Schillerhöhe:Auf diese Phrasen können Sie bauen

Auch wenn Gorbatschow mit seinem "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben" Schiller heftig Konkurrenz gemacht hat, ist der Klassiker so leicht nicht tot zu kriegen. An Schillers Todestag ein Rückblick auf seine geflügeltsten Worte.

Heute vor zweihundert Jahren, am 9. Mai 1805, starb in Weimar der Dichter Friedrich Schiller. Über seinem Grab erhoben sich bald Schwärme von Worten, die er geprägt hatte und die nun seinen Nachruhm durch die Welt trugen. Denn seine metrisch suggestiven Sentenzen, seine rhetorischen Antithesen und prägnanten Verknappungen hatten das Zeug zu geflügelten Worten. Lange waren sie im Zitatenschatz der Deutschen allgegenwärtig.

Phrasendrescher Schiller

Vor 200 Jahren starb Friedrich Schiller im Alter von 45 Jahren in Weimar.

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Inzwischen ist ihr Gefieder zerzaust, der Brustton der Überzeugung ist ihnen abhanden gekommen, das Theater spricht sie am liebsten beiseite: An Schillers Todestag ein Rückblick auf seine geflügeltsten Worte.

Auf diese Phrasen können Sie bauen

"Die Axt im Haus erspart den Zimmermann"

Eine Familiensituation: Tell repariert das Hoftor mit der Axt, Frau Hedwig widmet sich "häuslicher Arbeit", Sohn Walter spielt singend mit Pfeil und Bogen. Das elterliche Gespräch dreht sich um den Jungen, die Mutter hat wie alle Mütter etwas gegen das Schießen, während Tell die frühe Übung lobt. Hedwig nimmt darauf sofort Tells innere Unruhe aufs Korn, welche Angst sie um ihn ausstehe, wenn er ins Gebirge geht. Tell verteidigt seine Rastlosigkeit. Der berühmte Satz schließt das Gespräch ab: Ein befriedigter Tell begutachtet seine Arbeit.

Ein Satz aus einem Stück, fugenlos dicht und doch frei zugänglich jeder Assoziation. Ein bisschen Selbstlob klingt mit, aber ironisch amüsant gebrochen. Der ersparte Zimmermann ist keinesfalls die Quintessenz, sondern vielmehr das Vergnügen am Selbermachen. Aus dem Kontext gelöst entfaltet der Spruch nicht nur Sprichwortqualität, - welche Gabe, Sprache so unmittelbar pointieren zu können! -, sondern vielfältig ironische bis zynische, auch derb-erotische Konnotationen.

Wer hier die Nase rümpft vor vermeintlich platter Banalität, irrt total. Manchen Mord kann dieser Satz lakonisch kommentieren, manche Entscheidungen finden in dieser Sentenz ihren logischen Schluss. Es steckt ein "Basta" darin, wie man es präziser nicht sagen kann.

"Aber der große Moment findet ein kleines Geschlecht"

Großartig, wie dieser Pentameter nach dem Wort "Moment" nachdenklich, ja drohend innehält - auch rhetorisch ein gróßer Momént! -, um dann verächtlich abstürzen: "... fíndet ein kléines Geschlécht." So isses! Damals, heute, morgen: Eine große Epoche hat das Jahrhundert geboren, / Aber der große Moment... Die Xenien, aus denen dieser Wahrspruch stammt, sind eine Gemeinschaftsarbeit von Schiller und Goethe.

"Abrechnung mit ihren Gegnern sowie mit der dominierenden Mittelmäßigkeit ihrer Zeit", teilt ein Kommentar mit. So mittelmäßig würde man heute gern wieder sein. "Viele Xenien haben über den aktuellen Anlass hinaus allgemeingültige Bedeutung."

Jawohl, und das nicht zu knapp. Denn der Moment ist ja praktisch immer größer als das Geschlecht, das gerade lebt. Man schraube die Ansprüche im Zweifelsfalle also durchaus noch etwas höher. Kulturoptimismus macht auf Anhieb dümmer: Nur ein gemeines Geschlecht höhnt über Schillers Sentenz.

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"Ich merkt' es wohl, vor Tische las man's anders."

Jedes rechte Zechgelage ist ein Wendepunkt, an dem sich die Ordnungen verkehren: Mit knurrendem Magen liest sich eine Speisekarte anders als mit aufstoßendem Völlegefühl. Und was man bei nüchternem Geist sich niemals erlaubte, das nimmt man sich dann mit der Lizenz der Trunkenheit heraus. Abfüllen und rumkriegen - das ist auch das Prinzip, auf das Graf Terzky setzt. Die Generalität soll eine Loyalitätsadresse an Wallenstein unterschreiben.

Vor dem Gelage wird sie vorgetragen - unter besonderer Betonung jener Passage, die ein Treuebekenntnis zum Kaiser enthält. Die fehlt dann später, als die Urkunde zum Unterschreiben den abgefüllten Offizieren vorgelegt wird. Doch die Rechnung geht nicht auf: Aus dem Dämmer seiner Trunkenheit erhebt Tiefenbach gleichsam mit schwerer, bedenklich schwankender Armbewegung Einspruch: "Ich merkt' es wohl, vor Tische las man's anders."

"Die Limonade ist matt, wie deine Seele"

So giftig wie die Limonade, die der liebestolle Ferdinand seiner Luise Miller im letzten Akt von "Kabale und Liebe" verabreicht, war die Kritik, mit der Karl Philipp Moritz über Schillers Trauerspiel herfiel: Das Stück sei eine "Schande" und alles, was der Verfasser darin anfasse, werde zu "Schaum und Blase". Dabei war die Limonade zu Schillers Zeiten noch ohne jeden Zusatz an künstlicher Kohlensäure ausgekommen.

Das kühlende Getränk, das seinen Namen der italienischen "limonata" und der Limone verdankte, deren Fruchtsaft mit Wasser verdünnt und mit Zucker versüßt wurde, kam im Europa des 18. Jahrhunderts in Mode. Schiller, der den Trunk in den bürgerlichen Haushalt einführte, lässt bis zum Ausschank viel dramatische Zeit fließen, die Ferdinand dazu benutzt, seine giftigen Absichten mit derben Worten zu camouflieren, darunter dem oftmals verballhornten Satz: "Die Limonade ist matt (schwäbisch für: abgestanden) wie deine Seele".

Luise kostete, lobte den Geschmack und starb bitterlich an dem trüben Wässerchen, das keine Kabale, sondern allein die Liebe gepanscht hatte. Schon im 1. Akt, als die Ränkeschmiede noch gar nicht in Aktion getreten waren, hegte Ferdinand Zweifel an Luisens Liebe, beteuerte zornig, ihre Seele zu durchschauen, und versprach ihr zärtlich, "jeden Tropfen aus dem Becher der Freude... in der Schale der Liebe zu bringen". Gesagt, getan, mit ein paar Tropfen Arsenik in Limonade.

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"Gefährlich ist's den Leu zu wecken / Verderblich ist des Tigers Zahn"

Der Erfahrungsraum des Dichters ist bekanntlich die heimelige Dichterstube und die Phantasie. Dem verdankt die Nachwelt beispielsweise die bekannte Einsicht Goethes: "Es wandelt niemand ungestraft unter Palmen, und die Gesinnungen ändern sich gewiss in einem Lande, wo Elefanten und Tiger zu Hause sind." Kollege Schiller wurde da schon konkreter, denn solche Exotik veränderte für ihn nicht nur die Gesinnung, sondern bedrohte die eigene Existenz, wie seine bekannten Verse zeigen:

"Gefährlich ist's den Leu zu wecken,

Verderblich ist des Tigers Zahn".

In den gemäßigten Breiten, in denen unsere Klassiker lebten und webten, war damals der Leu allenfalls als Wappentier ein Begriff, und wer sich des Tigers vergewissern wollte, der musste im Buffon nachschlagen. Umso numinoser folglich Gefahr und Schrecken, die sich beiden Raubtieren andichten ließen. Derlei mutet heute, da Leu und Tiger längst den Steiff-Knopf im Ohr tragen und zu Kuscheltieren im Kinderzimmer geworden sind, nur noch verwegen oder lächerlich an. Verantwortlich für solchen Wandel der Wahrnehmung sind der Tierfänger Karl Hagenbeck und der Dichter Rainer Maria Rilke.

"Leicht beieinander wohnen die Gedanken, Doch hart im Raume stoßen sich die Sachen"

Hat der Volksmund sich dieses Zitats aus "Wallensteins Tod" je bemächtigt? Und wenn ja, wer könnte es im Munde führen? Umzugsberater, Möbelpacker, Menschen mit negativen WG-Erfahrungen? Oder der Betrunkene, der nachts heimkommt und nach dem Lichtschalter tastet?

Dort, wo Volkstümliches an Bildungsbürgerliches stößt, dürfte man die Verse eher im Sinne Wallensteins zitieren, der damit dem jungen Tugendbolzen Max Piccolomini den Realismus des reifen Zynikers entgegenhält: Für hochfliegende Ideen und Ideale ist im Kopf zwar viel Platz, doch im Reich der Zwecke hat es der Handelnde mit harten Tatsachen und unversöhnlichen Antinomien zu tun.

Wallenstein aber ist ein Meister des Selbstbetrugs. Seine Einsichten und Behauptungen dienen dem Dramatiker Schiller nur als Spielmaterial bei der Erzeugung des Effekts, auf den es ihm ankommt: der inneren Freiheit des Betrachters, die aus der ästhetischen Balance, der Aufhebung von Gegensätzen durch die künstlerische Form hervorgeht. Und er macht sich oft den Spaß, jene befreiende Dialektik auch en miniature durchzuexerzieren. So wie hier: Der Dualismus von Geist und Materie wird durch Sprachmusik in perfekter Schwebe gehalten.

Das Helle, Leichte, Fließende der geistigen Welt und das Trübe, Schwerfällige, Widerständige der materiellen werden sinnlich fühlbar in Rhythmus und Klang, in der Eleganz des Gedanken-Bildes und der kurios ungehobelten Stoß-Metapher. Wo beide Sphären aufeinandertreffen, in der Nussschale eines Verspaares, entsteht eine Art Vakuum, in dem man aller Erdenschwere enthoben ist. So war er eben, unser Schiller: groß im Produzieren von geflügelten Worten, aber auch von Worten, die Flügel verleihen.

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"Denn, wer den Besten seiner Zeit genug / Getan, der hat gelebt für alle Zeiten"

Schiller ist der Dichter und Denker des Fortschritts. Der Fortschritt hat jedoch einen ganz entsetzlichen Pferdefuß: indem es immer weiter geht, erniedrigt er alle, deren Leben und Leistung schon vorbei sind, zu Trittstufen auf dem Weg dahin. Wie kann es immer besser werden und doch gut gewesen sein? Wie reimen sich Progress und Tradition? Auch wir sind, was wir an einem runden Todestag durchaus bedenken sollten, nur der vorläufige Endzweck der Geschichte.

Schiller hat einen Vorschlag zur Güte gemacht, der dennoch nicht die schwächlichen Züge des Kompromisses trägt. Er ist allerdings etwas komplizierter, als er sich zunächst anhört. Die Besten einer Zeit lassen sich erst postum mit einiger Sicherheit erkennen. (Wer vermöchte zu sagen, wer heute "die Besten" wären?) Sie gilt es im Nachhinein zu ermitteln, um mit ihnen die Jury zu besetzen.

Dies dürfen, ja müssen wir heute tun; aber dann haben wir sie sich selbst zu überlassen und mit angehaltenem Atem abzuwarten, wie die Vergangenheit über die Vergangenheit befinden wird. So haben je zur Hälfte die Zeiten, wie sie nacheinander kamen, und ihre jeweiligen Nachwelten das Wort und fällen in funktionaler Trennung gemeinschaftlich die Entscheidung, wer das Ticket zur Unsterblichkeit erhält. Das scheint mir ein überaus großmütiges, gerechtes und gangbares Verfahren, um den Verkehr der Lebenden und der Toten miteinander und mit der Ewigkeit zu regeln.

"Durch diese hohle Gasse muss er kommen"

Der Fluch des über Generationen erfolgreichen Zitats ist, dass es mit seinem Talmiglanz den Text verdunkelt, dem es entstammt. Es kann nicht anders in ihn zurückkehren denn als alternder Allerwelts-Promi, dem man schon von ferne die unzähligen Gastspiele ansieht, die er in der Gesellschaft dröhnender Festredner und schenkelklopfender Parodisten zu absolvieren hatte.

Wie romantische unheimliche Doppelgänger, die sich nicht abschütteln lassen, sind die Zitat-Promis beim Klassiker Schiller allgegenwärtig. Kein Schauspieler, der in der dritten Szene im vierten Akt des "Wilhelm Tell" den Monolog des Attentäters zu exekutieren hat, kommt an diesen Quälgeistern vorbei.

Sie sind, anders als die "schönen Stellen" einer Opernarie, vor allem eins: Stolpersteine. "Durch diese hohle Gasse muß er kommen", der Vers will genommen sein wie eine Hürde, und ein Trost ist nur, dass es dem Schauspieler, der den Gessler gibt, wenig später nicht anders ergehen wird, wenn er "Das ist Tells Geschoß" ächzt und dabei den Tod sehr viel weniger fürchtet als die Lacher im Publikum. Das Promi-Zitat ist die hohle Gasse im klassischen Text.

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"Daran erkenn ich meine Pappenheimer"

Die armen Pappenheimer. Redlichkeit und Treue will ihnen Wallenstein in "Wallensteins Tod" mit diesem Spruch attestieren, den zehn Kürassieren aus Pappenheim, die im dritten Akt des Dramas herausbekommen wollen, ob er zu den Schweden abzufallen droht oder dem Kaiser treu bleibt. "Kein fremder Mund soll zwischen uns sich schieben, / Den guten Feldherrn und die guten Truppen", hat vor dem Spruch der Gefreite gelobt, der für sie spricht. Doch genau das ist ihnen passiert - der fremde Mund, der sich dazwischen schob und in süffisant zitierender Abnutzung des Bildungsguts aus den Pappenheimern etwas Übles gemacht hat, im Sinne von "Schlawiner" oder "Meine üblichen Verdächtigen".

Die Grafen von Pappenheim - dem hübschen Ort im Altmühltal in Bayern, den heute rund 4500 Pappenheimer bewohnen - waren im alten Reich als Erbmarschälle für das kaiserliche Krönungszeremoniell zuständig; ein gebildeter Feldherr war Gottfried Heinrich Graf zu Pappenheim, der im Dreißigjährigen Krieg bei Lützen fiel.

Doch nicht erst ironisierende Studienräte des 19. Jahrhunderts machten den Begriff "Pappenheimer" zu einem pejorativen; da die Pappenheimer Marschälle auch für die Säuberung der Straßen der Stadt Nürnberg von Exkrementen zuständig waren, lag die Anrüchigkeit des Namens schon lange vor Schiller in der Luft. "Da ran der Dreck / heraber keck / nach Pappenhaimers Regel", zitiert der "Grimm" einen anonymen Dichter aus dem 16. Jahrhundert. Was Schmutz war, wird zu Schmutz, daran können auch wackere Figuren bei Schiller nichts ändern.

"Ehret die Frauen! Sie flechten und weben / Himmlische Rosen ins irdische Leben"

Wie so oft bei Schiller-Zeilen muss man sagen: 1. Sehr süffig, läuft gut rein. 2. Aber der Inhalt! Man versteht überhaupt nicht, worum es geht. Will der Dichter einfach nur so, aus privaten Gründen womöglich, die Frauen loben? Oder will er auf die Randstellung der Frau in der Gesellschaft aufmerksam machen, Repression anprangern, Gleichberechtigung einklagen?

Denn so viel ist klar: "Ehret die Frauen!" ergibt als Appell nur dann Sinn, wenn Verhältnisse herrschen, in denen Frauen marginalisiert werden. Heute gibt es, nach Judith Butler und Andrea Dworkin, zum Glück stringentere Analysen. Niemand braucht mehr Schiller als Gender-Theoretiker.

Und so werden seine Zeilen hauptsächlich von Männern mittleren Alters gebraucht, die ihre Gattinnen "meine bessere Hälfte" nennen und regelmäßig Kegeln gehen und danach in die Kneipe, wo unter großem Hallo und "Prostata-hahaha!"-Rufen ordentlich angestoßen wird. Bier ist auch sehr süffig. Läuft gut rein. Aber: Die "Würde der Frauen" wird so oft mit Füßen getreten

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"Was ist die Mehrheit? Mehrheit ist der Unsinn"

Demetrius glaubt, ein Zarensohn zu sein. Er will, so beginnt das Fragment, über dem Schiller verstarb, die polnischen Edlen von seinen Ansprüchen überzeugen und sie zum Krieg gegen Moskau überreden. Allein der Woiwode Sapieha widerspricht dem Gleichklang der Versammlung: "Laß alles einig sein - ich sage nein." Dann attackiert er die Mehrheit.

Wenn es um Wahrheit geht, darf Zählen nichts entscheiden. Es gibt Dinge, über die man nicht abstimmen soll. Die Worte Sapiehas können Rebell und Diktator gleichermaßen zur Rechtfertigung dienen. Aber wer die hellsichtigen Verse zitiert, verrät sie. Nur Gründe in der Sache berechtigen zum Einspruch, nicht die Berufung auf Autorität.

"Spät kommt Ihr - Doch Ihr kommt!"

Dies ist ein hervorragendes Beispiel dafür, dass ein Zitat eine enorme Karriere erleben kann, gerade weil es sich nur knapp über dem semantischen Nullpunkt hält. Denn gesagt ist, im Ernst, damit nicht viel. Aber genau so kann es in quasi jeder Situation eingesetzt werden - und vor allem in solchen, nicht seltenen, in denen wir nur ein akustisches Lebenszeichen von uns geben und ansonsten eigentlich lieber gar nichts sagen mögen.

Es lebt der Erfolg dieses Zitats indes von einem bestimmten soziologischen Typus, der, wenn nicht alle Zeichen trügen, demographisch dabei ist, sich im Nebel der Vorzeiten aufzulösen. Ein Typus, der einen enthusiastischen Bildungsbegriff mit absoluter Unoriginalität zu verbinden pflegt. Der zum Beispiel im Sinne der Markierung seiner Individualität es für ausreichend hält, statt "kommt" "kömmt" und statt "weil" "alldieweil" zu sagen.

Bei diesem Typus konnte man in den vergangenen 150 Jahren darauf wetten, dass er den Spätankömmling mit diesem unverwüstlichen Schiller-Zitat herzhaft in der Runde begrüßte. (Und man konnte nur staunen, welch dürftige Mengen an kanonisierter Kultur schon für eine geistige Heimat genügen.) Schiller übrigens kann man nur dafür bewundern, in welch durchschlagender Weise er das schiere formale Gerüst der Rhetorik, in diesem Falle ein Parallelismus, in den wiederum ein Chiasmus eingelagert ist, semantisch leer wie das X und das Y in einer algebraischen Gleichung, also fast ohne jeden Inhalt, umzusetzen vermochte. Es ist wirklich, als würde man der stabilen Verstrebungen der Grammatik selbst ansichtig werden.

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"Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze"

Zu den Konsonanten, die den Mund verschließen, gehört das "m". Ein Schauspieler, der Schillers "Prolog" zu "Wallensteins Lager" zu sprechen hat, muss auf der Hut sein : "Dem Mimen...", da ist der Grat schmal zwischen nuschelnder Verschleifung und allzu akzentuierter Zäsur. Aber der gute Schauspieler wird dankbar sein für die Gelegenheit, seine Sprechkunst unter Beweis zu stellen. Und für den Ansporn zum Dementi dessen, was er vorzutragen hat: Keine Kränze der Nachwelt - für mich? Das wollen wir doch mal sehen!

Und hat nicht der Ansporn zum Dementi gewirkt? Hat nicht die Nachwelt den großen Schauspielern, von Schillers Zeitgenossen Friedrich Ludwig Schröder und August Wilhelm Iffland über Josef Kainz und Albert Bassermann bis zu Fritz Kortner und Gustaf Gründgens Kränze über Kränze geflochten? Das schon.

Aber dennoch blieb Schiller im Recht, blieb die Schauspielkunst, auch nachdem Phonograph und Videoaufzeichnung erfunden waren, die vergängliche Gegenwartskunst, als die er sie den Werken des Bildhauers und Dichters gegenüberstellte: Wer Bernhard Minetti nicht leibhaftig auf der Bühne gesehn hat, hat den Schauspieler Minetti nicht gesehen. Das wahre Dementi für Schillers Vers ist dem Bühnenschauspieler unerreichbar. Es ist nur im Kino möglich. Nur hier bleibt der Mime samt seiner Kunst unsterblich. Aber das Kino hat Schiller, anders als Shakespeare, noch nicht entdeckt.

"Alle Menschen werden Brüder"

Zu sich selbst kommt dieser Vers in der Musik: Wenn ein großes Orchester stampfend den letzten Satz von Beethovens Neunter Symphonie anstimmt und der simple, unaufhörlich repetierte Wechsel von betonten und unbetonten Silben die Dynamik von Hammerschlägen entwickelt. "Bum" geht es in die Tonika, den Grundakkord, und "bum" noch einmal und noch einmal und noch einmal.

Schwer vorzustellen, Ludwig van Beethoven sei entgangen, dass er hier kein Meisterwerk der Tonkunst, sondern einen Schlachtruf komponiert hatte. Schwer vorzustellen auch, dass die gewaltige, ja gewalttätige Harmonie, die er in diesen Satz hineinschrieb, nicht auch einen ironischen, ja bösen Kommentar zur Freudenpropaganda darstellt: Die elysischen Gefilde sind nun einmal kein idealer Ort für Dampfpressen.

Und Friedrich Schiller selbst - was mag er von seiner Ode gehalten haben? Nun, ihr Pathos und elementarer Rhythmus sind von ihm und machen mächtig Effekt. Darüber freut sich der Dramatiker, der Philosoph aber macht ein bekümmertes Gesicht.

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