Der Linksverkehr und seine Geschichte:Linkssruck mit Peitschenhieb

Er ist mehr als eine Skurrilität, die bei Rechtsfahrern Schweißausbrüche erzeugt: der Linksverkehr. Noch immer fährt weltweit ein Drittel der mobilen Menschheit auf der falschen Straßenseite.

Richard Kähler

Kaum etwas kann einen deutschen Autofahrer mehr aus dem seelischen Gleichgewicht bringen und ihn in seinem Trott torpedieren, als von Bord der Fähre oder aus dem Eurotunnel-Zug auf britischen Asphalt zu rollen. Denn trotz allen Wissens um den bevorstehenden Spurwechsel werden die meisten dann das panische Gefühl nicht los, dass die Welt auf dem Kopf steht - schließlich fahren die Engländer auf der falschen Seite.

Linksverkehr, Umstellung auf Rechtsverkehr, Schweden 1967, Kampagne

Richtig geblickt? Als Schweden 1967 auf Rechtsverkehr umstellte, wurde das ganze Land mit Kampagnen wie dieser auf die völlige Umstellung alter Gewohnheiten vorbereitet.

(Foto: Foto: Archiv)

Für uns Festlandeuropäer ist dieser Linksverkehr kaum mehr als eine britische Skurrilität, über die wir nach jedem Besuch auf der Insel kopfschüttelnd berichten, wenn auch manchmal mit noch schweißnasser Stirn.

Tatsächlich aber sind es nicht nur die Briten - sozusagen falsch fährt man auch in Indien und Indonesien; genau wie in Australien und auf Antigua, auf den Bahamas und den Bermudas, auf Trinidad und auf Tonga, in Thailand und Tansania, in Südafrika und auf den Seychellen, in Mosambik und auf Mauritius, auf Jamaica und in Japan.

Der Linksverkehr ist also mitnichten eine britische Marotte. In immerhin 58 der 221 selbständigen Staaten und Gebieten der Erde gibt es die Linksfahrordnung - und mit Bevölkerungsgiganten wie Indien gilt das für rund ein Drittel der verkehrsteilnehmenden Menschheit. Und schon in den Anfängen des Straßenverkehrs scheint das Linksfahren weltweit üblicher gewesen zu sein als sein gespiegeltes Gegenteil.

Linkssruck mit Peitschenhieb

So normal, wie wir heute denken, ist der uns vertraute Rechtsverkehr also gar nicht. Aber gibt und gab es denn überhaupt je schlüssige Gründe für ein bevorzugtes Rechts- oder eben Linksfahren? Die Forschung sagt nein. Der einzige einigermaßen erhellende Grund für einen Seitenentscheid ist die Mehrheit der Rechtshänder unter den Menschen. Und ihre dementsprechende Neigung im Verkehr - zumindest für Reiter und Kutschfahrer - war stets der Linksverkehr.

Ein Pferd bestieg man, so man als Rechtshänder sein Schwert links am Gürtel trug, im Mittelalter bevorzugt behinderungsfrei von der linken Seite. Aber auch ohne Schwert besteigen wir noch heute Pferde, aber auch Fahrräder und Motorräder lieber von links als von rechts - und wären damit nicht nur beim Aufsteigen, sondern auch beim ebenso üblichen Absteigen nach links am linken Straßenrand eigentlich sicherer aufgehoben, als wir es beim heutigen Rechtshalten sind.

Vom Ausholen der Peitsche

Kutscher, die als Rechtshänder die Peitsche schwangen, saßen bevorzugt auf der rechten Seite des Kutschbocks, um die hinter ihnen sitzenden Passagiere beim Ausholen der Peitsche nicht zu gefährden und bevorzugten als Rechts-Sitzer aus Gründen der Übersicht ebenfalls die linke Straßenseite.

Also ritten oder rollten die meisten eben jener unserer Vorfahren, die sich Pferde oder gar Kutschen leisten konnten, ganz selbstverständlich links. Wer ärmer und deshalb Fußgänger war, ging vorsichtigerweise auf der rechten Seite der Straßen, um nicht schlicht von hinten überrollt zu werden.

Linkssruck mit Peitschenhieb

Diese Ordnung galt, bis im Paris der französischen Revolution Robespierre zur angestrebten Gleichheit aller Bürger per Gesetz den Rechtsverkehr verordnete. Schließlich wurden auch die von Napoleon auf seinen Feldzügen eroberten europäischen Länder auf Rechtsverkehr umgestellt - und blieben, wie Deutschland, auch dabei. Bis auf die Länder der dickköpfigen Donaumonarchie, die nach Napoleons Rückzug wieder stur auf den altgewohnten Linksverkehr zurückstellten.

Allerdings nicht konsequent: Ausnahmen wie Vorarlberg und Tirol stellten mit anhaltendem Rechtsverkehr die verordnete Linksfahrregel auf den Kopf, sodass in verschiedenen Landesteilen Österreichs zur Verwirrung aller unterschiedliche Straßenseiten benutzt wurden; und besonders die Hauptstadt Wien hätte sich aus Scheu vor den drohenden Kosten der erheblichen Umbaumaßnahmen am liebsten als ewige Linksverkehr-Metropole erhalten. Es brauchte insgesamt 17 Jahre (1921-1938) und letztlich einen extrem rechtsorientierten Adolf Hitler, um endlich in ganz Österreich eine einheitliche Straßenseitennutzung einzuführen.

Derselbe Besatzer war es dann auch, der in der ehemaligen Tschechoslowakei und Ungarn in den dreißiger und vierziger Jahren den Rechtsverkehr erzwang; nur in Schweden, weder von Napoleon noch von Hitler je besetzt, fuhr man noch bis zum Jahre 1967 wie altgewohnt auf der linken Straßenseite. Und auf Island dauerte es sogar noch ein Jahr länger, bis sich endlich ganz Europa nach rechts orientiert hatte. Glücklicherweise nur auf der Straße.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: