Del Piero:Der Junge aus der Prosecco-Provinz

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Alessandro Del Piero, der große Unvollendete des italienischen Fußballs, bestreitet im Finale sein letztes Spiel für die Azzurri.

Birgit Schönau

Es wird sein letztes, großes Spiel. Er braucht nur ein bisschen mehr Zeit. "Es ist nicht einfach, in 20 Minuten drei gefährliche Aktionen und ein Tor zu liefern - wie gegen Deutschland." Zizou, der alte Teamkamerad und Freund, wird die Franzosen anführen.

Alessandro Del Piero nach dem Sieg gegen Deutschland. (Foto: Foto: ddp)

Alex wird auf der Bank sitzen, zumindest am Anfang. Irgendwann wird Marcello Lippi ihn spielen lassen, denn Lippi hat alle spielen lassen, bis auf die Ersatzmänner von Torwart Buffon. Und Lippi, der alte Überzeugungstäter, hat Sinn für die Dramaturgie des Fußballs. Der Fußball braucht Lichtgestalten wie Zinédine Zidane. Er braucht aber auch die Zurückhaltung, die Ironie und die Geistesblitze eines Alessandro Del Piero. Man wird ihn sehr vermissen, wenn er bald nicht mehr dabei ist.

Ein kleiner Großer geht, ein großer Kleiner. Ein vollendeter Unvollendeter verlässt die Bühne. Wenn das Schicksal es gut mit ihm meint, dann als Weltmeister. Es wäre die Krönung für einen, der den Fußball nie mit der Mentalität eines Angestellten spielte, sondern mit Hingabe, manchmal bis zur Selbstverleugnung.

Der Rest ist Juventus

"Jetzt habe ich nur das Finale im Kopf", hat Del Piero bei seiner letzten Pressekonferenz vor dem Endspiel gesagt. "Ab Montag denke ich an den Rest."

Der Rest ist Juventus. Sein Verein seit 1993, als der schmächtige Junge aus der Prosecco-Provinz Treviso in Turin ankam. Del Piero wurde der Ziehsohn des Avvocato Agnelli, der ihn regelmäßig im Morgengrauen anrief, um mit ihm über Fußball zu reden.

Der Alte verglich die Spielzüge seines Lieblings mit den Fresken Pinturicchios, aber er schmähte ihn auch als Muttersöhnchen oder kanzelte ihn ab: "Wenn er jetzt nicht endlich ein Tor schießt, kann ich ihm auch nicht helfen. Wir warten hier nicht auf Godot."

Del Piero ist ein Mann der leisen Ironie. Man muss genau hinhören, um ihn zu verstehen. Manchmal flüchtet er in den Hintergrund, aber die Botschaft kommt trotzdem an. Wie damals, als er sich gleich nach der mit großem Medienspektakel gefeierten Hochzeit des Römers Francesco Totti in privater Zeremonie von Don Ciotti trauen ließ, dem Leiter der Antimafiabewegung Libera.

Und statt Hochzeitsgeschenken bitte Spenden an die Antimafia. Das war eine starke, eindeutige Geste. Da hatte ein Fußballer, von dem La Repubblica einst spöttelte, er spiele manchmal "tschechoslowakisch mit deutschen Untertiteln", deutliche Zeichen gesetzt.

Juventus war die Verlobte Italiens, und Del Piero war ihr Kapitän. Henry und Zizou kamen und gingen, Alex blieb. Er wurde des Dopings verdächtigt und verteidigte sich empört vor Gericht. Gegen den Verdacht der Spielmanipulationen durch die Juve-Manager kann er sich nicht verteidigen.

Die Anwälte von Juventus haben vor dem Sportgericht in Rom erklärt, eine Zwangsversetzung in die zweite Liga mit 15 Punkten Abzug würden sie als Sieg betrachten. Kapitulation auf ganzer Linie, so weit ist es gekommen. Del Piero, 32, wird mit seinem Klub untergehen. Serie B oder C, er wird dabei sein. Als Einziger. Die anderen werden ihr bei der WM noch drastisch erhöhtes Prestige in England oder Spanien auf die Waagschale legen.

Die Juve-Spieler sind vielleicht keine ahnungslosen Opfer, aber auf jeden Fall Betrogene. Ihre Leistungen stehen nicht zur Debatte. Sie wären wohl auch ohne die Mauscheleien der Manager Meister geworden. "Ich habe an den sauberen Fußball geglaubt und wurde hintergangen", hat Del Pieros Teamgefährte Pavel Nedved geklagt.

Es ist deshalb zu kurz gedacht, wenn man unterstellen würde, die fünf Juve-Spieler in Lippis Aufgebot hätten nur so glänzend gespielt, um ihren Marktwert zu erhöhen. Sie haben vor allem für sich selbst gekämpft, für einen abgenutzten, oft missbrauchten Begriff: Onore - Ehre.

Es war nicht nur eine hohle Geste, dass der einstige Lockenkopf und Mädchenschwarm Del Piero sich vor dem Turnier den Kopf kahl schor wie ein Büßer. Er wusste, dass es nicht mehr seine WM sein würde. Er hat es nie zum Superstar gebracht wie Zidane.

1998 war er gegen Frankreich das Talent, das Roberto Baggio ausstechen sollte: Fehlanzeige. 2000 hatte er gegen Frankreich die Europameisterschaft auf dem Fuß: Fehlanzeige. "Dass wir das Finale verloren haben, war doch nicht nur meine Schuld", sagt er jetzt. "Niemand hat wegen der Niederlage so gelitten wie ich. Basta. Das ist Geschichte. Jetzt gibt es eine Neuauflage." Aber Frankreich ist für ihn Favorit. "Die hatten weniger Stress. Der Skandal zu Hause hat uns sehr mitgenommen."

Wie oft hat er es seinen Kritikern gezeigt. Zuletzt am Dienstag, mit dem Treffer gegen Deutschland, ein Tor wie aus alten Zeiten, kraftvoll, elegant, traumwandlerisch sicher. "Manche sagen, ich bin nur noch ein halber Spieler. Von wegen."

Tatsache ist: Die Squadra Azzurra kann sich Alessandro Del Piero als Ersatzspieler leisten. Verzichten mag sie auf ihn aber nicht. Er selbst hat sich zum Abgang nur eines gewünscht: Zizous Trikot. Was danach kommt, wird Privatsache sein. Mehr oder weniger.

© SZ vom 8.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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