Medienmanager Richter:Bertelsmann: "Vom Anspruch nicht viel übrig"

Der langjährige Bertelsmann-Manager Jürgen Richter über die Familienmacht in Gütersloh - und das Erbe von Reinhard Mohn.

Hans-Jürgen Jakobs

Jürgen Richter war neun Jahre Geschäftsführer der Medien Union, anschließend Vorstandschef von Axel Springer (1994 bis 1997), ehe er beim Medienriesen Bertelsmann wirkte. Dort verantwortete er zunächst die Fachinformationen (Bertelsmann Springer) und kümmerte sich nach dem Verkauf als Aufsichtsratschef um die Online-Firma Lycos Europe, an der sich Bertelsmann und Unternehmersohn Christoph Mohn beteiligten. Nach der operativen Abwicklung der Börsenfirma trat Richter Ende 2009 zurück.

Medienmanager Richter: Der Medienkonzern, den Jürgen Richter lange Jahre managte: Bertelsmann-Zentrale in Gütersloh

Der Medienkonzern, den Jürgen Richter lange Jahre managte: Bertelsmann-Zentrale in Gütersloh

(Foto: Foto: ddp)

SZ: Herr Richter, Sie waren Aufsichtsratschef von Lycos Europe. Wie fühlt es sich an, eine Internetfirma abzuwickeln, die einst zu den Hoffnungen des Medienkonzerns Bertelsmann zählte?

Jürgen Richter: Das Kapitel stimmt traurig. Es ist Lycos Europe nicht gelungen, mit rund 700 Millionen Euro aus dem Börsengang während des Internet-Hypes gute innovative Produkte zu lancieren. Es ist hart, das zu sagen: Optimal und professionell ist nur die Abwicklung gelaufen. Wir haben wesentliche Bereiche verkauft, 100 Millionen Euro an die Aktionäre ausgeschüttet - und mehr als 700 Mitarbeitern über eine interne Jobbörse neue Arbeitsplätze vermittelt.

SZ: Der Niedergang war nicht zu erwarten. Christoph Mohn von der Bertelsmann-Eigentümerfamilie ist Alleinvorstand und Großaktionär gewesen.

Richter: Es war nicht einfach für ihn und mich. Wir haben gedacht, gemeinsam mit Bertelsmann eine Internet-Strategie zu entwickeln. Aber dazu ist es aus Gründen, die ich nicht nachvollziehen kann, nie gekommen. Bertelsmann hat den Kontakt zu Lycos nicht gesucht.

SZ: Dabei war Lycos Europe, so wie Pixelpark, bei Bertelsmann Symbol für Aufbruch - ins Internet und an die Börse.

Richter: Der Plan ist gescheitert. Das Projekt Lycos war schwierig, weil es sich um eine Internet-Firma in den USA handelte, deren Europa-Ableger in eine gemeinsame Firma von Bertelsmann und Telefonica überführt wurde. Die US-Gesellschaft blieb im Besitz von Telefonica und wurde später nach Korea veräußert. Sehr früh, 2003, schloss die amerikanische Gesellschaft die Entwicklungsabteilung, damit versiegte der permanente Produktnachschub. Wir mussten selbst in Europa Hunderte von Entwicklern einstellen, haben aber nicht den Anschluss an Google und Yahoo geschafft.

SZ: Lycos Europe war die letzte Firma der New Economy, die vor der großen Medienkrise zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts noch an die Börse kam...

Richter: ...und deren Erstnotierung gleich unter den Emissionspreis fiel. Die ganze Blase damals mit dem vielen Geld hat unzählige Berater angelockt, die ständig neue Akquisitionen initiierten, wie zum Beispiel den überdimensionierten Ankauf von Spray Network. Es ist ein schwacher Trost für mich, dass diese Beteiligungspolitik vor meiner Zeit realisiert wurde. Wir mussten viel beerdigen, und es ist viel Geld fehlgeleitet worden.

"Kein durchschlagendes Angebot für neue Medien"

SZ: Lycos Europe gehörte zur großen Internet-Aufstellung des einstigen Bertelsmann-Chefs Thomas Middelhoff. Nach der Abwicklung zieht der Gütersloher Konzern im Online-Geschäft endgültig blank. Keine gesunde Entwicklung.

Jürgen Richter

Jürgen Richter leitete mehrere große Medienhäuser - darunter auch Bertelsmann.

(Foto: Foto: dpa)

Richter: Die heutige Strategie von Bertelsmann kann ich nicht nachprüfen. Zu bedauern ist, dass es jetzt so gut wie kein durchschlagendes Angebot für neue Medien gibt. Der Konzern hat immer überlegt, bei Computerspielen aktiv zu werden, doch attraktive Firmen kosten heute einige Milliarden Euro, und nicht mehr 500 Millionen. Die Einstiegshürden sind groß. So wie Bertelsmann aufgestellt ist, hat nur die Fernsehtochter RTL ein überzeugendes Branding. Die anderen Marken sind eher schwächer.

SZ: Bertelsmann lobte vor einem Jahr die Online-Lernfirma Scoyo aus - und verkaufte sie einige Monate später. Warum?

Richter: Fachinformationen sind nach wie vor ein Wachstumsmarkt, der weit in die neuen Medien hineinreicht. Eine gute Gelegenheit, im Internet mit Bezahlmodellen vorwärts zu kommen, wären die Fachverlage von BertelsmannSpringer Science gewesen. Doch die hat Bertelsmann 2003 verkauft - was für die Gesamtausrichtung nachteilig war. Damals hat man sich wegen der Belastung aus der Zomba-Put-Option im Musikgeschäft in Höhe von rund drei Milliarden US-Dollar und der Erhaltung des Kreditratings für diese De-Investition entschieden. Schade, dass der damals neue Vorstandsvorsitzende sich nicht gegen Überlegungen seines Finanzkollegen durchsetzen konnte.

SZ: Haben Sie als Aufsichtsratschef von Lycos Europe und Mentor Christoph Mohns Fehler gemacht?

Richter: Wenn ich in den Spiegel schaue, kommen mir ständig solche Gedanken. Man hätte beispielsweise das Management anders strukturieren müssen. Christoph Mohn ist ein hochanständiger, integrer Mann, dessen Managementfähigkeiten man aber hätte ergänzen müssen. Es gab zeitweise einen zweiten Vorstand, das hat aber in der Kombination mit Christoph Mohn nicht funktioniert. So haben wir uns im Aufsichtsrat für die Alleinstellung von Herrn Mohn entschieden.

"Das Management muss Risiken eingehen"

Reinhard Mohn

Der einstige Bertelsmann-Konzernpatron Reinhard Mohn starb im vergangenen Oktober.

(Foto: Foto: Bertelsmann AG)

SZ: Viele bei Bertelsmann gehen davon aus, dass er sich bei Lycos Europe als Unternehmer nicht bewährt hat.

Richter: Er muss aus diesem Rückschlag lernen und es anders machen. Das Management muss Risiken eingehen - doch die dürfen nicht existentiell sein, hat Reinhard Mohn immer postuliert.

SZ: Der hochangesehene Konzernpatron ist im Oktober gestorben. Christoph übernahm den Sitz in der Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft (BVG), die alle Stimmrechte hält - für das Handelsblatt eine "zweite Chance" des Juniors.

Richter: Das würde bedeuten, dass er operativ ähnlich tätig wird wie bei Lycos. Das wird wohl nicht der Fall sein. Er kennt seine Stärken und Schwächen. Wenn seine Arbeit in der BVG und im Aufsichtsrat von Bertelsmann gemeint ist, dann geht es allenfalls um eine ganz neue - aber andere - Chance.

SZ: Angeblich gibt es nun einen Wettstreit mit seiner Schwester Brigitte. Die Mutter Liz Mohn bleibt bis 2017, wenn sie 75 Jahre alt wird, mächtige BVG-Chefin und Familiensprecherin.

Richter: Bertelsmann hat sich oft dadurch ausgezeichnet, Rivalitäten als Wettbewerb im Management ausleben zu lassen. Vielleicht ist das der Hintergrund. Irgendwann wird die Sache im engsten Familienkreis zwischen Liz, Brigitte und Christoph Mohn entschieden. Ich denke, es wird eine einsame Entscheidung werden und die "sogenannten Berater" werden möglicherweise sehr erstaunt sein.

SZ: Reinhard Mohn erklärte noch 2001, er sei davon überzeugt, das Prinzip des über Generationen stabilen Familienunternehmens sei gescheitert. Nun aber ist Bertelsmann, für alle erkennbar, in der Hand von Liz Mohn und ihrer Kinder.

Richter: Als Student war ich begeistert über Reinhard Mohns Aufsätze, in denen er seine Managementphilosophie ausbreitete. Er hat aus einer kleinen Firma ein Erfolgsunternehmen gemacht. Doch in Sachen Unternehmensverfassung ist er gescheitert. Das, was er immer gepredigt hat, ist durch seine Entscheidungen über die Nachfolge aufgelöst. Bertelsmann ist mehr denn je ein Familienunternehmen, das nur zufällig die Rechtsform einer AG hat. Vom hehren Anspruch ist nicht viel übrig geblieben.

Die Richtige an der Bertelsmann-Spitze?

Liz Mohn

Liz Mohn übernahm die Konzernspitze.

(Foto: Foto: AP)

SZ: Liz Mohn kaufte vor fast vier Jahren 25 Prozent der Bertelsmann-Anteile für viel Geld - 4,5 Milliarden Euro - vom Finanzier Albert Frère zurück. Sonst wären die Aktien an die Börse gegangen. Seitdem leidet der Konzern an Schulden von inzwischen sieben Milliarden Euro.

Richter: Der Rückkauf war das Signal an alle: Wir, die Mohns, nehmen das Heft wieder in die Hand. Sie dokumentierten ihre "Kompetenz-Kompetenz". Die mit einem Börsengang verbundene Transparenz war eher nicht erwünscht. Im Grunde ist bei Bertelsmann die AG durch die vorgeschaltete Verwaltungsgesellschaft BVG ausgehöhlt. Im Aufsichtsrat wird diskutiert, in der BVG entschieden. Die Aufsichtsräte vollstrecken nur, was die Familie will.

SZ: Ist Liz Mohn die Richtige, um den Medienriesen durch die Krise zu bringen?

Richter: Sie weiß, was sie will. Ich weiß nur nicht, ob es immer das ist, was das Unternehmen tun sollte. Die Erwartung, die Schulden könnten rasch abgebaut werden, ging an der Realität vorbei. Dafür ist der Cashflow zu gering. Nun sitzen sie im Loch, aus dem sie sich befreien müssen.

SZ: "Ein Wort genügt: Wachstum", sagte Vorstandschef Hartmut Ostrowski kurz vor seinem Amtsantritt 2008.

Richter: Heute ist in Gütersloh eher Sparen angesagt. Die ganze Medienbranche bewegt sich. Noch immer wird man ausgelacht, wenn man auf Print setzt - heute gibt es eine Renaissance. Gut gemachte Zeitungen und Zeitschriften werden immer verkauft. Schauen Sie sich den Erfolg von Landlust aus Münster an! Für elektronische Medien ist die Lage schwieriger. Im Internet hat es sich eingebürgert, dass vieles gratis ist. Natürlich wird künftig hier und da bei Lesern etwas erlöst werden - doch es kommt nicht in die Dimensionen, die die gedruckte Presse erreicht.

"Newsletter bleiben ein Nischenprodukt"

Hartmut Ostrowski

Hartmut Ostrowski, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann AG - hält er sich an der Spitze?

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Renaissance? Gruner + Jahr, die hanseatische Zeitschriftentochter von Bertelsmann, verkauft vieles - von Emotion bis zur russischen Dependance.

Richter: Die Drähte zwischen Gütersloh und Hamburg laufen heiß. Von der Idee, Newsletter und Journale für andere Firmen zu machen, halte ich jedoch wenig. Das bleibt ein Nischenprodukt - und kann die Schlachtschiffe wie Stern und Brigitte im Krisenfall nie durchziehen. Die Sächsische Zeitung wirft für den Mehrheitsgesellschafter Gruner + Jahr ein Superergebnis ab, sie ist eine kleine Perle gemessen an der Performance anderer Bereiche. Dabei hat sich Bertelsmann unter Middelhoff eigentlich lieblos von Tageszeitungen getrennt.

SZ: Werden die Gütersloher nach den Fachinformationen und dem Musikgeschäft noch mehr verkaufen müssen?

Richter: Ich würde dazu nicht raten. Gute Preise kann man derzeit nicht erzielen. Und die Philosophie würde noch stärker auf das ohnehin große Dienstleistungsgeschäft von Bertelsmann rund um Arvato verengt. Das ist die Grundfrage: Soll man sich auf Arvato und RTL konzentrieren? Oder eine starke Medienmarke neben RTL aufbauen? Derzeit wartet man auf eine zündende Idee.

SZ: Ist Bertelsmann nur ein Torso?

Richter: Das Unternehmen besteht aus Einzelbestandteilen. Die Komplexität ist geringer geworden. Die Vorteile von Crossmedia sind im Grunde minimal - Lycos Europe hat nicht einmal irgendeine Kooperation mit Bertelsmann hinbekommen. Früher war Bertelsmann unter Hochschulabsolventen beliebt, nun wird es schwierig, gute Leute zu finden. Auch an der Spitze. Mancher wird es nicht mögen, wenn über das eigene Berufsschicksal in nicht nachprüfbaren Prozessen im kleinsten Zirkel entschieden wird.

"Bertelsmann wird nicht so schnell so klein"

SZ: Glauben Sie, dass Bertelsmann noch in der Ersten Liga der Medienwelt ist, also auf einer Höhe mit US-Rivalen?

Richter: Ich mag diese Rankings nicht. Sie ändern sich Jahr für Jahr. Auch wenn Bertelsmann in den Augen vieler nicht mehr den Stellenwert wie vor fünf oder zehn Jahren hat, so ist es insgesamt doch ein gutes, breit aufgestelltes Unternehmen. Es muss jetzt seine Zukunft definieren. Das wirtschaftliche und gesellschaftliche Erbe Reinhard Mohns darf nicht beschädigt werden. Man wird sehen, wie die Familie mit den Buchclubs in Deutschland umgeht, der einstigen Keimzelle des Konzerns. Und ob Befürchtungen grundlos sind, Liz Mohn könnte wie Madeleine Schickedanz oder Maria-Elisabeth Schaeffler in ganz schwere Fahrwasser kommen.

SZ: Sie fürchten also nicht, dass ein anderes deutsches Medienhaus Bertelsmann überholt? Vielleicht die Axel Springer AG, die Sie einmal geleitet haben?

Richter: Nein. Bertelsmann wird nicht so schnell so klein, und jemand anders nicht so schnell so groß. Springer beispielsweise hat Teile seiner Substanz in Milliardenhöhe veräußert. Ich bin wirklich gespannt, was sie in diesem Jahr zur Ergebnisverbesserung verkaufen werden. Im Jahr 2009 waren es die Regionalzeitungen, die der AG zu einem guten Gesamtergebnis verhalfen. Springer hat dasselbe Problem wie Bertelsmann: Die AG ist in Wirklichkeit eine klassische Familiengesellschaft, Entscheidungen werden durchgewinkt. Natürlich wird bei Entscheidungen im Aufsichtsrat der Springer AG auch von hochrangigsten Vertretern der sogenannten "Deutschland AG" auf das Kopfnicken der Mehrheitsaktionärin geschaut. Corporate-Governance-Regeln im strengsten Sinne hier durchzusetzen, erfordert Mut.

SZ: Hält sich Vorstandschef Ostrowski bei Bertelsmann?

Richter: Es steht mir nicht an, hierüber in irgendeiner Weise zu urteilen. Die Familienmitglieder wissen genau, wen sie an die Spitze gesetzt haben. Er ist ein sehr sachlicher, ehrlicher Arbeiter ohne Streben nach Glamoureffekten. Das ist in der heutigen Zeit sicher angebracht - obwohl dem einen oder anderen Bertelsmann-Geschäft hier und da ein Strahlemann gut täte.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: