Sachsen:Neonazis ritzen Teenager Hakenkreuz in die Haut

Im sächsischen Mittweida ritzt eine Clique von Rechtsradikalen einem 17-jährigen Mädchen ein Hakenkreuz in die Haut - viele Passanten sehen zu.

Christiane Kohl, Chemnitz

Es geschah in aller Öffentlichkeit, vor einem Einkaufszentrum in einer sächsischen Kleinstadt: Erst drangsalierten vier Männer in Bomberjacken ein sechsjähriges Kind, dann ritzten sie einer 17-Jährigen ein Hakenkreuz in die Haut - schließlich konnten sie unbehelligt vom Tatort verschwinden.

Erst jetzt wurde der Vorfall bekannt, der sich bereits Anfang November in der Kleinstadt Mittweida bei Chemnitz ereignete. Das Opfer, eine junge Auszubildende, hatte sich tagelang nicht getraut, den Übergriff anzuzeigen und war erst auf Druck der Mutter zur Polizei gegangen.

Die etwa 18.000 Einwohner zählende Kreisstadt Mittweida gilt als ein Zentrum rechtsradikaler Umtriebe in Sachsen - erst vor einigen Monaten war die hier beheimatete NS-Kameradschaft "Sturm 34" verboten worden, die mit rund 170 Mitgliedern und Sympathisanten als eine der größten Neonazi-Organisationen in Sachsen gilt.

Jacke mit NSDAP-Aufnäher

Bei dem Übergriff vor dem Einkaufszentrum in Mittweida müssen nach den Berichten der Auszubildenden zahlreiche Menschen beobachtet haben, wie sie gepeinigt wurde - trotzdem kam ihr niemand zu Hilfe. Der Vorfall hatte sich am 3.November mitten in der Hauptgeschäftszeit zwischen 18 und 19.30 Uhr in einem Neubauviertel am Rande der Kreisstadt zugetragen.

Zunächst waren die Männer, von denen nach Erinnerung der 17-Jährigen zwei die bei Neonazis beliebten Bomberjacken mit NSDAP-Aufnäher trugen, auf das sechsjährige Kind einer Spätaussiedlerfamilie losgegangen. "Sie schubsten das wehrlose Mädchen hin und her", berichtet der Chemnitzer Polizeisprecher Frank Fischer, bis die 17-Jährige die Männer aufgefordert habe, das Kind in Ruhe zu lassen. Daraufhin hatten sie sich auf die Jugendliche gestürzt und sie zu Boden geworfen. Drei der mutmaßlichen Täter hielten die junge Frau fest, während der vierte ihr mit einem skalpellartigen Gegenstand ein Hakenkreuz in die Hüfte ritzte. Überdies habe der Mann versucht, dem Mädchen eine Rune in die Wange zu schneiden, berichtet die Polizei. Dies sei jedoch an der heftigen Gegenwehr der 17-Jährigen gescheitert.

Erst Tage nach dem Vorfall hatte sich das Mädchen seiner Mutter offenbart, die ging mit ihr zur Polizei. Die Beamten machten das Aussiedlerkind ausfindig, das den Tathergang bestätigt haben soll, und ermittelten auch einen mutmaßlichen 19-jährigen Täter. Bei einer Durchsuchung seines Zimmers in der elterlichen Wohnung fanden sich einschlägige Utensilien wie mit Sand gefüllte Lederhandschuhe, Aufkleber mit Neonazi-Symbolen und CDs mit rechtsradikalen Inhalten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann gefährliche Körperverletzung mit rechtsradikalem Hintergrund vor. Der Haftrichter in Chemnitz aber stellte keinen Haftbefehl aus, da der Tatverdacht nicht hinreichend nachweisbar sei - die 17-Jährige habe ihren mutmaßlichen Peiniger auf Fotos nicht zweifelsfrei wiedererkannt, berichtet der Sprecher des Chemnitzer Amtsgerichts, Lutz Bode : "Wir können nicht einfach einsperren, wir brauchen einen dringenden Tatverdacht."

Unterdessen steht in Chemnitz ein anderer 19-Jähriger wegen einschlägiger Tatvorgänge mit rechtsradikalem Hintergrund vor Gericht, so unter anderem wegen des Überfalls auf eine Schülergruppe in Mittweida im Februar 2006, bei dem ein Jugendlicher am Kopf verletzt worden war. Dem 19-jährigen Angeklagten wird nun unter anderem vorgeworfen, ein Rädelsführer der Neonazi-Kameradschaft "Sturm 34" zu sein. Nach den Ermittlungen der Polizei zählt die rechtsradikale Gruppierung 26 aktive Mitglieder, gegen die bereits Verfahren eingeleitet wurden. Hinzu kommen rund 150 Sympathisanten. Unter ihnen finden sich nicht nur arbeitslose Hartz-IV-Empfänger, sondern auch Studenten und junge Leute aus besseren Kreisen.

"National befreite Zone"

Die zwischen 14 und 47 Jahre alten Aktivisten des "Sturm 34" hatten es sich zum Ziel gesetzt, mit Gewaltangriffen gegen Ausländer und Andersdenkende aus der Region um Mittweida eine "national befreite Zone" zu machen. Aus diesem Grund hatte Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) die Gruppe im Frühjahr dieses Jahres verboten. Mehrmals gab es bereits Großrazzien gegen Mitglieder des "Sturm 34".

Nach den Erkenntnissen des sächsischen Verfassungsschutzes gibt es allein in Sachsen rund 3200 Rechtsextremisten. Knapp die Hälfte von ihnen sind in Parteien organisiert, so etwa in der NPD, die bei den jüngsten Landtagswahlen mehr als neun Prozent der Stimmen und zwölf Sitze im Landtag holte. Mehr als 1600 Mitglieder zählen zudem die nach Verfassungsschutzkenntnissen 40 rechtsradikalen Kameradschaften in Sachsen - ihre Anhänger rekrutieren sie bei Freizeitaktivitäten wie Sonnenwendfeiern, Sportwettkämpfen und Konzerten.

Hinweis: Ein Jahr später kam der Verdacht auf, dass die Tat vorgetäuscht war. Die 17-Jährige musste sich deshalb vor Gericht verantworten. Hier der Artikel über den Prozess.

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