Fischerei:Profit durch Verzicht

Die Bestände vieler Fischarten stehen vor dem Kollaps. In den Traditionen alter Völker sehen Wissenschaftler eine Chance, ihn zu vermeiden

Petra Steinberger

Als draußen an den Riffen die Fische immer seltener wurden und die Explosionen immer lauter , erinnerten sich die Alten vom pazifischen Inselstaat Palau an kapu - an die alten Bräuche.

Fischerei: Die Überfischung bedroht die Bestände weltweit

Die Überfischung bedroht die Bestände weltweit

(Foto: Foto: dpa)

Jedes Riff durfte nur von den Fischern eines Dorfes befischt werden und nur zu manchen Jahreszeiten. Und die Dörfer auf den Inseln von Palau hatten sich abgewechselt bei der Befischung der Riffe. So war jahrhundertelang sichergestellt worden, dass es immer genug Fische gab. So hatten sie jahrhundertelang den Bestand garantiert und damit ihr eigenes Überleben gesichert.

Kapu oder tabu heißt dieses komplexe Gesetzeswerk - "verboten". Es regulierte das Leben, garantierte das Überleben und deshalb auch die Fischgründe. Doch als in der zweiten Hälfe des letzten Jahrhunderts die Fremden auf die Inseln kamen, gerieten die alten Regeln in Vergessenheit.

Ständig neue Fischereiflotten entdeckten die noch recht unberührten Fischgründe. Schließlich fingen auch die lokalen Fischer an, mit Dynamit zu fischen. Das Meer um die Inseln war bald überfischt, die Korallenriffe leer.

Doch dann erinnerten sich die Alten und führten 1994 in einem kleinen Teil des Riffs wieder kapu ein, was nichts anderes ist als eine klare Vorgabe an die fangberechtigten Fischer, wie viel jeder Fischer wann dem Meer entnehmen darf. Manchmal darf er gar nichts nehmen. Und die Fische kehrten zurück, erstaunlich schnell. Die Ältesten weiteten kapu aus, und heute gilt Palau als Vorreiter wenn es um die Wiederbelebung überfischter Riffe geht.

Nutzungsrechte im Kampf gegen den Zusammenbruch

Vereinzelt wird nun mit modernen Versionen des kapu experimentiert. Solche Projekte haben lange, komplizierte Namen wie "LAPPs", "limited Access Privilege Programs". Aber sie funktionieren nicht viel anders.

Sie teilen den Fischern eines Gebietes oder einer Fischereivereinigung festgesetzte Fangquoten zu, Nutzungsrechte gewissermaßen, die diese selbst erfüllen oder wie Aktien verkaufen können. Nun hat die marktorientierte Umweltorganisation Environmental Defense eine großangelegte Studie dieser LAPPs vorgelegt. Sie verheißt Hoffnung für die verbliebenen Fische dieser Meere und ihre Konsumenten.

Weltweit sind die Fischbestände in Gefahr. Bis 2048, stellte kürzlich das Wissenschaftsmagazin Science fest, könnten sie sogar völlig zusammenbrechen. Biologen weisen darauf hin, dass die großen Arten, dazu gehören beispielsweise Kabeljau, Lachs und Thunfisch, inzwischen bis auf ein Zehntel ihres historischen Bestandes dezimiert worden sind. Verantwortlich dafür sei in erster Linie die Überfischung durch kommerzielle Fangflotten.

Bekannt geworden ist das Schicksal der Kabeljau-Schwärme vor Neufundland. Als sie im späten 16. Jahrhundert entdeckt wurden, waren die Schwärme noch so groß, dass es hieß, man könne "auf dem Rücken des Kabeljaus spazieren gehen".

Fast ein halbes Jahrtausend blieb das so, bis im 20. Jahrhundert die Fangmenge die Reproduktionsfähigkeit der Schwärme zu übersteigen begann. Die Kabeljaubestände vor Neufundland wurden immer kleiner. 1989 schließlich kollabierten sie. Als 1992 die Fanggründe offiziell geschlossen wurden, verloren tausende kanadische Fischer ihren Job. Ob dort jemals wieder gefischt werden kann, weiß niemand.

Aufrüstung der Fangflotten

Prozesse wie diese haben einen Namen: "Tragödie der Allmende". Es ist die Tragödie der commons, des gemeinschaftlichen Eigentums eines Dorfes. Sie tritt ein, wenn Ressourcen, die allen zur Verfügung stehen, unbeschränkt ausgebeutet werden - weil sie "frei" nutzbar sind, wie die Atmosphäre, Wasser oder eben Fischgründe. Jahrhundertelang hatte die "globale Allmende" keinen Preis. Und keiner glaubte sich beschränken zu müssen.

1968 machte der amerikanische Zoologe und Philosoph Garrett Hardin auf dieses Problem aufmerksam. In Science veröffentlichte er seinen Aufsatz "The Tragedy of the Commons". Der Essay wurde zur Sensation und einer der meistgelesenen überhaupt. Hardin erklärt das Problem am Beispiel der Dorfweiden, die allen Bauern zugänglich sind.

Wer seine Tiere mehr als die anderen auf diesen Weiden grasen lässt, bekommt fettere Tiere, während die Kosten und der Schaden, nämlich weniger Weidegras, auf das ganze Dorf verteilt werden. Bald ahmen die anderen Bauern dieses Vorgehen nach, weil sie ebenfalls profitieren wollen. Das geht solange, bis die Weiden der Allmende allesamt überweidet und langfristig zerstört sind.

Hardin folgerte daraus, dass im Fall der allgemein zugänglichen commons das Verfolgen der Eigeninteressen offensichtlich in die Tragödie für alle führt, wenn dieser Allgemeinbesitz nicht reguliert wird. Adam Smiths Gesetz der "unsichtbaren Hand" des Marktes, wonach das, was für den einzelnen gut ist, letztlich allen zugute kommt, funktioniert in diesem Fall nicht. Und was für ein Dorf gilt, sagte Hardin, sei auch wahr für den gesamten Planeten.

Noch bis in die siebziger Jahre waren auch die Meere weitgehend unreguliert. Als die Verluste dann immer offensichtlicher wurden, versuchten Staaten und internationale Institutionen, die Bestände zu sichern.

Profit durch Verzicht

Doch der Erfolg blieb aus. Im Gegenteil, es entwickelte sich sogar ein Kreislauf der Zerstörung. Einerseits wurden die Regeln und Vorschriften immer strenger. Schiffe, Ausrüstung, Fangzeiten wurden beschränkt. Die Verteilungskämpfe unter den Fischern wurden immer brutaler, ebenso ihr Feldzug gegen die Behörden, die ihnen die Lebensgrundlage zu entziehen schienen.

Wenn diese die jährliche Fangsaison weiter verkürzten, vergrößerten die Fischer im Gegenzug ihre Flotten und setzten noch stärkere und größere Maschinen ein. Reduzierte eine Regierung die Netzgröße, kauften die Fischer einfach eine teurere Ausrüstung wie Sonargeräte, um die Fische aufzuspüren. Jede weitere Kürzung wurde mit mehr Netzen, Leinen und hoch technisierten Geräten beantwortet.

Ökonomen nennen dieses Verhalten Überkapitalisierung. Die Kosten für die Fischer steigen bei gleichem oder gar sinkendem Ertrag, doch der Druck auf die Fischbestände bleibt bestehen. Und die Fischerei wird gefährlich, weil die Fischer in der Fangzeit selbst bei schlimmster See hinausfahren. "In einer Allmende", heißt es in der Studie von Environmental Defense, "in der die Anteile am Fang nicht festgelegt sind, ist das wirtschaftliche Überleben jedes Fischers von seiner Fähigkeit abhängig, so viel wie möglich zu fangen, wann immer er die Gelegenheit dazu hat."

30 Prozent weniger Einkommen, 35 Prozent mehr Gefahr

Schließlich wurde bei manchen Fischarten, zum Beispiel dem Alaska-Heilbutt, die jährliche Fangsaison auf 48 Stunden beschränkt. Also fischten Fischer Tag und Nacht, um ihren Fang in der verbliebenen Zeit zu maximieren. Die Unfälle häufen sich, und immer mehr Beifang - Meerestiere, die gar nicht gefangen werden sollen - wird ins Meer zurückgekippt, meist tot.

"Der augenblickliche Zustand der amerikanischen Fischgründe", steht in dem Bericht von Environmental Defense, "ist nicht mehr tragbar. 54 Arten gelten bereits als überfischt, 45 Arten sind auf dem besten Weg dorthin, und der Zustand von mehr als der Hälfte des nationalen Gesamtbestandes ist ungewiss.

Fischer verdienen inzwischen im Durchschnitt 30 Prozent weniger als gewöhnliche Arbeiter, ihre Arbeit ist jedoch um 35 Prozent gefährlicher." In Europa ist die Lage nicht viel besser.

Und die Nachfrage wächst und wächst. Fisch ist eine wichtige Eiweißquelle. Für die wachsende Bevölkerung in der Dritten Welt genauso wie für die gesundheitsbewussten Verbraucher der reichen Industrienationen. Bis 2015 wird der Bedarf weltweit auf 179 Millionen Tonnen im Jahr anwachsen. 1950 waren es noch 19,3 Millionen Tonnen.

Eine Antwort auf das Dilemma der Allmende liegt für liberale Ökonomen in der individuellen Privatisierung. Dann, so glauben sie, würde Adam Smiths Gesetz des freien Marktes für die begrenzten Ressourcen wieder funktionieren - auch in der Fischerei.

Denn Eigentümer haben starkes Interesse daran, ihre Ressourcen nicht zu zerstören, sondern trotz Nutzung zu erhalten. Kritiker sagen, die Eigentümer könnten nicht unbedingt daran interessiert sein, ihre Ressourcen an jene zu verteilen, die sie zwar brauchen, aber nicht den geforderten Preis zahlen können.

Andere Ökonomen wollen die Regierungen, wie schon jetzt bei Naturschutzgebieten, zu Hütern der Allmende bestimmen. Nur müssten diese Hüter dann auch stark genug sein, das Gemeingut effektiv zu überwachen - was bei schwachen Staaten und korrupten Behörden nicht garantiert ist.

Die Weisheit der Alten

Eine dritte Möglichkeit sind die Weisheiten der Alten: Formen der alten Allmende - wie Palaus kapu-System. Denn die commons waren weder im mittelalterlichen Europa noch anderswo so frei, wie Hardin in seinem theoretischen Beispiel unterstellt.

So legte das Property and Environment Research Center (PERC) in Montana eine Untersuchung vor, laut der die traditionellen indianischen Besitzrechte des amerikanischen Nordwestens die Lachsgründe weit besser regulierten als die weißen Eroberer, die die Fischgründe frei zugänglich für alle machten.

Diese Strukturen waren weit entfernt von der "romantischen Vorstellung", so das PERC, dass Amerikas Ureinwohner keinen Bezug zu materiellem Besitz und Eigentumsrechten gehabt hätten. "Klans und Individuen, die Exklusivrechte auf bestimmte Fischgründe besaßen, hatten einen Anreiz, Zeit und Mittel zu investieren, um die Gründe so produktiv wie möglich zu machen."

Auch die Umweltorganisation Environmental Defense kommt in ihrer Studie zu dem Schluss, dass sich die Zuteilung von Fangquoten an die einzelnen Fischer als der beste Weg erwiesen hat, den Bestand langfristig zu sichern. Die Fischer können sicher sein, dass sie einen festgelegten Anteil am Fang haben werden. Wird ihr Verband gut gemanagt, steigen auch ihre Anteile.

Da niemand mehr als seinen Anteil nutzen darf, wird nicht überfischt. Es profitieren alle: Fischer, Fische, letztlich auch die Fischkonsumenten. Hardin wusste das. Aber die Alten von Palau wussten es schon viel früher.

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