Olympia: Medaillenspiegel:"Wir sind ein Wintersportland"

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Der Glanz, den jeder will: Zur Olympia-Halbzeit liegt das deutsche Team im Medaillen-Soll - Gastgeber Kanada dagegen hat bisher enttäuscht.

René Hofmann, Vancouver

Das ambitionierte Programm ist zur Witznummer geworden. Bei den Heimspielen sollte es besonders viele Medaillen für Kanada geben. Vor Jahren schon wurde deshalb ein Unternehmen auf den Weg gebracht, welches das Land rund 75 Millionen Euro kostete. Der Name des Förderprogramms war gleichzeitig sein Ziel: "Own the podium" - die kanadischen Athleten sollten in Vancouver und Whistler das Siegerpodium in Besitz nehmen.

Magdalena Neuner küsst ihre Goldmedaille. (Foto: Foto: dpa)

Der US-Amerikaner Nate Holland hat dazu nach der ersten Woche einen frechen Satz gesagt: "Von uns aus können sie das Ding ruhig behalten. Wir leihen es uns einfach nur für einen Monat aus."

Nach der ersten Olympia-Woche sieht es nicht so aus, als ob die Gastgeber ihr hochgestecktes Ziel erreichen und die meisten Medaillen sammeln könnten. Wenn es so weitergeht aber werden die ungeliebten Nachbarn das meiste Edelmetall gen Süden schleppen.

"Die Amerikaner sind in einigen Sportarten besser gewesen als gedacht", muss Chris Rudge, der Chef des Nationalen Olympischen Komitees von Kanada (OCO) eingestehen. Der Druck, der deshalb auf seinen Athleten lastet, ist enorm. Am besten lässt sich das bei denen beobachten, die das Podium knapp verpassen. An Mellisa Hollingsworth zum Beispiel. Die 29-Jährige war als eine der Favoritinnen beim Skeleton gestartet.

Vor dem letzten Durchgang lag sie, scheinbar mit einem komfortablen Vorsprung, auf einem Medaillenrang. Bei der letzten Fahrt durch die Eisrinne aber schlug sie zweimal an und rutschte auf Platz fünf ab. Im Ziel weinte Hollingsworth und schluchzte in die Kamera: "Ich weiß, dass mich meine Freunde und meine Familie trotzdem lieben. Aber ich muss mich bei meinem Land entschuldigen. In mich wurde so viel investiert. Ich hatte alles, was es brauchte, um gewinnen zu können."

Eine öffentliche Abbitte fürs Versagen- das zeigt, wie eisig das Klima im Spitzensport geworden ist, seitdem so viel öffentliches Geld in ihn investiert wird. Die Ausgaben sind nicht unumstritten. Trotz der Olympia-Euphorie finden sich auf so gut wie jeder Leserbrief-Seite jeden Tag Schreiben von Kritiker, die vorrechnen, wie viele Schulen und Straßen mit dem Geld auch hätten gebaut werden können. Bei den Sommerspielen in Peking blieb Kanada acht Tage nacheinander ohne Medaille. Eine ähnliche Durststrecke zu Hause könnte die Stimmung kippen lassen, auch wenn OCO-Chef Chris Rudge beruhigt: "Die Wettbewerbe, in denen wir stark sein sollten, kommen erst am Ende."

Im Prinzip ist es in jeder Olympiamannschaft das Gleiche: Öffentlich wird beteuert, es gehe beim Olympia-Auftritt keineswegs ums Medaillenzählen. Insgeheim aber wird das betrieben, als sei es eine eigene Disziplin. Die Deutschen haben im olympischen Dorf gleich zwei Statistiker in einem schattigen Raum sitzen, die zwei Wochen lang nichts anderes tun, als die Ergebnislisten zu sammeln und auszuwerten, welche Nation in welcher Sportart besonders gut war und was der deutsche Sport daraus lernen kann. Nach 39 Wettbewerben meldeten sie Beruhigendes: Die Bilanz der deutschen Mannschaft sah zur Halbzeit der Spiele "sehr gut" aus, wie Chef de Mission Bernhard Schwank verkündete.

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Vor vier Jahren in Turin hatte es an den ersten acht Tagen 14 Medaillen gegeben, dieses Mal waren es 13. Der Trend stimmt also. Am Ziel, wie in Italien die meisten Plaketten zu gewinnen, wird festgehalten, wobei gilt: Auch ein Platz unter den ersten drei Nationen gilt noch als Erfolg.

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In einigen Disziplinen wird es allerdings schwer, die selbstgesteckten Ziele noch zu erreichen. So gab die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) aus, im Richmond Oval gerne sechs Medaillen einheimsen zu wollen, darunter zwei goldene. Nach dem enttäuschenden Auftakt von Anni Friesinger über 1000 Meter ist das kaum noch zu erreichen. Auch die Biathleten blieben bis zum Samstag hinter den Erwartungen.

"Wir sind ein Wintersportland, ein Frauensportland und ein Techniksportland. Das bestätigt sich hier wieder", sagt Thomas Bach, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, mit Blick auf die herausragenden deutschen Figuren der ersten Woche: Biathletin Magdalena Neuner, 22, erlebt in Kanada ebenso ihre ersten Olympischen Spiele wie Super-Kombinations-Siegerin Maria Riesch, 25. Gold-Rodler Felix Loch, 20, gibt ebenfalls sein Debüt.

Der starke Auftritt der Novizen lässt die Sportgewaltigen hoffen - auch für die Münchner Bewerbung um die Spiele 2018. Erfolgreiche Sportler sind neben guten Einschaltquoten einer der Punkte, mit denen sie sich von den Konkurrenten aus Frankreich und Südkorea abheben können.

Nach Olympia werden in allen Sportarten die Grundlagen für die nächsten vier Jahre verhandelt. Nicht nur in Deutschland ist das so. Viel Gesprächsbedarf wird es dabei in Russland geben. Die Gastgeber der nächsten Winterspiele 2014 in Sotschi gewannen in Kanada in der ersten Woche nur eine Goldmedaille durch Langlauf-Sprinter Nikita Kriukow. Besonders dramatisch fiel der Einbruch beim Eiskunstlauf aus. Zum ersten Mal seit 1960 schaffte es kein sowjetisches oder russisches Duo im Paarlauf aufs Siegertreppchen. Auch die Silbermedaille für Titelverteidiger Jewgeni Pluschenko war eine Enttäuschung, eine so große, dass sich sogar Ministerpräsident Wladimir Putin zu Wort meldete.

In einem Telegramm schrieb er Pluschenko, seine Leistung sei Gold wert gewesen. Gefreut haben dürfte Putin, dass Pluschenko nach der Niederlage kundtat, der Rückschlag entmutige ihn keineswegs - im Gegenteil. Auch einen Start in Sotschi schließt der 29-Jährige jetzt nicht mehr aus.

Etwas Medaillenglanz ist wichtig für jede Nation, entscheidend aber ist er für den Erfolg der ganzen Veranstaltung. Dave Cobb, der im Organisationskomitee der Vancouver-Spiele fürs Marketing zuständig ist, bekennt offen: "Wir haben schon genug gewonnen, um an den Sportstätten die Atmosphäre zu schaffen, die wir haben wollten." Da mögen die frechen Amerikaner auch noch so über die Anstrengungen der ambitionierten Nachbarn spotten.

© SZ vom 22.2.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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