Lennons Mörder:Der Fangschuss im Roggen

Heute vor 25 Jahren erschoss Mark Chapman die Rock-Legende John Lennon. Der geistig verwirrte Mörder sah in Lennon "nur ein Bild auf meinem Album-Cover. Er war nicht real." Chapman versucht noch immer freizukommen.

Alex Rühle

Die tödlichen Bilder wurden 1977 aufgenommen, John Lennon auf dem Dach des Dakota-Buildings in Manhattan. Als Mark David Chapman diese Bilder in seiner kleinen Pförtnerloge im fernen Honolulu sah, war's um ihn und Lennon geschehen: "Plötzlich bekam ich eine solche Wut auf ihn, dass etwas in mir zerbrach", erklärte er Jahre später.

Lennons Mörder: Mark David Chapman als Gefangener der New Yorker Polizei am Tag nach dem Attentat

Mark David Chapman als Gefangener der New Yorker Polizei am Tag nach dem Attentat

(Foto: Foto: dpa)

Lennon, der große Beatle, sein Idol, das all seine Ideale verraten hat und jetzt als erfolgreicher Geschäftsmann in Manhattan posiert... "Ich weiß noch, wie ich auf die Bilder starrte und zu mir sagte: ,Was, wenn ich ihn umbrächte?' Ich hatte das Gefühl, dass ich durch den Mord an John Lennon vielleicht herausfinden würde, wer ich selber bin."

Drei Jahre später, am 8. Dezember 1980, war der Kreuzzug des tief religiösen Mark Chapman gegen den vermeintlichen Nihilisten und Verräter zu Ende. Lennon starb in der Notaufnahme des New Yorker Roosevelt Hospitals mit vier Kugeln im Rücken.

Am Nachmittag desselben Tages hatte Chapman Lennon darum gebeten, ihm sein "Double Fantasy"-Album zu signieren. Er hatte Salingers "Fänger im Roggen" dabei. Und Kassetten mit 14 Stunden Beatles-Musik.

"Ich kann überall hingehen"

Während Chapman anschließend auf Lennons Rückkehr wartete, gab dieser in der Stadt ein Interview, in dem er von der Anonymität New Yorks schwärmte: "Ich laufe hier seit sieben Jahren frei herum. Das ging natürlich nie als Beatle in England. Ich kann überall hingehen. Habt Ihr eine Ahnung, wie wunderbar das ist?"

Da hatte er noch vier Stunden zu leben: Eine Probe im Studio und dann schnell mit Yoko nach Hause. Zur selben Zeit entwickelte Annie Leibowitz gerade in ihrer Dunkelkammer das Bild, das sie am Tag zuvor aufgenommen hatte: der nackte John, der sich in embryonaler Haltung an die angezogene Yoko Ono klammert.

Ich weiß, das ist verrückt!

Auch als er Lennon bereits wegen dessen "nihilistischen Gotteslästereien" (Chapman) hasste, versuchte er noch, dessen Identität anzunehmen: Er kannte Lennons Leben besser als sein eigenes, heiratete eine Japanerin, und unterschrieb seit seinem Selbstmordversuch im Jahre 1977 immer wieder mit "John Lennon", zuletzt in seiner Pförtnerloge auf Hawaii und dann in New York, im Dezember, wo er sich mit geliehenem Geld im Sheraton einige Tage vor dem Mord ein teures Zimmer mietete.

Nachdem er geschossen hatte, setzte Chapman sich ruhig an den Rinnstein, holte seinen zerlesenen Salinger aus der Manteltasche, signierte das Buch mit den Worten "Dies ist meine Aussage. Holden Caulfield" und überraschte die Polizisten mit einer Lesung aus dem Schlusskapitel - eine Passage, die er auch am Ende seines Prozesses vortrug: "Jedenfalls stelle ich mir immer kleine Kinder vor, die in einem Roggenfeld ein Spiel machen. Tausende von Kindern und keiner wäre in der Nähe - kein Erwachsener, meine ich - außer mir. Und ich würde am Rand einer verrückten Klippe stehen. Ich müsste alle festhalten, die über die Klippe hinauslaufen wollen. Das wäre der Fänger im Roggen. Ich weiß schon, dass das verrückt ist, aber das ist das einzige, was ich wirklich gern wäre. Ich weiß natürlich, dass das verrückt ist."

Die Kinder im Roggenfeld, in einer Welt, die noch nicht von Erwachsenen zerstört ist; und er, Holden Caulfield, beziehungsweise John Lennon beziehungsweise Mark Chapman, diese menschliche Leerformel, als derjenige, der sie davor bewahrt, über die Klippe zu laufen, in den Abgrund, hinüber zu den korrupten, kalten Erwachsenen, zu denen inzwischen auch Lennon gehörte.

Schwere narzisstische Störung

Die beiden vom Gericht bestellten Gutachter bezeichneten Chapman als paranoid-schizophrene Persönlichkeit mit schwerer narzisstischer Störung.

Chapman wurde zu Gefängnis zwischen zwanzig Jahren und lebenslänglich verurteilt. Seither hört man in unregelmäßigen Abständen von ihm, immer dann, wenn er eines seiner Gnadengesuche einreicht. "Ich war ein Niemand und wollte, dass man mich beachtet", sagte er im Jahr 2000 in seinem Verfahren und betonte, er sei sich sicher, Lennon habe ihm längst verziehen.

Yoko Ono schrieb damals an das Gericht, Lennons Söhne Sean und Julian müssten um ihr Leben fürchten, wenn Chapman freigelassen würde. Das Gericht gab ihr Recht und verwies auf die "extrem bösartige Gesinnung", die der Mörder bei der Tat gezeigt habe.

Im vergangenen Jahr reichte er sein drittes Gnadengesuch ein. Lennon-Fans in verschiedenen Ländern riefen daraufhin im Internet dazu auf, Chapman "zu exekutieren".

Annie Leibowitz' Bild wurde kürzlich zum besten Bild, das je ein Magazincover geschmückt hat, gewählt. Mark Chapman will im kommenden Jahr seinen nächsten Antrag auf vorzeitige Entlassung stellen. Yoko Ono lebt noch immer im Dakota-Building. Chapman schrieb ihr vor einigen Jahren, er habe John Lennon nie als Menschen gesehen.

"Ich habe keine wirkliche Person umgebracht. Lennon war nur ein Bild auf meinem Album-Cover. Er war nicht real." Für das "Double Fantasy"-Album, das Lennon am 8. Dezember 1980 signiert hatte und das später am Tatort gefunden wurde, boten vier anonyme Fans im vergangenen Jahr mehr als eine halbe Million Dollar.

Da es im Prozess als Beweisstück diente, brüstete sich das Auktionshaus bei der Internetversteigerung damit, dass das Cover "gerichtlich relevante" Fingerabdrücke des Mörders aufweise.

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