Kriegsverbrechen in Burundi:Im Schatten von Ruanda

Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit versucht man auch im kleinen Land Burundi, den Völkermord und seine Folgen aufzuarbeiten - und kommt dabei nur schleppend voran.

Judith Raupp

Die Mörder standen plötzlich da. Sie kamen von vorn, von links und von rechts. Der Erzbischof hatte keine Chance. Noch bevor der Gottesmann in seinem Jeep den Fluss Mubarazi vor der Provinzhauptstadt Gitega überqueren konnte, knallten die Attentäter Vater Joachim Ruhuna ab wie ein Stück Vieh. Sie schleppten den Leichnam zu einem Hügel und verscharrten ihn unter dem Gebüsch. Der Anschlag auf den Erzbischof von Gitega am 9. September 1996 markierte den Höhepunkt des Bürgerkriegs in Burundi.

Kriegsverbrechen in Burundi: Beerdigung von ermordeten Tutsi in Burundi im Jahr 2004.

Beerdigung von ermordeten Tutsi in Burundi im Jahr 2004.

(Foto: Foto: AFP)

"Es war ein Schock für uns alle. Wir dachten, wenigstens der Erzbischof sei unantastbar", erzählt Jean-Marie Kazitonda. Der Priester führt ausländische Besucher gern zu der Kreuzung im Busch, wo der Bischof in den Hinterhalt geriet. Mehr als ein schlichtes Holzkreuz und ein halbfertiges Denkmal aus Stein sind dort nicht zu sehen. Aber die Fremden sollen zumindest das Grauen erahnen können, das der Krieg über sein Volk gebracht hat. Sie sollen wissen, dass es nicht nur im Nachbarland Ruanda einen Genozid gab. Auch Burundi hat gelitten.

Jahrzehntelang schlachteten sich Angehörige der Tutsi- und der Hutu-Ethnie ab, aufgestachelt von machthungrigen Politikern. Allein seit 1993 kamen 300.000 Menschen um. Mehrere hunderttausend Menschen flohen aus dem zentralafrikanischen Land, das so groß ist wie die Schweiz. Die letzten Gefechte sind erst vor ein paar Monaten verstummt.

All das ist an der Weltöffentlichkeit vorbeigegangen, weil sich deren Blick auf Ruanda richtete. Ruanda lieferte schockierende Bilder, als die Hutu im Frühjahr 1994 innerhalb von 100 Tagen 800.000 Tutsi und gemäßigte Hutu mit Macheten niedermetzelten. Dagegen wirkte Burundi fast ruhig, weil sich die Gräueltaten in kleineren Dosen über mehrere Jahre abspielten.

Trügerische Ruhe

Dabei ist das Land am Tanganyika-See von einem stabilen Frieden weit entfernt. Nachbarn haben ihre Nachbarn massakriert, Männer ihre Frauen umgebracht. Wem sollen die Menschen noch trauen? Einer höheren Macht vielleicht, einer Macht wie Gott zum Beispiel. Die Kirchen in Burundi sind sonntags voll. 70 Prozent der acht Millionen Burunder sind Katholiken, gute Katholiken, würde man in Deutschland sagen.

Sie verehren Männer wie Simon Ntamwana. Er wurde Erzbischof von Gitega, nachdem Vater Ruhuna ermordet worden war. Ntamwana ist ein Mann des Volkes. An einem lauen Abend in der Trockenzeit isst er mit Novizinnen Süßkartoffeln und Erbsen. Das bodenlange weiße Gewand verleiht dem 61 Jahre alten Bischof Würde.

Ein rosaroter Stoffgürtel wölbt sich über seinem Bauch. Er lächelt freundlich und spricht mit tiefer Stimme."Wir müssen verzeihen, wir müssen uns versöhnen", sagt er. Da entdeckt er plötzlich die Laienpredigerin Adele in einer Gruppe tanzender Frauen. "Schauen Sie. Adele ist eine wunderbare Person."

Lesen Sie im zweiten Teil, warum es in Burundi immer noch kein UN-Sondertribunal gibt, das den Genozid aufarbeitet.

Im Schatten von Ruanda

Adele ist wunderbar, weil sie die Versöhnungspolitik des Erzbischofs bis zur letzten Konsequenz lebt. Die Frau in den Vierzigern singt mit geschlossenen Augen vom Frieden und klatscht. Besser gesagt, sie versucht zu klatschen. Rhythmisch schlägt ihre linke Hand auf den Stummel am rechten Arm, den ihre Peiniger übrig ließen, als sie ihr im Krieg die Hand abhackten. Adele besitze ein großes Herz, sagt Erzbischof Ntamwana.

Sie hat den Schlächtern tatsächlich verziehen. Sie hat sogar in einer Fernsehansprache die Regierung gebeten, die Täter aus dem Gefängnis zu entlassen. Sie tut so etwas, weil sie Christin ist, was den Bischof natürlich freut. Bis jetzt sind die Behörden dem Wunsch von Adele allerdings noch nicht nachgekommen.

Der Bischof weiß selbst am besten, welche Schmerzen der Krieg bereitet. Immer wieder hat er Todesdrohungen erhalten, weil er die kämpfenden Tutsi und Hutu Brudermörder nannte. Seinen Vater, seinen Bruder und mehrere Dutzend weitere Verwandte hat er verloren. Und doch will er nur eins: Versöhnung.

Und wie steht es mit der Gerechtigkeit? Da drückt sich der Erzbischof um eine klare Antwort. Sicher, die Wahrheit müsse auf den Tisch. Täter und Opfer müssten "Verantwortung übernehmen", meint der Bischof. Aber es gehe nicht um Bestrafung, sondern um Versöhnung. So spricht ein Mann Gottes, kein irdischer Richter.

"Kultur der Straflosigkeit"

Manche stört diese Haltung. "Wenn sich die Täter in Sicherheit wiegen können, dass sie nicht bestraft werden, ist Frieden nicht möglich", kritisiert Susanne Jesih von Amnesty International. Eine rein religiöse Versöhnung hält sie geradezu für ein "fatales Signal an alle skrupellosen Despoten".

Mit dieser Meinung steht sie nicht allein. Erst im Mai ist Louis Arbor, die Menschenrechtskommissarin der Vereinten Nationen, nach Burundi gefahren und hat die "Kultur der Straflosigkeit" angeprangert. Sie hat Präsident Pierre Nkurunziza daran erinnert, dass Burundi eine Kommission für Wahrheit und Versöhnung und ein Sondergericht schaffen müsse, das die Kriegsverbrechen aufarbeitet.

So war es schließlich mit den Vereinten Nationen ausgemacht, als Nkurunziza vor zwei Jahren in einigermaßen freien Wahlen zum Staatschef bestimmt wurde. Für das Nachbarland Ruanda gibt es längst ein UN-Sondertribunal, das die Verbrechen während des Genozids aufarbeitet.

Noch im Juli würden Gespräche aufgenommen, hat Nkurunziza der Menschenrechtskommissarin im Mai versprochen. Nun ist der Juli vorbei, geschehen ist nichts. Bisher verlässt sich der Präsident darauf, dass die ethnischen Quoten in der Armee und im Parlament den Frieden sichern. Im Heer sind Tutsi und Hutu je zur Hälfte vertreten.

Im Parlament stellen die Hutu 60 Prozent, weil sie die Mehrheit in der Bevölkerung sind. Die Verteilung der Macht hält Nkurunziza offenbar für wichtiger als das Aufarbeiten der Kriegsverbrechen.

Lesen Sie im dritten Teil, wie Theaterspielen zur Versöhnung im Land beitragen soll.

Im Schatten von Ruanda

Abgesehen davon ist er ständig damit beschäftigt, Querschläger in seiner instabilen Regierung zu beseitigen. Gerade hat er fünf Minister auf einmal entlassen und behauptet, es würde ein Putsch gegen ihn vorbereitet. Erzbischof Ntamwana sagt allerdings, der Präsident habe gar kein Interesse an der Wahrheitskommission. Das ist gut möglich. Schließlich war Nkurunziza im Krieg ein Rebellenführer. Wer weiß, welche Schandtaten zutage kämen, wenn er die Fragen einer Untersuchungskommission beantworten müsste.

Reden lernen im Theater

Solange der Staat die Kriegsverbrechen nicht aufklärt, bleiben vorläufig nur die frommen Versöhnungsversuche der Kirche. Barthélemy Ntakarutimana arbeitet in einem solchen Projekt an der Universität in der Hauptstadt Bujumbura.

Er studierte dort in den neunziger Jahren Landwirtschaft und erinnert sich noch gut an den 10. Juli 1995. Um zwei Uhr nachts gingen Tutsi- und Hutu-Studenten im Wohnheim plötzlich aufeinander los. Es hat mindestens zehn Tote und viele Verletzte gegeben. "Wir waren fassungslos, wir hatten plötzlich alle Angst voreinander", sagt Barthélemy. Es musste etwas geschehen. Die Kirche hat sich der Studenten angenommen, und Barthélemy hat gleich mitgemacht.

Seither versucht er, den jungen Menschen an der Universität beizubringen, dass Hutu und Tutsi gleichermaßen Menschen sind. Er lässt sie gemeinsam Theater spielen und diskutieren. Sie sollen wieder Vertrauen zueinander fassen. Manche müssen erst lernen, dass man überhaupt miteinander sprechen kann. Die Studenten haben auch den Politikern klargemacht, dass sie auf dem Campus nicht mehr erwünscht sind. Früher kamen die Funktionäre und haben die jungen Hutu und Tutsi in Propagandareden gegeneinander aufgehetzt.

Barthélemy findet, das Versöhnungsprojekt klappe ganz gut. Er ist jetzt 35 Jahre alt und hat selten solche friedlichen Zeiten erlebt wie jetzt. Ob er Hutu oder Tutsi ist, will er vor den versammelten Studenten aber nicht sagen. Es könnte ja sein, dass ihm doch einer Böses will.

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