Bayern:Das Land der leeren Flüsse und Seen

In Bayern ist ein großer Teil der 70 Fischarten gefährdet oder bereits ausgestorben. Schuld sind Raubvögel - und der Mensch.

Christian Sebald

Die Äsche zum Beispiel. Vor gut 25 Jahren haben Angler an einzelnen Abschnitten der schwäbischen Iller bis zu 2000 Stück pro Jahr herausgezogen. Inzwischen sind es kaum noch 150.

Nase

Einst Schweinefutter, jetzt vom Aussterben bedroht: Die Nase.

(Foto: Foto: dpa)

Oder die Nase. "Gleich ob an Isar, Loisach oder anderswo, die Nase war ein Massenfisch, wie kaum ein zweiter", sagt Ulrich Pulg, Artenschützer beim Landesfischereiverband (LFV). "Den haben die Bauern sogar an die Schweine verfüttert."

Inzwischen zählt die Nase zu den hoch gefährdeten Arten.

"Überhaupt sind die Fische die wohl bedrohteste Tierart in Bayern", sagt Sebastian Hanfland, Artenschutzreferent des LFV. "Und das Ganze spielt sich weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit ab."

Einige sind bereits ausgestorben

Laut amtlicher Statistik sind in den bayerischen Flüssen und Seen rund 70 Fischarten heimisch. Darunter sind so bekannte wie die Bachforelle, die Seeforelle und die Barbe, aber auch Exoten wie der Perlfisch, der schon immer nur im Chiemsee vorkam.

Doch so reich die Vielfalt ist, so bedroht sind die Bestände. 59 der 70 Arten stehen auf der Roten Liste. Und von den 36 Arten in Flüssen und Bächen, sind es sogar 34. Lachs, Finte, Maifisch, Stör, Meerneunauge und Meerforelle werden nicht mehr mitgezählt, sie sind ausgestorben.

Auch die Bachforelle, die Seeforelle, die Barbe und all die anderen gefährdeten Arten könnte dieses Schicksal über kurz oder lang ereilen, wenn sich die Fischer nicht so sehr dagegen stemmen würden.

Selbst die frisch und als Räucherfisch so beliebten Renken müssen längst in Bruthäusern nachgezogen und als Jungfische freigesetzt werden, sonst kämen sie kaum noch auf den Tisch. "Ohne Zuchtanstalten hätten die Berufsfischer an den oberbayerischen Seen und am Bodensee seit Jahrzehnten keine entsprechenden Erträge mehr", sagt Franz Geldhauser, der Fischereireferent am Landwirtschaftsministerium. "Auch die Aale im Main gäbe es nicht mehr, wenn die Fischer nicht immer wieder Tausende einsetzen würden."

Oft heißt es, Fischer und Angler wären selbst schuld an der Misere, weil sie Flüsse und Seen leer gefischt hätten. "Das ist ein Vorurteil, das falscher nicht sein könnte", sagt Pulg. "Das bayerische Fischereigesetz regelt genau, wann welche und wie viele Fische aus einem Gewässer herausgeholt werden dürfen, damit durch die Fischerei keine Art gefährdet wird." Anders ist das mit Umwelteinflüssen.

Zwei Gründe

Die Vermutung ist weit verbreitet, dass Rückstände von Chemikalien ihren Tribut fordern, auch wenn die Wasserqualität selbst noch so gut ist. "Das kann man nicht ausschließen", sagt Geldhauser. "Aber es fehlt der Nachweis." So führen Fachleute hauptsächlich zwei Gründe für die Bedrohung der Fischwelt an.

Der eine ist der Mensch, der Flüsse und Bäche so reguliert hat, dass von ihrem einstigen Lauf kaum etwas übrig geblieben ist. "Der andere sind Kormoran und Gänsesäger", sagt Geldhauser. "Auch wenn Vogelschützer das nicht akzeptieren wollen."

Wenn überhaupt, dann haben die meisten bayerischen Flüsse nur auf wenigen kurzen Abschnitten etwas von ihrer natürlichen Gestalt behalten. Die Donau etwa ist fast komplett reguliert. Ihre Ufer sind befestigt, die einstigen Altwässer und Auen wurden abgetrennt, in den Flusslauf wurden Staustufen und Wasserkraftwerke hineingebaut.

Selbst der letzte annähernd natürliche Abschnitt von Straubing nach Vilshofen soll nach Willen der Staatsregierung möglichst bald mit einer Staustufe reguliert werden - auch wenn sich Naturschützer noch so wehren.

Ein anderes Negativ-Beispiel sind der Main und seine 30 Wasserkraftwerke. "Forscher haben errechnet, dass in den Turbinen nur eines Main-Kraftwerks ein Viertel der Aale getötet wird, die auf Wanderschaft sind", sagt Geldhauser. "Da weiß man sofort, warum der Aal hier keine Chance hat!"

"Jeder Kilometer ein Wehr"

Nicht nur Aale, auch Forellen, Äschen, Nasen und die anderen Fischarten wandern. Denn sie alle haben stets mehrere Lebensräume. Nur die Distanzen dazwischen schwanken zwischen Tausenden Kilometern beim Aal und einigen wenigen etwa bei der Nase. Ihre Laichplätze sind kühle, kiesige Ober- und Mittelläufe. Jungfische wiederum lassen sich in nahrungsreiche und wärmere Unterläufe abdriften.

Ruhige Altwässer sind begehrte Winterplätze. "Selbst bei den Nasen, die nur kurze Distanzen überwinden müssen, kommt schnell eine Gesamtstrecke von 25 Kilometern zusammen", sagt Pulg. "Wie sollen sie die schaffen, wenn fast jeden Kilometer ein Wehr steht, das ihnen den Weg versperrt?"

So als wäre die Zerstörung der Lebensräume nicht genug, setzen den Fischen Kormoran und Gänsesäger massiv zu. Ende der siebziger Jahre waren beide Wasservogelarten europaweit so gut wie ausgestorben. Deshalb wurden sie unter strikten Schutz gestellt. Bayernweit zählt man heute knapp 600 Kormoran-Brutpaare. Hinzu kommen viele tausend Wintergäste aus dem Norden.

Allein an der Mündung der Tiroler Ache in den Chiemsee leben mehr als 100 Kormoran-Brutpaare. "Sie holen 40 Tonnen Fisch im Jahr aus dem See", sagt Geldhauser. "Die 18 Fischer am Chiemsee kommen auf gerade mal 80 Tonnen."

Auch das Artenschutzprogramm für die Äsche, in dem von 1999 bis 2001 die Gründe des Schwunds untersucht wurden, hat als eine Hauptursache den Kormoran und den Gänsesäger ergeben. "Dabei hat man beispielsweise an der Ammer den Gänsesäger durch Schreckschüsse gezielt vergrämt", sagt Geldhauser. "Und der Äschenbestand hat sich sofort erholt."

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