Public Relations:Der erste Verdreher

Edward L. Bernays gilt als Vater der Propaganda. Kein Wunder: Sigmund Freud war sein Onkel.

Dirk Schäfer

New York City, 1929. Zehntausende flanieren zur traditionellen Osterparade durch die Straßen der Metropole. An einer Stelle plötzlich Tumult. Von Fotoreportern umringt, zückt eine Gruppe junger Frauen versteckte Zigarettenschachteln und zündet genüsslich Nikotinstängel an. Ein Skandal. Frauen rauchten bis dahin nur heimlich, denn die Zigarette in Händen der Weiblichkeit galt als nicht schicklich, in den USA war Rauchen für Frauen gar per Gesetz verboten. Die Journalisten machten die Aktion mit dem Motto "Torches of Freedom" - "Fackeln der Freiheit"- am nächsten Tag zum landesweiten Aufmacher.

Public Relations: Propagandaklassiker.

Propagandaklassiker.

(Foto: Foto: AP)

PR- und Marketingfachleuten gelten die "Torches of Freedom" heute als ein Meilenstein auf dem Weg in ein neues Werbezeitalter, und der Mann, der sie kreierte, firmiert als Vater der Propaganda: Edward L. Bernays, 1891 in Wien geboren, ein Neffe Sigmund Freuds. Außerhalb der PR-Szene ist Bernays kaum bekannt, doch sein Einfluss auf das 20. Jahrhundert hätte größer nicht sein können. Wie kaum ein anderer verstand es Bernays, die Massen emotional anzusprechen und zu manipulieren. Mit seiner Arbeit legte er den Grundstein für eine Konsumkultur, in der wir nicht kaufen, was wir brauchen, sondern vor allem das, was uns ein gutes Gefühl gibt. Später sagte Bernays, hätte er damals um die Schädlichkeit des Rauchens gewusst, hätte er nicht für die Firma British American Tobacco (BAT) gearbeitet. Der Anti-Raucher-Lobby gelten die "Torches of Freedom" heute als ein Grundstein allen Raucherübels.

Bernays war ein Meister seines Fachs. Der amerikanische Journalist und Autor Larry Tye schrieb in seinem Buch "The Father of Spin", Edward Bernays habe das Geschäft der Public Relations fast im Alleingang kreiert. Doch war Bernays' Wissen um die Beeinflussbarkeit der Massen in langer Vorbereitungsarbeit entstanden. Fast zwei Jahrzehnte lang hatte er mit Symbolen, Events und Inszenierungen experimentiert. Von 1913 an hatte Bernays in New York als Presseagent gearbeitet und in den USA unbekannte europäische Künstler wie Enrico Caruso oder das russische Ballett bekanntgemacht. Doch hatten ihn diese PR-Bemühungen trotz ihres Erfolges nicht sonderlich ausgefüllt. "I was positively uninterested in the dance" - mich interessierte das Ganze wirklich nicht - so Bernays in einem Interview.

Er schwor Amerika auf den Krieg ein

Der Wendepunkt kam 1917, als die Vereinigten Staaten in den Krieg gegen das Deutsche Kaiserreich und die österreichische Donaumonarchie eintraten. Bernays' Mutter, eine Schwester Sigmund Freuds, war mit Ehemann Ely und dem einjährigen Edward 1892 von Österreich in die USA ausgewandert. Der Sohn fühlte sich als Streiter für das Land berufen, in dem er aufgewachsen war. Wegen seiner Plattfüße von der US-Armee abgelehnt, kontaktierte der junge Edward das "Committee on Public Information". Das Komitee sollte die Amerikaner, die am Sinn einer Einmischung in einen europäischen Krieg zweifelten, auf das blutige Engagement vorbereiten. Bernays' österreichische Wurzeln wurden als unproblematisch eingestuft, er wurde eingestellt. Und erwies sich schnell als äußerst geschickt darin, der amerikanischen wie der europäischen Öffentlichkeit die Idee einer sicheren und friedvollen Weltordnung zu verkaufen, die mit amerikanischen Waffen erkämpft war. "Make the world safe for democracy" lautete der Slogan.

Bernays' Arbeit wurde belohnt. Nach Kriegsende durfte er mit der US-Delegation um Präsident Woodrow Wilson zu den Friedensverhandlungen nach Frankreich reisen. Er war überrascht, wie begeistert die Franzosen Wilson empfingen: als den Volkshelden, der Frieden und Freiheit bringen würde. Tief beeindruckt kam Bernays zu dem Schluss, dass die Beeinflussung der Massen nicht nur im Krieg, sondern auch in Friedenszeiten funktionieren müsste. Einen Grundstein für diese These lieferten ihm die Schriften Sigmund Freuds.

Während seines Aufenthalts in Paris schickte Bernays seinem Onkel "Siggi" eine Kiste Havanna-Zigarren nach Wien und erhielt retour Unterlagen über die Einführung in die Psychoanalyse. Bernays faszinierte der Gedanke verborgener, irrationaler Kräfte, die die Menschen zum Handeln bewegen. Zurück in New York, erforschte er 1919 Methoden, diese Kräfte zu aktivieren und sie gewinnbringend zu nutzen.

Zunächst machte man nur die Konkurrenz schlecht

Damit stieß er eine Tür auf in eine neue Ära. Seit Ende des 19. Jahrhunderts hatten sich die USA und die europäischen Staaten zu Industriegesellschaften entwickelt, die millionenfach Waren produzierten. Von Konsum aber, wie wir ihn heute verstehen, war nicht die Rede. Abgesehen von wenigen Reichen kauften die Verbraucher lediglich das, was wirklich lebenswichtig war: Autos, Schmuck und schicke Kleidung gehörten nicht unbedingt dazu. Die Werbung konzentrierte sich deshalb darauf, die funktionalen Vorzüge und die Beständigkeit bestimmter Erzeugnisse zu betonen. Ein Auto war kein Statussymbol, sondern ein Transportmittel, Kleidung machte nicht Leute, sondern hielt warm und trocken. Wollte man den Verkauf ankurbeln, beschränkte man sich darauf, die Produkte der Konkurrenz madig zu machen. Doch diese Art der Werbung reichte bald nicht mehr aus.

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs sorgten sich amerikanische Magnaten um den Absatz ihrer Massenwaren. Sie befürchteten, sie könnten sie eines Tages schlicht nicht mehr loswerden, weil jeder sie besaß. Durch Bernays' Arbeit realisierten die Unternehmen, dass sie das Verhalten ihrer Kundschaft verändern konnten. Ein damals einflussreicher Wall-Street-Banker, Paul Maser von der Investmentbank Lehman Brothers, formulierte es so: "We must shift America from a needs culture to a desire culture" - Wir müssen Amerika von einer Kultur des Bedarfs hinführen zu einer Kultur der Wünsche. Und so geschah es.

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Der erste Verdreher

Ein Großfabrikant von Schinken, dessen Absatzzahlen rückläufig waren, engagierte Bernays, um den Verkauf anzukurbeln. Bernays dachte beim Stichwort "Schinken" gleich an Frühstück. Bis dahin waren die Amerikaner am Frühstückstisch an Saft, Toast und Kaffee gewohnt, also, folgerte Bernays, mussten sich die Frühstücksgewohnheiten der Nation ändern. Er befragte bekannte Ärzte, ob sie ein leichtes oder ein deftiges Frühstück bevorzugten - die deftige Variante gewann. Bernays brachte die entsprechenden Berichte in die Presse, und die Amerikaner folgten dem Rat der Ärzte. Seitdem gehören "Bacon and eggs" zu Amerika wie später der Hamburger. Auf Modeschauen ließ Bernays Schauspielerinnen auftreten, die immer wieder betonten, dass Kleidung nicht wegen ihrer Nützlichkeit gekauft werden sollte, sondern um damit sein eigenes Ich auszudrücken: "Express yourself better in your dress."

Bernays' Strategien änderten sich je nach dem Auftrag, mit dem er es gerade zu tun hatte, doch seine Philosophie blieb stets dieselbe. Er verkaufte nicht in erster Linie Produkte, sondern änderte Konventionen und Verhaltensweisen. Als ein Produzent von Haarnetzen den Bedarf für seine weibliche Kundschaft gesättigt sah, propagierte Bernays Haarnetze als geeignetes Schutzutensil für Arbeiter in der Lebensmittelindustrie und in der Gastronomie - Bernays erschloss damit seinem Auftraggeber eine völlig neue Klientel. Der angeschobene Konsum in Amerika führte zu einem Boom an den Aktienmärkten: Auch hier hatte Edward Bernays seine Finger im Spiel. Er verbreitete die Idee, auch der Durchschnittsamerikaner solle Aktien kaufen und sich das Geld für den Kauf von den Banken leihen. Die Banken bezahlten Bernays für seine Arbeit, und wieder folgten Millionen Amerikaner seinem Rat.

Der Präsident und die Nation waren zufrieden

1924 rief ihn der amerikanische Präsident Calvin Coolidge zu Hilfe, sein Image in der Öffentlichkeit galt als blass und langweilig. Bernays verfuhr mit dem Präsidenten wie mit einem Produkt. Er veranlasste 34 Hollywoodstars, Coolidge im Weißen Haus zu besuchen, und stellte ihm jeden von ihnen mit Namen vor. Anschließend gab es Tee, Kaffee und Gebäck. Am nächsten Tag meldeten die Zeitungen: "Coolidge entertained actors". Der Präsident und die Nation waren zufrieden.

Bernays wurde reich und berühmt, doch während er sich in einer Suite im teuersten Hotel New Yorks einmietete und sich mit einflussreichen Persönlichkeiten umgab, trieb die Inflation in Europa seinen Onkel Sigmund Freud in den Bankrott. Vor dem finanziellen Ruin stehend, schrieb Freud an seinen reichen Neffen. Der arrangierte die Veröffentlichung von Freuds Werken in den USA. Bernays sorgte für kontroverse Debatten, die den Verkauf der Bücher anheizten, und als Freud in den USA bekannt und akzeptiert war, profitierte davon auch Bernays. Bei seinen Kunden sprach er fortan von "Uncle Siggi".

Ende Oktober 1929 organisierte er die Feiern zum 50. Jahrestag der Erfindung der Glühbirne, die eine Demonstration der Stärke der amerikanischen Wirtschaft werden sollten. Nachrichten über fallende Kurse an der New Yorker Börse aber trübten bald die Freude. Der Wirtschaftsboom brach im größten Börsencrash der Geschichte zusammen. Keine Propaganda konnte die Anleger von Panikverkäufen abhalten. Bernays und die gesamte PR-Branche gerieten in Misskredit. In der folgenden Rezession gaben die Millionen Arbeitslosen und Verarmten der Wirtschaft die Schuld an der Misere und hörten auf zu konsumieren.

1933 wählten die Amerikaner in Franklin D. Roosevelt einen Mann zum Präsidenten, der die instabil gewordene Gesellschaft stützen wollte. Mit seinem Aufbauprogramm, dem "New Deal", setzte er einer ausufernden Wirtschaft Grenzen. Die Unternehmen sagten Roosevelt daraufhin offen den Kampf an, für ihren Propaganda-Feldzug holten sie Edward Bernays. Das Motto: Eine freie Privatwirtschaft ist untrennbarer Bestandteil einer stabilen Demokratie.

Futurama

Bei der New Yorker Weltausstellung entwickelte Bernays 1939 die perfekte Vision eines futuristischen Amerika, dessen politische Stabilität und soziale Fortschritte einer freien und florierenden Wirtschaft zu verdanken waren - die "Democracity". Besucher konnten diese Vision hautnah erleben. Sie schwebten in bequemen Sitzen während eines simulierten Fluges über ein riesiges Modell aus automatisierten Autobahnen, auf denen die funkgesteuerten Autos und windschnittig rundliche Laster fuhren, sie flogen über Städte aus blitzenden Mega-Wolkenkratzern, Vorstädte aus schmucken Einfamilienhäusern und über eine grüne Idylle mit blauen Flüssen. Dieses "Futurama", von General Motors gesponsert und in einer riesigen weißen Kuppel untergebracht, diente Disney später als Vorbild für seine Themenparks.

In den Jahrzehnten danach wandte sich Bernays verstärkt der Politik zu, half mit der ersten detaillierten Wähleranalyse dem damaligen New Yorker Bürgermeister La Guardia zur Wiederwahl. Für die indische Regierung formte er das Bild des Landes zu dem eines Staates, der Amerika im Kampf gegen den Kommunismus unterstützen konnte. Der israelischen Politikerin Golda Meir gab er Tipps, wie sie bei den Vereinten Nationen wirkungsvoll für die Sache Israels werben sollte.

Nicht immer war Bernays' Engagement unstrittig. So half er in den fünfziger Jahren der United Fruit Company, heute Chiquita, die linksgerichtete Regierung Guatemalas zu diffamieren, indem er sie in den USA als kommunistisch darstellte. Die Kampagne trug mit bei zum gewaltsamen Sturz der Regierung durch die USA im Jahr 1954.

Bei einem seiner letzten öffentlichen Auftritte war Bernays 1992 Gast des Late-Night-Talkers David Letterman. Als dieser ihn mit "Welcome Doctor Bernays" begrüßte, dankte er ihm für die Nennung des Titels: "Das steigert bei den Zuschauern meine Glaubwürdigkeit".

Im Alter von 103 Jahren starb Edward Bernays 1995 in New York.

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