Volkszählung:Reif für eine Nummer

Der Bundestag hat den Weg für eine Volkszählung im Jahr 2011 freigemacht. Anders als 1983 wird es dabei wohl kaum zu großen Proteststürmen kommen. Doch die Erkenntnisse werden verblüffend sein.

Nico Fried

Im Jahr 2011 soll in Deutschland das Volk gezählt werden. Doch das Volk wird davon nicht allzu viel mitbekommen. So ist nicht zu befürchten, dass staatliche Drückerkolonnen sämtliche Bürger an der Haustür abklappern. Auch muss niemand mit einem Bußgeld rechnen, der sich weigert, Auskünfte zu erteilen. Und der Wissensdurst der Behörden ist geringer als in den achtziger Jahren, in denen die bisher letzte Volkszählung in der Bundesrepublik zu einem Politikum erster Güte wurde. Im Vergleich zu damals, sagt die frühere Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), sei der Fragenkatalog für 2011 "deutlich abgespeckt".

Volkszählung: Im Jahr 2011 soll in Deutschland das Volk gezählt werden. Die Ergebnisse könnten manche Überraschung bereithalten.

Im Jahr 2011 soll in Deutschland das Volk gezählt werden. Die Ergebnisse könnten manche Überraschung bereithalten.

(Foto: Foto: AP)

Der Berliner Professor für Volkswirtschaft, Gert G. Wagner, Vorsitzender eines vom Innenministerium berufenen wissenschaftlichen Beirats für die Volkszählung, machte am Donnerstag deutlich, dass niemand ein Ausschnüffeln seiner privaten Lebensverhältnisse zu befürchten habe: "Da es nur um statistische Größen geht, erfolgt das Auszählen der Meldedaten anonym - kein Bürger wird als Person im Statistikcomputer erkennbar sein".

Und selbst der als äußerst kritisch bekannte Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, hat bereits vorzeitig erklärt, aus seiner Sicht gebe es keine verfassungsrechtlichen Einwände gegen die Erfassung der derzeit vorgesehenen Daten. Der Staat greife "nicht unverhältnismäßig in die informationelle Selbstbestimmung" der Bürger ein, so Schaar.

Die Volkszählung wird allerdings gar nicht Volkszählung heißen, sondern "registergestützter Zensus", womit der entscheidende Unterschied zu 1987 auch schon beschrieben ist: Statt mit großem Aufwand die Bürger zu befragen, sollen für den Zensus 2011 vor allem Daten aus Melderegistern und anderen Sammlungen zusammengeführt werden, zum Beispiel der Landesvermessungsbehörden oder der Bundesagentur für Arbeit.

Die Regierung folgt damit einer Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts, das schon 1983 gefordert hatte, der Staat müsse sich bei solchen Vorhaben neuester Methoden der statistischen Datenerhebung bedienen, nicht zuletzt um Kosten und Mühen für die Bürger gering zu halten.

Ganz unbehelligt bleiben diese indes nicht. Um den Wert der Registerdaten abzusichern, soll zusätzlich eine Stichprobe erhoben werden, bei der sich nach Schätzungen etwa sechs der etwa 80 Millionen Deutschen beteiligen sollen. Außerdem ist vorgesehen, die rund 17,5 Millionen Eigentümer von Gebäuden oder Wohnungen per Post nach Angaben zu ihren Liegenschaften zu befragen.

1,3 Millionen Menschen weniger

Am Donnerstagabend beschloss der Bundestag den ersten Schritt auf dem Weg zu einem solchen Zensus. Das aktuelle Gesetz dient vor allem der rechtzeitigen Einrichtung eines Anschriften- und Gebäuderegisters. Nächster Schritt ist dann ein sogenanntes Zensus-Anordnungsgesetz, das jedoch noch nicht vorliegt.

Die Bundesregierung bereitet damit den Weg für die Umsetzung einer Verordnung der Europäischen Union, die für Ende 2007 erwartet wird und in allen Ländern der Gemeinschaft Zählungen anordnet. Das Interesse der EU ergibt sich daraus, dass finanzielle Zuwendungen aus dem Gemeinschaftstopf nach der Einwohnerzahl sowie weiteren sozialen Statistiken berechnet werden. Für das föderalistisch geordnete Deutschland gilt ähnliches, zum Beispiel bei der Berechnung des Länderfinanzausgleichs, aber auch der Stimmrechte im Bundesrat oder beim Zuschnitt von Wahlkreisen.

Reif für eine Nummer

Die Ergebnisse von 2011 könnten manche Überraschung bereit halten. Seit den letzten Volkszählungen 1987 in der Bundesrepublik und 1981 in der DDR wurden die damals erhobenen Daten quasi pi mal Daumen fortgeschrieben. Das Statistische Bundesamt nimmt jedoch an, dass in Deutschland zum Beispiel 1,3 Millionen Menschen weniger leben, als es die vorhandenen Berechnungen nahelegen.

Die Zahl der Ausländer könnte demnach um rund eine halbe Million niedriger liegen. Auch die hohe Abwanderung aus den neuen Bundesländern - seit der Wiedervereinigung verließen, so schätzt man, etwa eine Million Menschen den Osten - macht die Bevölkerungsverteilung mittlerweile immer unübersichtlicher.

Eine ziemlich klare Datenspur

Die parlamentarische Mehrheit für das Gesetz war schon vor der Abstimmung am Donnerstagabend gesichert. Union und SPD betrachteten durch eine Expertenanhörung im Innenausschuss vor wenigen Tagen bereits alle Bedenken als ausgeräumt. Lediglich die Die Linke kündigte an, den Entwurf der Regierung abzulehnen. Jan Korte, Innenexperte der Fraktion, sagte, die vielen Daten der Bürger, die gesammelt werden sollten, seien nicht sicher und ihre Verwendung unklar.

Die Grünen enthielten sich der Stimme. Gleiches galt für die Liberalen, jedoch nicht wegen grundsätzlicher Bedenken, sondern weil Details der Erhebungen noch nicht ausreichend geklärt seien, so Leutheusser-Schnarrenberger. "Wir wollen keine Carte Blanche erteilen, solange diese Fragen noch offen sind", sagte die FDP-Politikerin.

Sie erwartet freilich nicht, dass es in der Bevölkerung ein ähnliches Aufbegehren geben wird wie 1987. Heute gingen die Bürger ohnehin zum Beispiel im elektronischen Zahlungsverkehr ganz anders mit persönlichen Angaben um. "Viele hinterlassen freiwillig eine ziemlich klare Datenspur."

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