Zum Tod von Pina Bausch:Mit geschlossenen Augen

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So, bitteschön, sieht doch keine Ballerina aus: Pina Bausch schuf das moderne Tanztheater mit einer Ausdruckskraft, die erschütterte. Ein Nachruf.

Eva-Elisabeth Fischer

Niemand, am wenigsten sie selbst, hat bei der Premiere ihres neuen, wie stets noch titellosen Stückes vor zwei Wochen geahnt, dass es ihre letzte sein würde. Dieses hier, so glaubten einige, sah nach Aufbruch aus. Die Kompanie zeigte sich deutlich verjüngt. Dominique Mercy war der einzige unter den Tänzern dieses Abends, der dem Tanztheater Wuppertal von Anfang an angehörte, nachdem Intendant Arno Wüstenhöfer Pina Bausch überredet hatte, die Ballettkompanie des Theaters zu übernehmen. Das war 1973.

Erst waren die Theaterbesucher empört, später wurde sie mit Preisen überhäuft: Tänzerin und Choreographin Pina Bausch. (Foto: Foto: dpa)

Man kann sich gut vorstellen, wie zögerlich Pina, wie sie alle nannten, auf dieses Angebot reagiert hat, den Kopf leicht wiegend, die grauen Augen aus tiefen Höhlen forschend auf ihr Gegenüber gerichtet . Lang, sehr lang wird er wohl auf eine Antwort gewartet haben, sie wird bestimmt nicht ja oder nein gesagt haben, sondern "vielleicht", "mal sehen". Es wird Gespräche gegeben haben, und sie werden sich, wie alle ihre Gespräche, lang in die Nacht gezogen haben, bis sie zustimmte. Noch ein Weinchen, noch ein Zigarettchen, brachte es Mechthild Grossmann, ihre Protagonistin in "Walzer", viel später, 1982, auf den Punkt.

Am Anfang hat Pina Bausch tatsächlich noch Opern choreographiert, Glucks "Iphigenie auf Tauris" und "Orpheus und Eurydike", die sahen oberflächlich aus, wie man es von einer erwartet, die aus der Folkwang-Tradition kommt und als eine Nachgeborene des deutschen Ausdruckstanzes in New York an der Juilliard School Modern Dance studiert hat. Aber etwas war neu und anders, die Freiheit, das Innere nach außen zu kehren, eine erschütternde Expressivität, wie sie im Nachkriegsdeutschland, wo man sich in der Musik und im Tanz aus Angst vor allem (falschen) Pathos gern in Formalismen flüchtete, niemand wagte - auch nach 1968 nicht.

Erde und Schweiß

Johann Kresnik hatte sich den Studentenprotesten angeschlossen, inszenierte grelle politische Revuen als choreographisches Theater. Agitprop war Pina Bauschs Sache nicht. Im selben Jahr wie ihr "Orpheus", den übrigens Dominique Mercy tanzte, schuf sie ihr "Frühlingsopfer". Ihr Lebensgefährte Rolf Borzik, der bis zu seinem Tod 1980 ihre Bühnen gestaltete, streute den Boden mit Erde ein. Der Tanz, das war nicht nur das tödliche Ritual um die Erwählte, sondern ein tänzerisches Fanal restloser Erschöpfung, Mädchen in dünnen Hemdchen, barfüßig, von Erde und Schweiß bedeckt. So, bitteschön, sieht doch keine Ballerina aus!

Schon in ihren ganz frühen Stücken, die neben den Opern entstanden, in "Fritz" zum Beispiel, kam eine Düsternis zum Tragen, wie sie sie wohl in der Gastwirtschaft ihrer Eltern in Solingen intuitiv erfasst hat, etwas Unausgesprochenes, verursacht durch Verdrängung. Und als sie dann den "Blaubart" zerstückte, als sie die Form der Collage erfand, von ihren Tänzern Improvisationen in Gesten, Text und Tanz zu scheinbar banalen Fragen erbat und die auf Karteikarten notierten Ergebnisse zu verstörenden Stücken montierte, da bekam sie Morddrohungen von empörten Theaterbesuchern. Und die Ballettkritik stritt damals allen Ernstes darüber, ob das denn überhaupt noch Tanz sei.

Es ist nachvollziehbar, was die Leute damals so erregt hat. Hier erzählten Menschen, die auch auf der Bühne ihren Namen behielten und damit das herkömmliche Rollenspiel des Theaters aufgaben, von ihren Ängsten und Nöten. Sie artikulierten ihr Leiden an der Einsamkeit ebenso wie ihre Lust am Verbotenen.

Sie drangsalierten einander in grausamen Geschlechterkriegen. Die szenische Wiederholung, die Beschleunigung, das Umkippen von der harmlosen Neckerei zur Folter, wurde zum dramaturgischen Prinzip. Pina Bauschs Tänzer bezogen das Publikum mit ein, sprachen es an, servierten Kekse oder Tee. Wenn eine Schutz suchte, setzte sie sich, ein Kissen vor den Bauch gepresst, einem Zuschauer auf den Schoß: "Darf ich bei dir schlafen?."

Fein beobachtetes Psychogramm

Dass die Männer hängende Tutus trugen, machte sie zu tragikomischen Gestalten; dass die Frauen in ihren Pumps wie auf Stichwaffen einherstöckelten, machte sie gefährlich. Pina Bauschs Theater entwickelte sich zum brutalen wie lustigen, aber immer fein beobachteten Psychogramm des Menschen heute, gewürzt mit köstlichen Bolognesen, bei denen zum Beispiel Tänzerreihen auf dem Po vorwärtsruckten, unvergesslichen Szenen wie Lutz Försters Taubstummennummer zu "The Man I Love".

In den achtziger Jahren entdeckte die Welt Pina Bausch. Man wüsste zum Beispiel gern, wie viele Leute weltweit noch eine der vielen hundert Papiernelken zu Hause haben - "Nelken", das Stück ist Legende. In "Kontakthof" tanzten Greise und Teenager. "Keuschheitslegende", "Arien", damit schrieb Pina Bausch Tanzgeschichte. Die Epigonenscharen wuchsen. In den Neunzigern begann sie mit Städten im Ausland gemeinsam zu produzieren.

Sie wurde mit den höchstdotierten Kunstpreisen geehrt. Alljährlich versammelte sich die Bausch-Gemeinde im Frühjahr zur Premiere eines neuen Stücks der Prinzipalin. In den vergangenen Jahren nahmen die tänzerischen Soli überhand über die szenischen Einfälle, denn die jüngeren Tänzer waren weit besser trainiert als die früheren. Aber die wirklich starken Persönlichkeiten, sie fanden sich allein in der ersten und zweiten Generation.

Pina Bausch hat einmal erzählt, wie anders und wie viel richtiger es sich anfühlte, als sie "Café Müller" mit geschlossenen Augen aufführte, gleichsam blind durch die Stuhlreihen tanzte. Gestern Mittag hat Pina Bausch ihre Augen für immer geschlossen. Am 27.Juli wäre sie 69 Jahre alt geworden.

© SZ vom 01.07.2009/kar - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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