Geophysik:Die Leichtigkeit der Hudson Bay

Mit Hilfe von Satellitendaten haben Wissenschaftler festgestellt, warum in Kanada eine besonders niedrige Schwerkraft herrscht.

Markus C. Schulte von Drach

Viele Kanadier wiegen weniger als ihre amerikanischen Nachbarn. Das liegt jedoch nicht an einer besseren Esskultur - oder zumindest nicht nur. Vielmehr würde auch ein US-Bürger, der sich an der Hudson Bay niederlässt, dort an Gewicht verlieren. Denn in einem großen Teil des Landes herrscht eine geringere Schwerkraft als in den Nachbarregionen. Der Effekt macht zwar nur etwa 35 Millionstel aus. Doch selbst das lässt sich mit Hilfe von Satelliten messen.

Tatsächlich ist die Kraft, die uns an unseren Planeten bindet, nicht gleichmäßig über diesen verteilt - und sie ist auch nicht stabil. Je nach Beschaffenheit der Erdkruste ist sie größer oder kleiner, und auch die Anziehungskraft des Mondes spielt eine Rolle. So wiegt ein Bergsteiger, der in Garmisch-Partenkirchen 80 Kilogramm auf die Waage bringt, auf der Zugspitze 40 Gramm weniger.

Stellt man die Schwerkraftverhältnisse über den ganzen Planeten verteilt graphisch dar, so sieht die Erde nicht mehr aus wie eine Kugel. Dieses Geoid ähnelt eher eine Kartoffel. Um die Form und Oberflächendynamik dieser Kartoffel möglichst genau zu messen, haben das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt und die US-Raumfahrtbehörde Nasa die Mission Grace (Gravity Recovery and Climate Experiment) gestartet. Seit 2002 umkreisen die Grace-Zwillingssatelliten die Erde.

Ziel der Mission ist unter anderem, den Einfluss der Gravitation auf verschiedene Prozesse wie ein Schmelzen der Polkappen oder die Meeresströmungen möglichst genau zu messen. Dabei untersuchen die Sonden winzigste Unterschiede in der Verteilung von Massen auf der Erde.

Genaue Daten durch Zwillingssatelliten

Der Trick: Die Satelliten fliegen in einem Abstand von 220 Kilometern voneinander und werden von den jeweils unter ihnen liegenden Erdmassen unterschiedlich stark angezogen. Davon abhängig verändern sie ihre Bahn. Überquert eine Sonde ein Gebiet mit großer Schwerkraft, wird sie leicht in Richtung Erde gezogen. Dadurch verändert sich die Entfernung zwischen beiden Sonden, woraus die Fachleute den Einfluss der Schwerkraft ableiten können.

Warum sich gerade über der Hudson Bay ein Schwerkraft-Tal befindet, war bislang nicht klar. Forscher des Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics in Cambridge, USA, und der University of Toronto, Kanada, haben mit Hilfe von Daten der Satelliten jetzt festgestellt, dass mehrere Ursachen hinter der niedrigen Schwerkraft rund um die Hudson Bay stecken.

Zum einen hängt das Phänomen offenbar damit zusammen, dass bis vor 20.000 Jahren große Teile Nordamerikas mit einer bis zu drei Kilometer dicken Eisschicht bedeckt waren, die großen Druck auf die Erdkruste ausübte. Dann ging das Eis innerhalb kurzer Zeit zurück. Befreit vom Gewicht beult sich die Erdoberfläche seitdem mit einer Geschwindigkeit von 12 Millimetern pro Jahr wieder aus. Wie die Satellitendaten zeigen, waren die Eismassen an zwei Stellen besonders dicht: westlich und östlich der Hudson Bay.

Wie die Forscher um Mark Tamisiea im Fachmagazin Science (Bd.316, S.881, 2007) berichten, geht der Effekt jedoch zu etwa zwei Drittel auf eine andere Ursache zurück. Im Erdmantel findet ein permanenter Austausch von geschmolzenem Gestein statt, wobei aus der Tiefe der Erde heiße Massen nach oben strömen, während kühleres Gestein nach unten sinkt. Dadurch kann es zu einer Sogwirkung auf die darüberliegenden Erdplatten kommen.

Die Forscher hoffen, dass sich mit den Satellitendaten die Effekte früherer Eiszeiten genauer analysieren lassen, um so bessere Modelle der Klimaveränderungen in der Vergangenheit unseres Planeten zu erstellen.

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