NS-Vorwürfe gegen Walser, Lenz und Hildebrandt:Was soll das?

Es fällt auf, dass zunehmend Intellektuelle als Parteigenossen geoutet werden, die Zeit ihres Lebens linksliberale Ansichten vertreten haben.

Franziska Augstein

Im Herbst und Winter des Jahres 2003 haben die Deutschen anhand der nachgelassenen Karteikästen der NSDAP darüber gefachsimpelt, ob Walter Jens und andere davon gewusst hatten, dass sie als Teenager in die Partei aufgenommen worden waren. Jetzt erleben wir ein Remake dieser Inszenierung. Ihre zentralen Aufzüge gleichen denen des Possenspiels von 2003, nur dass die jetzt inkriminierten Intellektuellen zum Zeitpunkt ihres angeblichen Beitritts noch jünger waren als die seinerzeit genannten Gelehrten.

Martin Walser, Dieter Hildebrandt und Siegfried Lenz

Martin Walser (li.), Dieter Hildebrandt (Mitte) und Siegfried Lenz sind die neuesten "Geouteten".

(Foto: Foto: AP)

Jens war neunzehn Jahre alt, als er als Parteigenosse verzeichnet wurde, Dieter Hildebrandt war erst sechzehn, Martin Walser und Siegfried Lenz waren siebzehn. Das restliche Ensemble - Historiker, Archivare, Journalisten - ist im Wesentlichen gleich geblieben.

Auch an der Sachlage hat sich nichts geändert. In einem sind alle Experten sich nämlich einig: Die Aktenlage ist zu lückenhaft, als dass sich zweifelsfrei klären ließe, was es mit diesen ominösen Parteieintritten auf sich hat. Manche ziehen daraus den Schluss, Walser, Hildebrandt und Lenz unterstellen zu dürfen, sie sagten "wahrscheinlich" die Unwahrheit. Oscar Wilde hätte mit Vergnügen konstatiert, wie recht er hatte, als er schrieb, der moderne Journalismus habe viel für sich: Indem er uninformierte Meinungen verbreite, halte er die Leser über die Ignoranz der ganzen Gesellschaft auf dem Laufenden.

Brauner Mist, weiße Weste

Bleibt zu fragen, was das Ganze soll. Warum interessieren sich die Medien für die NSDAP-Zentralkartei im Bundesarchiv? Die Deutschen haben ein Faible für NS-Geschichten. Das ist zweifellos ein Grund. Jeder Feuilletonredakteur weiß: Wenige Themen vermögen die Leserbriefschreiber so zu motivieren wie Artikel über den Nationalsozialismus.

Mit der zunehmenden zeitlichen Entfernung zum NS-Staat ist das Spektrum der Enthüllungen immer bunter geworden. Von Themen wie Hitlers Generäle, Hitlers Frauen oder Hitlers Wehrmacht ist die Publizistik längst zu anderen Dingen übergegangen: Mal wurde Hitler für homosexuell erklärt, mal hieß es, die Nazis hätten die Atombombe gehabt. Die Geschichte, dass der "Führer" noch am Leben sei, lässt sich fast 120 Jahre nach seiner Geburt leider nicht mehr verkaufen.

Dieser Tage geht es also um Hitlers Parteigenossen. Möglicherweise dürfen Walser, Hildebrandt und Lenz sich bei Günter Grass dafür bedanken, dass sie nun vorgeführt worden sind: Kein Journalist hatte Grass' Jugendvita je recherchiert, alle warteten ab, bis der Nobelpreisträger selbst erklärte, er sei in der Waffen-SS gewesen. Das Versäumnis war nur wettzumachen, indem man die Namen anderer Prominenter hervorkramte. Mehr als eine angebliche Parteimitgliedschaft kam dabei zwar nicht zutage, aber das war immerhin besser als gar nichts.

Das Bestreben der Medien, schwarze Schafe in der bundesdeutschen Demokratie ausfindig zu machen, ist an sich begrüßenswert: Opportunisten, die ihr Mäntelchen freiwillig durch den braunen Mist zogen, um es hernach persilweiß als demokratisches Outfit zu präsentieren, verdienen die Brandmarkung. Das damalige Alter der drei Delinquenten spricht freilich gegen diese Vermutung. Das gilt übrigens nicht bloß für das Trio, von dem jetzt die Rede ist, sondern für jeden Bürger dieses Landes: Nachdem sie unter der ideologischen Haube aufgewachsen waren, die das NS-Regime der Volksgemeinschaft verpasst hatte, dürften viele Teenager der NSDAP beigetreten sein, ohne die Bedeutung dieses Schrittes ermessen zu können.

Von halben Kindern und unter den damaligen Umständen kann man das im Nachhinein auch nicht verlangen. Für die Gesellschaft ist es heute nicht von Belang, ob ein Jugendlicher Parteigenosse war. Eher schon interessant ist die Frage, wie er sich damals verhielt, wie er, unter den Bedingungen der Diktatur, die ihm offenen Handlungsspielräume ausnutzte. Diesbezüglich gibt es im Hinblick auf das Trio keine neuen Erkenntnisse. Die ganze Sensation ist also keine, was abermals die Frage aufwirft, warum das Spektakel nötig war.

Genugtuung für Globke

Es fällt auf, dass alle Leute, die in den vergangenen Jahren als PGs, als Parteigenossen, geoutet wurden, Intellektuelle sind, die zeit ihres Lebens vornehmlich linksliberale Ansichten vertreten haben. Der Historiker Ulrich Herbert fasst die Debatte mit dem lapidaren Satz zusammen: "Das ist ein Rückspiel". Indem sie sich an den wenig aussagekräftigen Karteikarten aus dem Bundesarchiv festhalten, folgen manche Medien einer Devise, die vor Jahren die "Neue Frankfurter Schule" ausgegeben hat: "Die stärksten Kritiker der Elche waren früher selber welche."

Jetzt soll gezeigt werden, dass jene, die sich um den Aufbau einer freiheitlichen Demokratie in der Bundesrepublik verdient gemacht haben, selbst Dreck an den Fingern haben, mit denen sie auf andere wiesen, auf die Filbingers und die Globkes, die als reife Menschen im nationalsozialistischen Regime mitmischten und ihre Karrieren nach 1945 ohne Unterbrechung fortsetzten.

Was noch aussteht, ist die umfassende Recherche, wie viele illustre Bundesbürger einst als Kinder ihre störrischen Eltern anbettelten, in die Hitlerjugend oder den Bund Deutscher Mädel eintreten zu dürfen. Da bleibt sehr viel zu tun.

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