sollte man auch einer Schulfreundin erklären, dass der Bruder, offensichtlich geleitet von Wahnvorstellungen, sein Zimmer mit Gülle beschmiert und auf sämtlichen Familienfotos die Mutter mit schwarzem Filzstift übermalt hat? Auch in der Familie von Melanie F. war die Mutter die erste, die schließlich das Schweigen brach und sich in einer Angehörigengruppe offenbarte.

Abteilung: geschlossene Psychiatrie

"Es war eine Erleichterung, als er endlich die Diagnose bekam", sagt Melanie F. "Schizophrenie", das Wort, das zunächst ein Schock ist, beendete für Familie F. die zermürbende Ungewissheit. Und je präziser die Diagnose, desto größer ist die Aussicht auf eine erfolgreiche Behandlung, auch wenn die Krankheit in fast allen Fällen chronisch verläuft.

Auch F.s Bruder ist weiter krank, heute lebt er in einem betreuten Wohnheim, arbeitet und nimmt regelmäßig seine Medikamente. Diagnose und Behandlung haben nicht nur ihm geholfen, sondern die ganze Familie entlastet. "Jetzt geht es ihm gut, und wir reden inzwischen auch über seine Krankheit", sagt Melanie F. "Und wir können uns über kleine Erfolge freuen, zum Beispiel darüber, dass er jetzt einen Praktikumsplatz bekommen hat." Die Familie habe gelernt, ihre Ansprüche zu senken.

Die Angehörigen eines Schizophrenen müssen nicht nur akzeptieren, dass dieser vermutlich sein Leben lang krank bleiben wird, sondern auch dann noch für ihn sorgen, wenn er längst erwachsen ist. Sich kümmern - das klappt dann gut, wenn das Verhältnis so innig ist wie das zwischen Regina B. (Name geändert) und ihrer Tochter. "Ich war bisher fast jedes Mal dabei, wenn es ihr akut schlecht ging", sagt Regina B.

Sie fand ihre Tochter im Jahr 2001 in deren verwüsteter Wohnung, nahm sie mit und brachte sie in die Psychiatrie, "dieser Zusammenbruch war ein großes Glück", sagt sie heute. Seitdem wechseln sich bei ihrer Tochter stabile mit psychotischen Phasen ab, Regina B. hält regelmäßigen Kontakt und kann meist abschätzen, wann es kritisch wird.

"Früher habe ich die Pillen nachgezählt, heute sage ich ihr: Denk dran, dass du wahrscheinlich wieder in die Klinik musst, wenn du die Medikamente einfach absetzt." Sie vertraut ihrer Tochter. "Ich glaube, sie sieht das ein", sagt sie.

Die Gelassenheit, die heute aus ihrer Stimme klingt, hat sich Regina B. hart erarbeitet. Wie die meisten Betroffenen war auch sie zunächst hilflos und überfordert, auch sie fand Hilfe in einer Gruppe des ApK. Beim Verein hat sie außerdem ein Seminar mitgemacht, in dem geschulte Angehörige wiederum andere Angehörige unterrichten, wie sie am geschicktesten umgehen können mit dem Kranken. Die Teilnehmer lernen etwa, Warnsignale für einen Rückfall zu erkennen, aber auch, wie sie am besten reagieren auf Wahnvorstellungen und Halluzinationen.

Die Tochter von Frau B. zum Beispiel hört Stimmen, die über sie sprechen, sie ist fest davon überzeugt, dass alle Menschen über sie reden. Manchmal frage ihre Tochter sie, ob sie die Stimmen denn nicht auch höre, erzählt Regina B. "Da muss ich mich jedes Mal beherrschen, nicht einfach zu sagen, das ist doch Quatsch, die Stimmen gibt es nicht."

Das wäre nämlich ganz falsch, wie sie inzwischen gelernt hat. "Sie soll sich ja ernst genommen fühlen und nicht denken, ich halte sie für verrückt." Seit sie mehr über die Krankheit weiß, findet sie eine elegante Antwort auf die Frage ihrer Tochter. "Ich sage ihr: Wenn du das so empfindest, gut, aber du weißt, dass ich die Stimmen nicht hören kann."

Einen Weg durch den Wahn zu ihrem Sohn sucht auch Eva Straub. Zurzeit hat offenbar der Wahn die Oberhand gewonnen: Ihr Sohn spreche von einem geheimen Auftraggeber, nach dessen Anweisung er nun versuche, sich selbst zu therapieren, erzählt sie.

Sie rechne damit, dass er die Medikamente bald absetze, auch wenn er sich weigere, mit ihr darüber zu sprechen. Manchmal, da frage sie ihn, ob er eine bestimmte Entscheidung auch wirklich besprochen habe mit seinem Auftraggeber. Therapeuten würden dazu wahrscheinlich sagen, sie lasse sich zu weit ein auf seinen Wahn, sagt sie. "Aber was soll ich denn machen? Sein Auftraggeber ist zurzeit seine größte Hoffnung. Die kann ich ihm doch nicht nehmen."

Angehörige psychisch Kranker können sich an die Münchner Geschäftsstelle des ApK an der Landsberger Straße 135/III wenden, Telefon 5024673. Information im Internet unter www.apk-muenchen.de

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