Fußball-Nationalmannschaft:Torlos, verletzt, auf dem Index

Ein Blick auf die Bundesliga-Torschützen offenbart: Kurz vor der WM hat die Nationalelf plötzlich ein Sturmproblem. Und Änderung ist nicht in Sicht.

Christof Kneer

Es kann kein rauschendes Fest gewesen sein, zumindest kann man sich nicht daran erinnern. Gab es Reden, Blumen, Tränen? Wurde "Time to say goodbye" gespielt? Spielte ein All-Star-Team? Oder hat man sich dieses Abschiedsspiel nur eingebildet? Ist Miroslav Klose gar nicht zurückgetreten? Aber wenn nicht: Wo spielt er dann? Und: Wann hat er sein letztes Tor geschossen?

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(Foto: Foto: ddp)

Ziemlich viele Fragen sind das, aber immerhin gibt es auf alle eine eindeutige Antwort. Die ersten drei sind zum Beispiel klar mit "nein" zu beantworten (keine Reden/Blumen/Tränen, kein Abschiedssong, kein All-Star-Team). Die weiteren Antworten lauten: Ja (nur eingebildet). Ja (nicht zurückgetreten). Bayern München (da spielt er). Sowie: 15. Januar 2010, so gegen 22.12 Uhr. Da schoss Klose sein bislang letztes Tor, es war das 2:0 gegen Hoffenheim, am 18. Spieltag.

Wer nach deutschen Stürmern fragt, muss sich zurzeit auf ungünstige Antworten gefasst machen. Bei Klose etwa ist es so, dass mit dem Tor gegen Hoffenheim bereits 100 Prozent seiner Liga-Ausbeute erfasst sind. Ansonsten wurde er oft eingewechselt, in der 76. oder 81. Minute. Im November vermerkt die Statistik eine Torvorlage (gegen Leverkusen). Und in den Datenbanken findet sich auch Kloses größtes Spiel der Saison: Beim 4:0-Pokalsieg in Frankfurt schoss er zwei Tore (Rechtsschuss, 14., Rechtsschuss, 19.) und gab eine Torvorlage (29.).

Zahlen können grausam sein. So kommt es, dass Bundestrainer Joachim Löw das vergangene Liga-Wochenende vermutlich am liebsten verdrängen oder rückwirkend vom Weltverband verbieten lassen würde. An diesem 22. Spieltag wurden nämlich acht Tore von Stürmern geschossen, die auch bei der WM in Südafrika stürmen werden.

Von diesen acht Toren ging nur eines auf das Konto eines Spielers, der für Löws Deutschland spielberechtigt ist: Mario Gomez. Die anderen Schützen: Ruud van Nistelrooy (zweimal, Niederlande), Arjen Robben (Niederlande), Eren Derdiyok (Schweiz), Albert Bunjaku (Schweiz), Stanislaw Sestak (Slowakei), Zlatko Dedic (Slowenien).

So geht das jetzt seit Wochen.

Wer Löw offiziell zur Sturm-Misere vernimmt, bekommt nur zur Antwort, dass er sich keine Sorgen mache. Das ist einerseits wahr, weil der Bundestrainer schon oft erlebt hat, wie aus zahnlosen Ligastürmern im Adlerhemd reißende Angreifer werden. Nicht zufällig war es obiger Klose, der im entscheidenden Gruppenspiel in Moskau tat, was zu tun ist: Er schoss das eine, entscheidende Tor.

Wo ist der Sturm-Nachwuchs?

Andererseits bietet die Liga dem Bundestrainer mehr denn je Anlass zu tieferer Sorge. Er kommt ja viel rum, aber er sieht fast überall dasselbe. Er sieht Stürmer, die entweder verletzt, Ersatz oder torlos sind. Klose (15 Ligaspiele/1 Tor/1 Vorlage) hat am Montag nach einer Sprunggelenksblessur erstmals wieder mitgeübt, aber in der Champions League gegen Florenz wird er natürlich nicht von Beginn an spielen. Oder Lukas Podolski (17 Ligaspiele/1 Tor/2 Vorlagen): Litt erst an lädierter Bandscheibe, sicherte sich dann im Pokal eine rote Karte und am Sonntag auf Schalke eine zeitungsübergreifende Note fünf.

Oder Cacau (14 Ligaspiele/2 Tore/1 Vorlage): Kippte in Stuttgart aus der Stammelf, weil er nicht jenem zentralen Stürmertypus entspricht, den der neue Trainer Gross schätzt. Oder Patrick Helmes (5 Ligaspiele/0 Tore/0 Vorlagen): Musste erst einen Kreuzbandriss kurieren und dann zunehmend vergrätzt zuschauen, wie sich Kießling und Derdiyok weigern, sich die Stammplätze abknöpfen zu lassen. Oder Kevin Kuranyi: Hat elfmal getroffen, gilt aber nicht. Seit seiner Tribünenflucht steht er bei Löw auf dem Index.

Lauter Einzelfälle sind das, aber für Löw haben sie sich inzwischen zu einem veritablen Sturmproblem verdichtet. Ein Problem, das durchaus dramatisch erscheint, weil dem Bundestrainer nun jener Mannschaftsteil abhanden kommt, auf den er sich stets verlassen konnte. Abhanden kommende Mannschaftsteile kann Löw gerade überhaupt nicht gebrauchen, er ist ja ohnehin auf der Suche nach verlässlichen Faktoren.

Zurzeit müsste er die wenigen auf hohem Niveau stabilen Profis wie Michael Ballack, Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger so über die Elf verteilen, dass eine tragfähige Achse daraus wird. Da wäre es praktisch, ein Team zu haben, das sich von vorne definiert - aber nach Aktenlage muss Löw derzeit auf zwei Spieler vertrauen, von denen der eine beim DFB mitunter fremdelt (Gomez), während der andere dort noch gar nicht recht angekommen ist (Liga-Torjäger Stefan Kießling).

Dass die Liga in den verbleibenden Wochen bis zum Turnier noch neue Fakten schafft, ist eher nicht zu erwarten. Im Land der Müllers, Seelers und Völlers wachsen zurzeit vielversprechende neue Innenverteidiger (Höwedes, Hummels), defensive (Bender-Zwillinge) und offensive (Kroos, Müller) Mittelfeldspieler nach, in der Sturmmitte wächst kaum etwas.

"Aber wir geben die Hoffnung nicht auf", sagt U21-Trainer Rainer Adrion, dessen Stürmer zurzeit Schieber, Choupo-Moting und Sukuta-Pasu heißen. "Die Erfahrung lehrt, dass junge Stürmer oft über Nacht einen Entwicklungsschub bekommen", sagt Adrion, "so war das damals auch bei Mario Gomez." Und der hat am vergangenen Wochenende immerhin getroffen.

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