Akupunktur:Hilfe aus Fernost

Akupunktur wirkt gegen chronische Schmerzen, Migräne und Heuschnupfen. Dabei gilt: Erst den Körper "lesen", dann nadeln!

Lisa Nolde

"Ich bin doch kein Nadelkissen", hatte er sich noch vor zwei Tagen empört, als ihm eine Kollegin wegen seiner heftigen Rückenschmerzen eine Behandlung mit Akupunktur vorschlug. Und jetzt liegt er da. Bäuchlings auf einer Pritsche aus Kunstleder. Kleine Nadeln flutschen in seinen Körper hinein. Einen neuerlichen Gang zum Orthopäden hatte er gescheut, denn der Facharzt bezeichnete die ständigen Rückenprobleme als Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule, die einem 48-Jährigen "dienstgradmäßig" zustünden.

Akupunktur, dpa

Behutsame Heilung mit spitzen Nadeln

(Foto: Foto: dpa)

Eine typische Situation: Schlagen die herkömmlichen Behandlungsversuche fehl, wird die Akupunktur - trotz anfänglicher Skepsis - eben doch als medizinische Alternative erwogen.

Das Nadeln ist eine lang erprobte Heilmethode, deren Wurzeln in der antiken chinesischen Medizin liegen, also vor etwa 2000 Jahren. Der Begriff Akupunktur setzt sich zusammen aus dem Wort "acus", das bedeutet Nadel, und "pungere", stechen. Und nun heißt es umdenken für alle, die an die westliche Medizin gewöhnt sind: Mittelpunkt der chinesischen Heilkunst ist eine fließende Lebenskraft, auch Lebensenergie Qi oder Lebensatem genannt. Aus chinesischer Sicht bezieht der Mensch "Qi" aus der Atemluft und der Nahrung sowie aus einer von den Eltern vererbten Lebensenergie.

Die Funktionen aller Organe richten sich nach diesem geheimnisvollen Qi: also Atmung, Herztätigkeit, Verdauung, Körperabwehr und Muskelbewegungen werden dadurch beeinflusst. Ist dieser Energiefluss gestaut, unterbrochen oder anderweitig behindert, können körperliche Störungen und Krankheiten auftreten.

Nach den Vorstellungen der chinesischen Medizin gelingt es mithilfe der Akupunktur, dass die Lebensenergie Qi wieder gleichmäßig fließt - im Körper also nirgends Mangel oder Überfluss entsteht. Und wo etwas fließen soll, braucht man Bahnen: Das Qi fließt nach chinesischer Lehre durch 14 Hauptmeridiane und einige Nebenleitbahnen. Die Hauptmeridiane - auf ihnen liegen 361 Akupunkturpunkte - sind bestimmten Funktionen oder Organen zugeordnet. Der Fluss des Qi wird verbessert, indem pro Akupunktursitzung fünf bis 20 individuell bedeutsame Punkte genadelt werden.

Frieren Sie oft? Ist Ihre Zunge belegt?

Doch bevor der Akupunkteur nadelt, betreibt er eine besondere Diagnostik: Wesentlicher Bestandteil der chinesischen Medizin ist es, den Körper "lesen" zu lernen. Hierzu gehören eine eingehende Befragung - auch nach Ernährungsgewohnheiten, Kälte- sowie Wärmeempfindungen - und die Puls- und Zungendiagnostik. Die Befunde werden schließlich einzelnen Krankheitssymptomen zugeordnet. Dann wird die Behandlung individuell geplant.

Zur Akupunktur werden verschiedene Techniken genutzt: das traditionelle Nadeln, die Laser-Akupunktur (die Körperpunkte werden mit schwachem Laserlicht bestrahlt) sowie unterschiedliche Methoden, um den einzelnen Nadelreiz zu verstärken. Dazu gehören die Elektrostimulation (an den Nadeln werden Elektroden befestigt, sie leiten einen schwachen Strom in den Körper) und die Moxibustion (Erwärmung von Akupunkturpunkten).

Der 48-jährige Rückenschmerzpatient wurde traditionell genadelt. Er spürte beim Setzen der Nadeln keine Schmerzen, sondern nur ein leichtes Kribbeln und bereits nach der zweiten Sitzung ließen die Schmerzen im Rücken deutlich nach. Die Kosten der Akupunktur-Behandlung übernahm seine Krankenkasse.

Zwei Diagnosen stehen derzeit im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen: So wird Akupunktur zur Therapie von wiederkehrenden Schmerzen im Knie und in der Lendenwirbelsäule, auch LWS-Syndrom genannt, bezahlt. Eine umfangreiche deutsche Studie zeigte, dass die Nadelkunst beim LWS-Syndrom doppelt so wirksam ist wie gängige westliche Therapien, bei Knieschmerzen sogar dreimal so effektiv, so Dr. Gabriel Stux, Düsseldorf, Vorsitzender der Deutschen Akupunktur Gesellschaft.

Migräneattacken halb so oft

Aber auch bei anderen Erkrankungen hat sich Akupunktur bewährt, wenngleich die Krankenkassen die Kosten nicht übernehmen. Hierzu gehört auch Migräne: Elf Nadel-Sitzungen binnen sechs Wochen waren wirksamer als eine vorbeugende medikamentöse Therapie von sechs Monaten, wie Studien zeigten. Die Migräneattacken verringerten sich um 50 Prozent.

Auch Spannungskopfschmerz, Asthma, Heuschnupfen, Menstruationsbeschwerden, Schmerzen in der Hüfte oder im Bereich der Halswirbelsäule bessern sich nachweislich durch Akupunktur, so der Experte. Darüber hinaus behandeln erfahrene Akupunkteure weitere Erkrankungen erfolgreich wie etwa Suchtleiden, Depressionen, Schlafstörungen, Allergien und Lähmungen nach Schlaganfall. Doch langfristige Effekte lassen sich nur erzielen, wenn eine "hochwertige Qualitätsakupunktur" erfolgt (siehe Kasten).

Und wie ist das bei Kindern? Vor allem bei Migräne, Spannungskopfschmerzen, Sportverletzungen, Heuschnupfen, Asthma und Schiefhals werde Akupunktur bei Kindern erfolgreich angewendet, so Dr. Raymund Pothmann, Spezialist für Laser- und Kinderakupunktur aus Hamburg. Die Ansprechrate liegt bei Kindern mit Heuschnupfen um 90 Prozent, für kleine Asthmatiker beträgt sie 50 bis 60 Prozent. Da Kinder oft Angst vor einem Einstichschmerz haben, bietet sich die Laser-Akupunktur als Alternative: Hierbei werden die Akupunkturpunkte wenige Sekunden lang mit Laser bestrahlt, also nicht genadelt.

Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen bei Kindern keine Kosten für Akupunkturbehandlungen, pro Sitzung muss man 40 bis 45 Euro kalkulieren, für eine Lasertherapie etwa 20 bis 25 Euro. Erfahrungsgemäß reicht in einfachen Fällen manchmal schon zwei Sitzungen aus, um die kleinen Patienten für eine Saison vom Heuschnupfen zu befreien - bei manch einem gelinge es sogar, das Leiden gänzlich zum Stillstand zu bringen, so der Kinderarzt.

Auch für Kinder mit Neurodermitis biete die fernöstliche Heilkunst sanfte Therapien: Um den Juckreiz zu bannen, könnten kleine Akupressurkügelchen an der Ohrmuschel angebracht werden, berichtet Dr. Pothmann. Durch Druck auf spezielle Akupunkturpunkte, auch Akupressur genannt, kommt der lindernde Effekt zustande.

Ob Groß oder Klein, aus Angst vor Nebenwirkungen schrecken viele davor zurück, sich nadeln zu lassen. Zunächst müsse zwischen Kunstfehlern und Nebenwirkungen unterschieden werden, betont Dr. Stux. Zu Kunstfehlern kann es kommen, wenn ein Akupunkteur keine seriöse Qualitätsakupunktur macht: Vielleicht ist er nicht gut ausgebildet, zu unerfahren oder betreibt nur kosteneffiziente Fließbandakupunktur. Bei kunstgerechter Anwendung sind Nebenwirkungen allerdings kaum zu erwarten. Dies geht aus drei großen Krankenkassen-Studien mit über einer Million Patienten hervor. Nur selten fanden sich kleine Blutergüsse an einzelnen Akupunkturpunkten. Und manche Patienten, 2,5 bis 3,5 Prozent, zeigen nach dem Nadeln leichte Kreislaufreaktionen: Also nicht sofort ans Steuer! Infektionen kamen praktisch nicht vor - unsterile Nadeln würden außerdem unter die Kategorie Kunstfehler fallen.

Wie wirkt die Akupunktur eigentlich?

Wir fragten Dr. Gabriel Stux, Arzt für Allgemeinmedizin, seit 30 Jahren Akupunktur-Praxis, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für AkupunkturDie komplexe Wirkweise der Akupunktur ist aus schulmedizinischer Sicht nicht restlos geklärt. Zum einen wiesen Forscher nach, dass Akupunktur die Produktion von Endorphin ankurbelt. Dieser Stoff wirkt schmerzlindernd und entspannend. Außerdem steigt der Serotoninspiegel im Blut. Der Botenstoff steuert bestimmte Hirnfunktionen und ist am Schmerzerleben beteiligt. Durch Nadelreize an bestimmten Körperstellen lässt sich zudem die Schmerzempfindlichkeit in speziellen Gehirnbereichen herabsetzen. Akupunktur hat darüber hinaus eine Reflexwirkung: Die Reizung von Akupunkturpunkten führt dazu, dass die diesen Punkten zugeordneten Organe beeinflusst werden. Und auch eine Freisetzung von Wachstumsfaktoren wurde nachgewiesen. Diese fördern beispielsweise die Regeneration im Gewebe, z.B. in Gelenken, und aktivieren die Selbstheilungskräfte des Körpers.

Welche Ärzte sind Profis in Akupunktur?

Etwa 40.000 Ärzte bieten in Deutschland Akupunktur an. Doch die Qualitätsunterschiede sind enorm! Fragen Sie nach der Ausbildung des Therapeuten: Er sollte ein B-Diplom haben. Diese Ausbildung ist umfassender (350 Kursstunden) als beim A-Diplom (140 Stunden). Wer den Titel "Tätigkeitsschwerpunkt Akupunktur" trägt, hat 200 Ausbildungsstunden absolviert. Eine zusätzliche 80-stündige Fortbildung in Schmerztherapie und Psychosomatik ist die Voraussetzung, um eine Akupunktur-Behandlung von chronischen Knie- und Rückenschmerzen mit den gesetzlichen Krankenkassen abzurechnen. Sie können sich auch an Qualitätssiegeln orientieren:Die Deutsche Gesellschaft für Akupunktur u.a. haben die "Qualitätsinitiative Akupunktur" ins Leben gerufen, die das "Qualitätssiegel Akupunktur" an besonders qualifizierte Akupunkteure mit B-Diplom vergeben.www.akupunktur-qualitaet.info undwww.akupunktur-aktuell.deDie ATCÄ-Gesellschaft* verleiht das Siegel "Prädikatsakupunktur in China weitergebildet". Voraussetzung: Die Mehrzahl der 350 Fortbildungsstunden des B-Diploms erfolgten in China.www.atcae.orgDie Forschungsgruppe Akupunktur verleiht ein Qualitätssiegel an Ärzte mit B-Diplom und regelmäßiger Weiterbildung.www.akupunktur.infoDie Deutsche Akademie für Akupunktur und Aurikulomedizin bietet einen Service, um die Arztsuche zu erleichtern:www.akupunktur-information.de,www.akupunktur-online.info * Gesellschaft für Akupunktur und Traditionelle Chinesische Medizin in China weitergebildeter Ärzte

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