Ein deutsches Phänomen: das Reformhaus:Bio-Krise in den Grünkernhöhlen

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Discounter, Supermärkte, Apotheken, Drogerien - sie alle profitieren vom Bio-Boom. Nur die Reformhäuser nicht.

Martin Bell

Es liest sich wie das Motto des zeitgemäßen Verbraucherwunschs: "Natürlich gesund leben" - eine Botschaft, mit der selbst Discounter wie Aldi und Plus ungeahnte Erfolge feiern.

Ein Umsatzschub von 41 Prozent mit Öko-Waren machte die Billigheimer laut der Agentur ACNielsen zu den Top-Gewinnern des vergangenen Jahres. Ausgerechnet jene aber, die seit 2000 mit dem Slogan "natürlich gesund leben" werben, zählen zu den größten Verlierern des Bio-Booms - die Reformhäuser.

Rund 40 bis 50 Geschäfte schließen Jahr für Jahr, seit 2000 schrumpfte die Zahl von über 1800 auf heute rund 1500 Mehr als ein Dutzend namhafter Produzenten, wie die Lüneburger PrimaVita, haben ihre Exklusivverträge mit der Reformhaus-Genossenschaft neuform gekündigt - zumal neuform begann, mit Eigenware den´Vertragsherstellern Marktanteile abzunehmen. PrimaVita, die Marken wie "granoVita" und "Eden" anbietet, wolle zwar den Reformhäusern treu bleiben, beteuert Marketingleiter Jens Bagemihl. Allerdings zu veränderten Konditionen.

Grundlegende Neuausrichtung

neuform hat auf diese Entwicklung reagiert. Um die Hersteller zurückzugewinnen, die abgesprungen sind, offeriert die hessische Vereinigung nun auch Verträge, die Produzenten die Chance lassen, weitere Vertriebswege zu nutzen. Denn die wollen ihre Ware auch in Bio-Supermärkten wie tegut oder Erdkorn und auch im traditionellen Lebensmitteleinzelhandel anbieten können. Denn dort lässt sich deutlich mehr Umsatz erzielen.

Für neuform, der Vereinigung aus Oberursel, ist das gleich in doppelter Hinsicht ein schwieriger Schritt. Denn mit den Markenartiklern kamen nicht nur Sortimentsteile abhanden, die als Alleinstellungsmerkmal gegenüber Konkurrenten dienten, sondern auch Mitfinanziers für gemeinsame Anzeigenkampagnen, wie sie etwa zwischen 2001 und 2003 von der Trierer Agentur Dietz & Partner entworfen worden waren. Ist das Reformhaus auf dem Weg zum Allerwelts-Bio-Laden, nur teurer? "Wir müssen uns dem Wandel im Markt offensiv stellen", sagt neuform-Vorstand Erwin Perlinger.

Die Voraussetzungen indes sind schlecht. Ob Vollkornnudeln, Tofu-Würstchen oder Nahrungsergänzung à la Granatapfel-Extrakt, ob Kosmetika wie Aloe-Vera-Gel und Jojoba-Peeling oder nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel wie Herz-Kreislauf-Tonika aus Weißdorn - was einst zum Einkauf im Reformhaus animierte, ist längst in Abertausenden von Läden zu haben, in Drogerien, Supermärkten, in Apotheken und bei Bio-Discountern; praktisch an jeder Ecke.

"Die Frage lautet", sagt Managementberater Volker Dölle, Handelsexperte aus Bad Homburg: "Ist die Idee des Fachmarktkonzepts noch lebensfähig, oder ist das Reformhaus im Begriff, als Shop-in-Shop in anderen Vertriebsformen aufzugehen?"

Kleinen Geschäften, der Tante-Emma-Fraktion der Branche, drohe über kurz oder lang das Aus, befürchtet auch neuform. "Um sich erfolgreich zu behaupten", so Vorstand Perlinger, "braucht es heute eine Verkaufsfläche ab 120 Quadratmetern und einen Jahresumsatz von mindestens 350.000 Euro."

Das Reformhaus der Zukunft wird, geht es nach den Vorstellungen der Genossenschaftsspitze, mit den Grünkernhöhlen von gestern wenig gemein haben. Ein Positionspapier beschreibt eine "grundlegende Neuausrichtung", die "Reformhäuser als die Fachgeschäfte für gesundes Leben" aufstelle und "Gesundheit und Prävention mit dem Genussfaktor" verbinde.

Ein Prototyp dieses neuen Zuschnitts wird Anfang April in Oberursel eröffnen. Auf einer Verkaufsfläche von 1500 Quadratmetern bietet der ehemalige Supermarkt neben der bekannten Regalware eine Kaffee- und Saftbar inklusive Reformkuchen und Vollwertsnacks sowie Beratungsecken, wo Fragen rund um Omega-3-Fettsäuren und Vitaminkapseln mit Muschelkonzentrat beantwortet werden.

"Das Reformhaus der Zukunft bringt die Themen Gesundheit und Wohlfühlen mit einem angenehmen Einkaufserlebnis in Einklang", unterstreicht Perlinger. "Unsere besonderen Stärken liegen dabei in der Exklusivität des Sortiments und vor allem in der Beratungskompetenz, die weder Verkäufer bei Aldi noch im Bio-Discount haben."

Handelsexperte Dölle ist skeptisch: "Beratung ist kein USP, die bekommen Kunden auch in 21500 Apotheken hierzulande, selbst im dm-Markt nebenan." Ähnlich zweifelhaft erscheint die angestrebte Exklusivität. Seit Jahren, oft Jahrzehnten versorgt neuform Wettbewerber wie Apotheken und Drogerien im Rahmen sogenannter Depot-Partnerschaften mit Produkten, die es sonst nur in Geschäften der Genossenschaft gibt.

"Ein kapitaler Fehler", diagnostiziert Dölle. "Das mag dem Umsatz von neuform-Artikeln gut tun, richtet aber das Profil der Reformhäuser zugrunde." Wozu ins Reformhaus gehen, wenn dasselbe - und noch viel mehr - in näher gelegenen Apotheken und Drogerien zu haben ist? Das hat wohl auch neuform erkannt. Neue Depot-Kontrakte sollen künftig nicht mehr abgeschlossen werden - allenfalls in Ausnahmen, heißt es.

Abgesehen von der Fragwürdigkeit der Neupositionierung: Dem Marketing fehlen die Mittel, um sie zu kommunizieren. Grund: Die Förderungsgesellschaft der Reformwarenwirtschaft ging pleite. Diese gemeinsame Tochtergesellschaft von neuform und den Herstellern hatte bis dato Werbekampagnen realisiert.

Heute ist neuform mit der neu gegründeten ReformhausMarketing GmbH allein auf sich gestellt - und bescheidet sich damit, das Kundenmagazin ReformhausKurier stärker als Marketinginstrument einzusetzen. "Im März planen wir eine großflächige Streuung des ReformhausKuriers", so Erwin Perlinger. Neben der üblichen Auflage von 900.000, die in Reformhäusern gratis bereitliegen, sollen bis zu eine Million weitere Exemplare als Postwurfsendungen bundesweit in Briefkästen zu finden sein.

Ob das reicht, um die Attraktivität der Reformhäuser in den Augen der Verbraucher wiederzubeleben - gegen die Werbemacht der Apotheken, Supermärkte und Drogeriemärkte? Managementberater Dölle hat seine Zweifel: "Die Reformhäuser sind etwas spät dran mit ihren Bestrebungen", meint der Bad Homburger. "Ich habe nicht den Eindruck, dass sie die ideale Positionierung, das ideale Leistungprofil gefunden haben, um gegen die Übermacht der Wettbewerber ihre Nische zu verteidigen."

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