Die Frauenquote in der Politik:Teile und herrsche

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Neueste Zuckungen aus dem Krisengebiet: Feminismus war gestern, Patriarchat vorgestern. Heute begegnen sich Männer und Frauen auf Augenhöhe. Vor allem in der Politik. Angeblich.

Von Christine Dössel

In der Politik, im Job und in den Medien kehrt der Geschlechterkampf unter neuen Vorzeichen zurück. Eine Artikelreihe erkundet das aktuelle Krisengebiet. Der zweite Beitrag untersucht, was die Quote in der Politik gebracht hat.

Emmeline Pankhurst aus Manchester, Gründerin der "Women's Social and Political Union" (WSPU), wird um 1907 in London nach einem "Akt des Ungehorsams" vom Ort des Geschehens getragen. Von Männern, versteht sich. (Foto: N/A)

Als Konrad Adenauer 1961 wiedergewählt werden wollte, wusste er, wen er gewinnen musste: die Frauen. Im Februar 1961 kündigte der Staatsmann wohlwollend an, eine Frau in sein Kabinett zu berufen, falls er wieder Bundeskanzler werde.

Denn, so Adenauer: "Die Frau sieht manche Dinge eben anders als der Mann; damit sage ich gar nicht, dass der Mann sie richtiger ansieht. Die Frau sieht in einer Frage eben noch andere Facetten, die da sind, und vielleicht ist ihr Gesamturteil noch besser als das des Mannes." Uff, ganz schön gewunden. Im übrigen, schmeichelte Adenauer, habe er die Erfahrung gemacht - "jetzt werden Sie erstaunt sein!"-, dass "die Frauen zuverlässiger sind als die Männer".

Dennoch bedurfte es nach seiner Wiederwahl im September erst einer Sitzblockade von hartnäckigen Parlamentarierinnen vor dem Amtszimmer des alten neuen Kanzlers, damit dieser sein Versprechen einlöste. Und so wurde am 14. November 1961 mit der CDU-Frau Elisabeth Schwarzhaupt im Ressort Gesundheit die erste Ministerin der Bundesrepublik Deutschland vereidigt.

Heute, 43 Jahre später, sind von 13 Bundesministerien sechs in Frauenhand. Zwar handelt es sich dabei mit Ausnahme des Justizministeriums um "weiche" Ressorts wie Gesundheit, Familie, Ernährung, Bildung oder, wie Gerhard Schröder es so unvergleichlich formulierte, "Frauen und Gedöns".

Doch bedenkt man, dass im letzten Kabinett Kohl gerade mal zwei Politikerinnen saßen - Kohls "Mädchen" Angela Merkel und die von vielen als Alibifrau belächelte Claudia Nolte -, ist das ein gewaltiger Etappensieg. Noch nie haben so viele Frauen mitregiert wie in der Berliner Republik, noch nie waren sie in der Minderheit so stark. Von den 601 Abgeordneten im Bundestag sind 197 weiblich. Damit stieg der Frauenanteil, der 1980 noch bei neun Prozent dümpelte, auf ein Drittel: 32,8.

Niederschmetternde Zahlen

Im Vergleich zu anderen gesellschaftlichen Sphären steht die Politik damit verhältnismäßig gut da. Im Bereich der Wirtschaft dagegen sind Frauen noch immer gravierend unterrepräsentiert. So besetzen sie gerade mal 9,4 Prozent aller Führungspositionen in deutschen Unternehmen.

In den Vorständen der 87 größten Kapitalgesellschaften der Old Economy liegt ihr Anteil im Schnitt bei einem Prozent. Bei den DAX-30-Unternehmen hat es eine einzige Frau in den Vorstand gebracht. Niederschmetternde Zahlen, die uns im Vergleich zu Frankreich oder den skandinavischen Ländern rückständig aussehen lassen.

Dass die Frauen ausgerechnet in der Politik, die doch als besonders macht orientiert und damit "unweiblich" gilt, zahlenmäßig ganz passabel vertreten sind, verdanken sie einem Instrument aus dem Waffenarsenal der Frauenbewegung: der Quote. Durch sie stieg der Anteil weiblicher Parlaments- und Fraktionsmitglieder seit den achtziger Jahren sprunghaft an, und es waren die Grünen, die den Weg dafür bereiteten.

1986 führten sie ihr "Frauenstatut" ein mit einer Mindestquotierung von 50 Prozent. Wahllisten waren von nun an alternierend mit Frauen und Männern zu besetzen, wobei den Frauen die ungeraden Listenplätze zur Verfügung stehen. Der Spitzenplatz gehört also immer einer Frau.

1988 zog die SPD nach und verpflichtete sich, mindestens 40 Prozent aller Posten und Mandate an Frauen zu vergeben. Die CDU sperrte sich lange gegen eine solche Regelung und führte 1996 schließlich ein "Frauenquorum" ein: Frauen sollen an Parteiämtern und Mandaten mindestens zu einem Drittel beteiligt sein - eine weitgehend unverbindliche Empfehlung. Bei der FDP gibt es nicht mal das, nur freundliche Appelle.

Ist das nicht zu viel für Sie?

Dass die Quote als quantitative Strategie viel gebracht hat, kann heute niemand ernsthaft bestreiten, auch wenn sie vielen jüngeren Frauen, die auf Geschlechter-Kategorien verzichten zu können meinen, als Relikt eines bürokratischen Feminismus gilt.

Die Quote mag ein ungerechtes Instrument sein - aber eines für mehr Gerechtigkeit in nach wie vor androzentrischen Machtstrukturen. Ohne diesen Druck ist die Teilhabe von Frauen an der Macht trotz Gleichberechtigungsgesetz, Gender-Mainstreaming und Alice Schwarzer noch immer keine Selbstverständlichkeit.

Ein Blick auf die Bundestagsfraktionen zeigt, dass die Parteien mit einer Quotenregelung einen überdurchschnittlichen Frauenanteil haben (Bündnis 90/Die Grünen: 58,2 Prozent, SPD: 37,8 Prozent), die Parteien ohne strenge Quotierung einen unterdurchschnittlichen (CDU/CSU: 23 Prozent, FDP: 25,5 Prozent).

Die niedersächsische Gesundheitsministerin Ursula von der Leyen, jüngst ins CDU-Präsidium gewählt, bescheinigt der Quote eine geradezu "bahnbrechende Funktion": "Ohne dieses Instrument sind Frauen in den Parteien immer an gläserne Decken gestoßen. Die Quote hat ihre Chance auf Teilhabe überhaupt erst zugelassen."

Als Folge habe die Quote nicht nur eine "Vielfalt an weiblichen Talenten und Persönlichkeiten" gezeitigt, sondern auch Netzwerke und "tendenziell ein Bewusstsein, dass beide Seiten davon profitieren".

Der Tag ohne Quote

Eines Tages wird die Quote nicht mehr nötig sein, dieser Tag aber, sagt von der Leyen, "ist noch nicht in Sicht". In den Kommunalparlamenten sei der Frauenanteil noch gering. "Und gerade da werden wichtige familienbetonte Entscheidungen gefällt."

Die Machtansprüche von Frauen lassen sich jedenfalls nicht mehr so leicht abschmettern. Die Postenvergabe unterliegt heute einer verschärften Beobachtung. Das heißt nicht, dass die Männer nicht ihre Strategien hätten, Frauen auszuschließen - von betont herablassendem Verhalten bis hin zu Absprachen in Kungelrunden und Hinterzimmern.

Die väterliche Frage "Ist das nicht zu viel für Sie? Wie wollen Sie das denn schaffen?" muss sich die siebenfache Mutter Ursula von der Leyen von ach so besorgten Kollegen oft anhören - eine Frage, die sich "einem Erwachsenen gegenüber eigentlich verbietet". In der Tat muss sich kein Mann fragen lassen, ob er sich seinen Job auch wirklich zutraut.

Festzuhalten bleibt: Die Quote hat den Frauen zwar mehr Repräsentanz, doch nicht automatisch mehr Einfluss gebracht. Die politischen Top-Positionen besetzen die Männer. Selbst bei den Grünen, die in ihrer ersten Bundestagsfraktion ein "Feminat" ausprobierten, ist es Zampano Joschka Fischer, der - im Ernstfall allein - die Richtung bestimmt.

Heide Simonis ist nach wie vor die erste und einzige Frau unter 16 Ministerpräsidenten, und eine "Frau nach Rau" war aller Bemühungen zum Trotz auch 2004 noch nicht durchsetzbar.

Immerhin: Es gibt Angela Merkel. Als CDU-Parteivorsitzende ist sie die politisch mächtigste Frau im Land und mischt ganz vorne in der Männerriege mit. Letztere wehrt sich heftig. Merkel aber auch. Wenn es ihre Parteifreunde nicht wieder zu verhindern wissen, wird sie 2006 als Kanzlerkandidatin antreten, und man muss Merkel gar nicht mögen, um diese Vorstellung reizvoll zu finden.

Reif für eine Kanzlerin?

Die Frage ist nur, ob Deutschland tatsächlich reif ist für eine Kanzlerin. Zumal ja sofort die Einschränkung kommt: für diese Kanzlerin. Und da hat Merkel gerade auch bei ihren Geschlechtsgenossinnen ein Imageproblem. Denn es ist nun mal leider so, und da müssen die Frauen sich an die eigene Nase fassen, dass weibliche Politiker anders bewertet werden als männliche: härter, skeptischer, äußerlicher.

Es gibt ja auch zu wenig Vorbilder und keine weibliche politische Kultur. Frauen sind für mehr Frauenmacht, klar. Aber dann passt ihnen doch Merkels Frisur nicht oder ihre Nase oder ihr Ton, wünschten sie sich mehr Persönlichkeit, mehr Erotik, mehr Statur.

Und, machen wir uns nichts vor: Wenn es hart auf hart kommt, wenn Terroristen zuschlagen oder Bush mal wieder in den Krieg zieht, ist weibliche Empathie nicht mehr gefragt. Dann muss eine Frau wie ein Mann ran - eine eiserne Lady vom Schlag einer Madeleine Albright oder einer Condoleezza Rice.

"Frauen kommen in den Vorhof, aber nicht ins Zentrum der Macht", war die Erfahrung von Rita Süssmuth nach jahrelangem Kampf für die Gleichberechtigung. Wobei die Frauen mit der Macht bekanntlich selbst die größten Probleme haben.

An ihren Toren zu rütteln und zu brüllen "Ich will hier rein!", liegt ihnen nicht. Statt macht- geben sie sich lieber zielorientiert. Während Männer bei einem Bier das Wichtigste auskumpeln, vertrauen Frauen auf ihre Kompetenz und wundern sich hinterher, dass es für weiblichen Fleiß keinen Preis gibt.

"Enorme Wandlung"

Aber auch das wird sich ändern. Helga Lukoschat, stellvertretende Vorsitzende der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF), stellt schon jetzt "enorme Wandlungen" fest: "In den Achtzigern sprachen Frauen immer nur von Einfluss und verstanden sich als Fachpolitikerinnen, heute formulieren sie viel klarer, dass sie auch Macht wollen."

Junge Frauen hätten mit dem "Schwesterlichen" der Frauenbewegung nichts mehr am Hut. In Mentoring-Projekten führt die EAF erfahrene Politikerinnen mit dem Nachwuchs zusammen, Frauen coachen sich und tauschen sich aus. "In den nächsten zehn Jahren", prophezeit Lukoschat, "wird da sehr viel passieren."

Ohne die Besserstellung und Mitgestaltung der Frauen werden die Probleme in Deutschland ohnehin nicht zu bewältigen sein. In der Krise liegt ihre Chance.

© SZ vom 28.1.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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