Musikmesse Popkomm:Der Download kann dem Album nix

Musik aus dem Netz gefährdet den CD-Absatz - diese Regel hat sich überholt. Die Käufer werden konservativer und kaufen mehr Alben, doch die Musikindustrie setzt weiter auf den einzelnen Song.

Dirk Peitz

Es ist ein schöner Zufall: Nur ein paar Tage vor Beginn der Musikmesse Popkomm in Berlin stellte Apple die neue iTunes-Version zum Herunterladen ins Netz. Aus der ursprünglichen Songdatenbank für den Computer ist in der Version 7 mittlerweile eine Multimedia-Oberfläche geworden. Bald soll der Benutzer nicht nur Musik, sondern auch Filme über iTunes kaufen, verwalten, abspielen und damit seinen iPod füttern können.

Musikmesse Popkomm: Auf der Popkomm hängt der Himmel voller Alben. Bis Freitag treffen sich in Berlin Fachleute der Musik- und Entertainmentbranche aus aller Welt. Die 18. Popkomm findet in diesem Jahr zum dritten Mal in der Hauptstadt statt.

Auf der Popkomm hängt der Himmel voller Alben. Bis Freitag treffen sich in Berlin Fachleute der Musik- und Entertainmentbranche aus aller Welt. Die 18. Popkomm findet in diesem Jahr zum dritten Mal in der Hauptstadt statt.

(Foto: Foto: ddp)

Und wenn im Frühjahr das neueste sexy Unterhaltungselektronikgerät aus der Designwerkstatt des Computerherstellers und MP3-Player-Giganten auf den Markt kommt, ein kleiner Kasten namens iTV Player, soll sich die Möblierung unserer Wohnzimmer weiter ändern: Nach unseren CD-Playern und -Sammlungen, die dem iPod bereits zum Opfer gefallen sind, sollen wir demnächst auch die DVD-Player und -Filme wegwerfen oder auf Ebay versteigern, die Regale dafür am besten gleich mit.

Wenn das so weitergeht, wird Apple die Wohnzimmer bald leer geräumt haben, bis auf die Sitzgelegenheiten, ein Home-Entertainment-Center und das Bücherregal, für dessen Entsorgung sich Apple bisher noch nicht zuständig fühlt.

Deutsche laden Musik lieber runter...

Mit einem leidlich funktionalen, aber höchst symbolischen grafischen Feature packt iTunes 7 nun die physische Tonträgersammlung sichtbar in den Computer: Statt der bisherigen kühl-tabellarischen Liedliste lassen sich jetzt in einem Bildschirmfenster die Cover zu den Songs durchblättern. Nicht die eigene Hand streift mehr das Plastik der CD-Hülle, sondern die Computermaus eine virtuelle dreidimensionale Darstellung davon.

Eigentlich ist das nur die weitere Überführung eines taktilen Vorgangs in eine digitale Repräsentanzform auf dem Computerbildschirm. Doch mit dem sogenannten Cover-Flow lindert Apple vor allem den Abschiedsschmerz, den wir beim Verlust der konkreten Gegenstände empfinden mögen. Obwohl die CD im Gegensatz zur längst abgelösten Schallplatte schon wegen ihrer sterilen, aber haltbareren Verpackung immer den Nachteil hatte, weit weniger sentimentale Gefühle auszulösen.

Passend zum iTunes-Update und zum Beginn der Popkomm, die iTunes zumindest nicht in ihrem offiziellen Kongressprogramm diskutieren wird, meldet der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und Medien (Bitkom) ein paar neue Download-Rekorde. Im ersten Halbjahr 2006 stieg die Zahl der legalen Musikdownloads in Deutschland im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um ein Drittel auf 11,7 Millionen.

Im selben Zeitraum sank der Tonträgerabsatz um 3,4 Prozent auf 63,8 Millionen Stück, melden wiederum die Deutschen Phonoverbände. Der Rückgang ist immerhin weniger drastisch als im ersten Halbjahr 2005, da waren es noch knapp zehn Prozent. Außerdem blieb der Absatz von Alben stabil, jedoch brach der Single-Markt weiter ein, um fast 15 Prozent.

..., doch das Künstler-Album bleibt beliebt

Man könnte nun also annehmen, es handele sich bei der Entwicklung um eine einfache Verlagerung vom physischen Tonträger zum Herunterladen von Einzeltracks, doch tatsächlich überkompensieren die Downloads ja den Absatzrückgang bei den Singles. Das erstaunlichste Ergebnis der Bitkom-Bilanz aber beziffert die nicht einmal genau: Signifikant angestiegen sei die Zahl der heruntergeladenen Alben, sagt man dort auf Nachfrage.

Weil ganze Alben bei der Bitkom-Untersuchung jedoch als einzelner Download gezählt wurden und deren Anteil am Gesamtmarkt nicht bekannt ist, lässt sich das Phänomen nicht mit genauen Zahlen belegen, doch es scheint einstweilen festzustehen: All den Totenreden zum Trotz lebt das Musikalbum. Als physisches Ding wird es nach jahrelangen Rückgängen derzeit zumindest so oft gekauft wie noch im vorigen Jahr, und selbst wenn es nur als Datenmenge durch die DSL-Leitung ins Haus kommt, gewinnt es wieder an Bedeutung.

Dabei galt das Gegenteil als ausgemacht. Nur noch die bekanntesten Songs, hieß es, würden die Leute in Zukunft herunterladen, und diese dann im endlosen Zufallsbetrieb der Shuffle-Funktion ihres iPods herumtragen. Überhaupt sei das Konzept Künstleralbum vorbei, weil sich dort allzu oft zwischen wenigen Hits ganz viel mittelmäßiges Füllmaterial verberge. Das ist zweifellos zutreffend, hat die Menschen aber früher auch nicht vom Kauf abgehalten. Offenbar sind die Käufer also doch kontextverknallt, oder das Konzept Popstar und Rockband funktioniert immer noch besser als angenommen.

Das alte Businessmodell hat sich endgültig erledigt

Den Betroffenen selbst ist das aber offenbar kaum bewusst: In der aktuellen Ausgabe des amerikanischen Magazins Wired verkündet zum Beispiel Beck per Interview den Tod des klassischen Albumkonzepts. Er suche stattdessen nach neuen Wegen der Interaktion mit seinem Publikum - die Leute sollen seine Songs nicht nur online remixen können, sondern am besten gleich als Videospiel zocken. Was leider technisch noch nicht ganz klappt. Immerhin dürfen die Käufer seines demnächst erscheinenden Albums "The Information" das Cover selbst gestalten dank mitgelieferter Aufkleber, und im Videoportal YouTube werden die Verfilmungen sämtlicher Songs zu sehen sein. Seine Plattenfirma, schwört Beck, habe ihn bei seinen Überlegungen unterstützt.

Tatsächlich könnten die Nachrichten von der Attraktivitätssteigerung ihrer Künstleralben die Musikindustrie wieder einmal zum Überdenken ihrer Strategie veranlassen. Bisher ging man dort in den allermeisten Zukunftsszenarien davon aus, dass das Download-Geschäft das Gewinnbringerformat Album akut gefährde. Auf dem Album jedoch fußt traditionell das Geschäftsmodell des Tonträgerverkaufs. Singles und Maxisingles kosten in Herstellung und Vertrieb etwa genau soviel wie Alben, die aber ein Mehrfaches an Umsatz bringen - die Zusatzkosten für die Musikaufnahmen von zehn, zwölf Songs fallen im Vergleich zu den zwei auf einer Single meist kaum ins Gewicht.

Das jedoch hat sich in den vergangenen Jahren bereits teilweise geändert, auch deshalb schien die angenommene Liedfixierung der Download-Kundschaft das alte Businessmodell endgültig zu erledigen: Gerade im Pop, R&B und Hip-Hop werden die Kosten von Produzenten in die Höhe getrieben, die sich ihre Klangveredelungsarbeit sehr teuer bezahlen lassen. Und je prominenter der jeweilige Klient ist, desto größer werden für die Plattenfirma noch die Aufwendungen zum Beispiel für die anstehenden Promotiontrips. Stars sind nun mal anspruchsvoll und entsprechend teuer im Unterhalt.

Dem Teufelskreis aus steigenden Kosten bei gleichzeitigen Umsatzrückgängen ist die Musikindustrie in sieben aufeinander folgenden Jahren mit Absatzeinbrüchen bislang nicht entkommen. Wieder werden Entlassungen angekündigt, und auf dem Branchentreff Popkomm wird ein weiter verbesserter Urheberschutz gefordert und wieder mal werden Umsonst-Download-Initiativen als Lockangebote beworben, um dem illegalen Herunterladen irgendwas entgegenzusetzen. Illegale Downloads nehmen trotz aller Maßnahmen, auch mit den Mitteln des Strafrechts, weiter zu. Dass nationale Künstler im Vergleich zu Weltstars erheblich weniger Kosten verursachen und ähnliche Absätze erzielen, hat die Musikindustrie längst realisiert.

Jetzt also könnte sich die Branche auf das Album als Kunstform und Renditebringer besinnen. Apple tut dies übrigens bereits, jedenfalls grafisch: iTunes 7 kennt, bis auf die allerneuesten Veröffentlichungen, gar keine Single-Cover. Dort erscheinen bei älteren Songs in der Regel die Hüllen der Alben, auf denen sie mal erschienen sind. Und Apple, das haben wir mittlerweile ja gelernt, hat immer recht.

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