Geesthacht:Labor bestreitet verbotene Atom-Experimente

Behörden und Forscher in Schleswig-Holstein haben sich gegen Vorwürfe gewehrt, in den achtziger Jahren durch verbotene Atom-Experimente Menschen in der Elbmarsch verstrahlt zu haben. Auch die Staatsanwaltschaft Lübeck sieht keine Anzeichen für einen Störfall.

Von Christopher Schrader und Martin Urban

Am Montag waren sechs Wissenschaftler aus einer Kommission zurückgetreten, die Leukämiefälle in der Nähe des Kernkraftwerks Krümmel und des GKSS-Forschungszentrums in Geesthacht südöstlich von Hamburg untersuchen sollte.

Die Mitglieder um den ehemaligen Vorsitzenden Otmar Wassermann hatten ihren Ausstieg mit mangelnder Kooperation der Landesregierung in Kiel begründet. Als Ursache der seit 1989 aufgetretenen Häufung von Leukämie bei Kindern identifizierten sie "geheim gehaltene kerntechnische Sonderexperimente auf dem GKSS-Gelände" und einen vertuschten Störfall im September 1986.

Das wurde von allen beteiligten Stellen energisch dementiert. "Es hat bei uns nie einen derartigen Störfall gegeben", sagte der GKSS-Sprecher, Hans-Friedrich Christiansen; auch seien nie Experimente gemacht worden, von denen Wassermann gesprochen habe. Die Landesregierung in Kiel wies die Vorwürfe zurück: Sie nehme die Fälle von Leukämie "sehr ernst", seit Gründung der Kommission 1992 seien 4,5 Millionen Euro in die Ursachenforschung investiert worden.

"Keine herausragenden Schwankungen"

Die Staatsanwaltschaft Lübeck hat keinerlei Anzeichen für einen Zwischenfall bei der GKSS. Sie hatte im Jahr 2001 nach einer Anzeige der Organisation IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung eines Atomkriegs) ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Dabei seien die Protokolle der Instrumente geprüft worden, die auf dem Kernkraftwerk Krümmel die Radioaktivität messen, sagte Staatsanwalt Christian Braunwarth der Süddeutschen Zeitung. "Es gab da zwar einen Tag mit erhöhten Werten, aber er war im Verlauf der zeitlichen Schwankungen nicht herausragend."

Geheime Experimente als Ursache der Leukämiefälle seien aus der Luft gegriffen, sagte Erich Wichmann vom GSF-Forschungszentrum in Neuherberg bei München. Er ist eines der verbliebenen Kommissions-Mitglieder in Schleswig-Holstein und zugleich Vorsitzender des gleichen Gremiums in Niedersachsen. "Die langjährige Arbeit beider Kommissionen hat keinerlei belastbare Hinweise ergeben, die eine solche, rein spekulative Aussage rechtfertigen könnten."

Demgegenüber beharrte der Münchner Strahlenmediziner Edmund Lengfelder, einer der zurückgetretenen Wissenschaftler gegenüber der SZ auf seiner These: Die Kommission habe in der Umgebung von GKSS und Krümmel millimetergroße Keramikkügelchen gefunden, die Kernbrennstoffe enthielten. Sie könnten dazu verwendet worden sein, miniaturisierte Atombomben herzustellen. Die Kügelchen seien offenbar bei einem Brand 1986 freigesetzt und in der Landschaft verstreut worden.

Kügelchen und ihre Messungen

Handfeste Belege, dass die GKSS wirklich mit solchen Kügelchen experimentiert hat, fehlen Lengfelder jedoch. Zudem hat die offiziell von der Bundesregierung eingesetzte Strahlenschutzkommission schon im Februar 2003 die Messungen an den Kügelchen als "wissenschaftlich nicht nachvollziehbar" bewertet.

Es gebe keine Hinweise, dass es sich um Kernbrennstoffpartikel handle. Überhaupt sei nicht zu belegen, dass in der Umgebung von GKSS und Krümel eine ungewöhnliche radioaktive Belastung vorliege.

Allerdings bleiben in der Diskussion über die Leukämiefälle viele ungeklärte Details. Das Unbehagen angesichts der fehlenden Erklärung kann Erich Wichmann von GSF-Forschungszentrum verstehen. Abhelfen kann er ihm nicht. Wichmanns niedersächsische Kommission wird in Kürze die Resultate ihrer eigenen Analysen veröffentlichen: Die Wissenschaftler haben keine Erklärung für die Leukämie-Häufung gefunden.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: