Ein Finanzvertrieb gerät in die Kritik:Das System AWD

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Die Beratung soll im Vordergrund stehen, doch ehemalige Mitarbeiter werfen dem Unternehmen nicht nur Umsatzdrückerei vor.

Von Thomas Öchsner

Der Finanzdienstleister AWD schwelgt in Superlativen. Für das Geschäftsjahr 2004 meldete das Unternehmen erneut Bestmarken bei Umsatz und Profitabilität.

Motivationshilfe für die Handelsvertreter: AWD-Berater können sich jeden Tag einen 500-Euro-Schein Spielgeld abreißen, um sich zu vergegenwärtigen, wieviel sie angeblich verdienen können, wenn sie fleißig sind. Auf der Rückseite stehen typische AWD-Losungen. (Foto: Bild: SZ)

Seit Oktober 2002 hat sich der Aktienkurs etwa verdreifacht. Vorstandschef Carsten Maschmeyer kündigte bereits an, dass er Mitte Mai das stärkste erste Quartal in der Unternehmensgeschichte von AWD vorlegen werde.

Auch in der Öffentlichkeit steht das Unternehmen, das Versicherungen, Investmentfonds, Bausparverträge oder Immobilien-Anlagen an derzeit etwa 1,45 Millionen Kunden vermittelt, hervorragend da.

Börsengang gegen die Kritik

AWD gilt als Premium-Marke. Das Unternehmen hat sich einen Namen als "unabhängiger Finanzoptimierer" gemacht. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) schätzt privat die Gesellschaft von Maschmeyer, der wie der Kanzler in Hannover lebt und sich aus kleinen Verhältnissen hochgearbeitet hat.

Vorbei die Zeiten, in denen Kritiker Maschmeyer als "Champion der Klinkenputzer" (Stern) und seine Vertriebstruppe als provisionshungrige Drückerkolonne für Kapitalanlagen schmähten. Seit dem Börsengang im Herbst 2000 ist die Kritik am im Mittelwerte-Index MDax notierten AWD weitgehend verstummt.

Doch damit soll jetzt Schluss sein - das meinen nicht nur manche Käufer von geschlossenen Fonds, die sich von dem Finanzdienstleister falsch beraten fühlen, sondern auch frühere Mitarbeiter des Unternehmens, deren Rechtsanwälte und Verbraucherschützer. Sie sehen hinter der glänzenden AWD-Fassade jede Menge Elend und viele Ungereimtheiten.

Es geht um die Ausbeutung von Kontakten neuer Mitarbeiter, überhöhte Einkommens-Versprechungen, Umsatzdrückerei und die Frage, wie der Finanzdienstleister mit Zahlen hantiert. "Es drängt sich der Eindruck auf, als basiere der Erfolg von AWD maßgeblich darauf, immer wieder neue Mitarbeiter anzuwerben und deren Bekannten- und Verwandtenkreis ,auszuschlachten'.

Sind diese persönlichen Kontakte erst einmal ,ausgelutscht', wird es für den Neuen schwer. Nur wer seinerseits wieder genug neue Untervermittler angeworben hat, kann Erfolg haben.

Den meisten Neuen gelingt das aber gerade nicht. Sie landen wieder auf der Straße und stehen vor den Trümmern ihrer Existenz", sagt Wolfgang Scholl, Referatsleiter im Fachbereich Finanzdienstleistungen bei der Verbraucherzentrale Bundesverband.

Ranglisten für Verkäufer

Egal ob es sich um niedrigere Versicherungsbeiträge, höhere Zinsen, Möglichkeiten zum Steuern sparen oder Aktienfonds mit hohen Renditen handelt - AWD verspricht seinen Kunden die Finanz- und Vorsorgeanlagen so zu optimieren, dass dabei binnen fünf Jahren ein Vorteil von 5000 Euro herauskommt.

Möglich soll dies werden durch eine private Wirtschaftsbilanz. Mit Hilfe eines Fragenkatalogs und der entsprechenden Software analysiert der AWD-Berater alle Ein- und Ausgaben der Klienten. Danach soll er Vorschläge machen, was der Kunde besser machen kann und in welchen Bereichen zusätzliche Verträge nötig sind, um zum Beispiel Versorgungslücken abzudecken.

Der Finanzdienstleister kann die Produkte von mehr als 300 Partnern anbieten, darunter zum Beispiel des Versicherungskonzerns Allianz oder der Fondsgesellschaft DWS. Im Idealfall sollte der Kunde dann das Produkt bekommen, das für ihn am günstigsten ist und ideal zu seinen Bedürfnissen passt. Soweit die Theorie.

In der Praxis stehen die selbstständigen AWD-Berater enorm unter Druck. Es gibt weder Festgehalt noch Zuschuss vom AWD für die Sozialversicherung. Nur wer verkauft, erhält Abschluss-Provisionen, kann seine Betriebskosten decken und Geld verdienen. Außerdem müssen sich die Vertreter hochdienen: Je mehr Finanzprodukte ein Vertreter an die Frau oder den Mann bringt, desto höher klettert er in der Karriereleiter und desto größer sein Provisionsanteil.

Chef Maschmeyer war in jungen Jahren selbst ein äußerst erfolgreicher Vermittler von Finanzprodukten. Jetzt peitschen er und seine Führungscrew den Vertrieb auf immer neue Umsatzrekorde ein - nicht nur mit monatlichen Ranglisten, in denen das Unternehmen die besten Verkäufer feiert.

Nur nach vorne

Anfang Januar 2004, als die Bundesregierung den Wegfall des Steuerprivilegs für Lebensversicherungen für 2005 ankündigte, schrieb die Geschäftsführung in der hauseigenen AWD-Postille Report-Intern: "Gehen Sie an dieses ,Umsatzsondermahl' mit großen Löffeln heran.

Es ist wie im Lotto. Wir sind zwar sowieso auf der Siegerstraße. Aber jetzt können Sie zu den ,Sechs Richtigen' noch die ,Zusatzzahl' bekommen und so den ,Super-Jackpot' knacken. Jetzt gibt es keine Pausen, keinen Blick nach links oder rechts, sondern nur noch den zielorientierten Gang nach vorne."

Bei AWD sind aber auch subtilere Mittel bekannt, die Vertreter ans Verkaufen zu erinnern. Neuerdings können sich die Berater zum Beispiel ein Set mit Spielgeld bei ihren Büroleitern holen.

Auf der Vorderseite ist ein 500-Euro-Schein zu sehen, auf der Rückseite stehen AWD-Losungen wie "Ein Tag ohne Termin bedeutet weniger Luxus". "Sie können", erklärt Maschmeyer dazu in der Hauspostille für April, "von diesem 20er Block an jedem Tag, an dem Sie keinen Termin haben, einen Schein abreißen. Oder einfach umgekehrt. Jeden umsatzorientierten Tag einen 500er sozusagen einfahren und langsam stapeln." Schließlich sei ein Tag ohne Termine "verschenktes Geld".

Die Botschaft solcher Aufrufe ist stets dieselbe: Wer nicht genug verdient, ist selbst dran schuld, so als ob es eine unbegrenzte Zahl von Kunden gäbe, die nur darauf warten, bei einem AWD-Berater eine Versicherungspolice zu unterzeichnen. "Sie sitzen am Steuer Ihres Lebensautos", schreibt Maschmeyer in der Mai-Ausgabe des AWD-Blatts Report-intern.

Der Erfolgsdruck beginnt bereits bei den Neueinsteigern. Diese dürfen zwar noch nichts verkaufen, sie sollen sich aber bereits in den ersten Wochen möglichst einen eigenen Mandantenkreis aufbauen. Die Kontaktdaten jedes potenziellen Kunden, vom früheren Schulkameraden über Nachbarn und Bekannte aus Vereinen bis zu persönlichen Freunden, kommen in das so genannte Auftragsbuch.

"Besonders erfolgreiche Finanzberater bei AWD starteten in der Vergangenheit mit mindestens 150 Namen potenzieller Mandanten", steht zum Beispiel im Geleitwort des Auftragsbuches 2003. Außerdem müssten die Anfänger zusammen mit einer Führungskraft bei mindestens zwölf Kunden finanzielle Daten erheben, heißt es in einem Leitfaden zur Grundausbildung.

AWD nennt das intern "frühzeitige Erfolgsorientierung". Dadurch ließen sich bereits früh Mitarbeiter erkennen, "die sich weniger für eine Tätigkeit bei AWD eignen".

"Form der Gehirnwäsche"

Michael Bose, Mitgründer des Vereins der ehemaligen AWD-Mitarbeiter in Marburg, sieht das ganz anders: Er wirft AWD vor, mit dem Versprechen auf ein hohes Einkommen ständig neue Mitarbeiter für den Vertrieb anzuwerben, um an neue Kontaktdaten und Kunden heranzukommen.

"Das ist ein entscheidender Grund für den Erfolg des AWD", sagt Bose. Deshalb nähme es der Finanzdienstleister auch in Kauf, dass viele dieser Neulinge wieder vorzeitig abspringen, weil sie es nicht schafften, ein ausreichendes Einkommen bei AWD zu erzielen.

AWD weist diesen Vorwurf vehement zurück: "Hauptzugangsweg, der für die Gewinnung von etwa zwei Dritteln der Neukunden ursächlich ist, ist immer noch die Weiterempfehlung durch zufriedene Mandanten", erklärte ein AWD-Sprecher auf Anfrage der SZ.

AWD selbst wirbt im Internet um neue Finanzberater mit dem Hinweis "attraktive Vergütung schon während der Einarbeitungsphase", die bis zum Abschluss der internen Beraterlizenz normalerweise sechs Monate dauert.

In dieser Zeit erhalten die Neulinge von AWD eine Starthilfe von bis zu 6000 Euro und Provisionsvorschüsse. Wie viele Neulinge welche Zahlungen beanspruchen, sagt das Unternehmen nicht. Das Minus sei aber gerade bei Anfängern "überschaubar", und viele Frühaussteiger würden "mit Guthaben" das Unternehmen verlassen.

Ehemalige AWD-Mitarbeiter, die ihre Erfahrungen im Internet (www.awd-aussteiger.de oder http: //kickme.to/noawd) austauschen, können darüber nur lachen. "Die meisten AWD-Aussteiger erkennen viel zu spät, dass sie bei diesem Unternehmen auf Dauer kein ausreichendes Einkommen erzielen können.

Wir haben inzwischen Kontakt zu mehreren hundert AWD-Aussteigern und bekommen immer wieder von diesen berichtet, dass AWD Provisionen und andere Gelder zurückfordert, teilweise in Höhe von mehreren tausend Euro", sagt Bose.

Schnell abgegrast

Er vergleicht die Schnupperphase bei AWD mit einer "speziellen Form von Gehirnwäsche". Den Anfängern werde suggeriert, Teil einer Elite zu sein und gleichzeitig viel Geld verdienen zu können. Die Unterschrift unter den Handelsvertretervertrag nach etwa ein, zwei Monaten sei dann oft reine Formsache. "Zu diesem Zeitpunkt sind die Leute vom AWD total überzeugt, da prüft kaum einer den Vertrag im Detail nach", sagt Bose.

Die Fluktuationszahlen bei den Neueinsteigern scheinen jedenfalls enorm zu sein. Offiziell gibt es dazu keine Zahl. Diese sei unerheblich, weil die Basis des Geschäftserfolgs in den hauptberuflichen Finanzberatern liege, heißt es bei AWD offiziell.

In einem internen AWD-Papier für die Führungskräfte aus dem Jahr 2003, das der SZ vorliegt, heißt es aber, die Fluktuation sei "zu hoch und ,zu spät' (zu lange Beschäftigung mit umsatzschwachen Mitarbeitern)". Außerdem ist von "hohen Sollsalden" die Rede.

Maschmeyer selbst sagte dazu: Von zehn Interessenten gingen drei in die Probezeit für acht Wochen, "zwei bleiben über, von denen einer nach 12 Monaten die Fachberaterlizenz schafft". Bei diesen hauptberuflichen Mitarbeitern liegt die Fluktuation nach Darstellung des AWD mit einer Quote von sieben Prozent unter dem Marktdurchschnitt.

Der Verein der ehemaligen AWD-Mitarbeiter macht eine ganz andere Rechnung auf: Der Organisation liegen die E-Mail-Adressen sämtlicher Vertriebsmitarbeiter vom Oktober 2002 und vom 1. Februar 2004 vor.

Das Ergebnis eines Namensvergleichs: Von 5712 Mitarbeitern tauchten nach 16 Monaten 2935 Mitarbeiter in der Datei nicht mehr auf. "Normalerweise müsste AWD in seiner Fluktuationsstatistik jeden mitzählen, der in die Fachausbildung geht", sagt Bose.

Denn von da an erhalte der Mitarbeiter eine eigene E-Mail-Adresse und müsse seinen bisherigen Job aufgeben, allein schon weil er dreimal pro Woche tagsüber Schulung habe.

Die Gründe für diese Fluktuationszahlen liegen für den Berliner Rechtsanwalt Thomas Schulte, der mehrere AWD-Vermittler beraten hat, auf der Hand: In der Anfangseuphorie überschätzten viele Vertreter ihre Verkaufschancen, später stellen sie dann fest, dass das persönliche Umfeld schnell abgegrast sei.

Gleichzeitig unterschätzen sie die laufenden Kosten für ihren Anteil am AWD-Büro, für Software, Werbematerial, Schulungen, Seminare oder Auto. Entscheidend dürfte aber das Provisionssystem bei AWD sein. Die Provisionen sind gerade für die Anfänger, die in der Karriereleiter noch nicht hochgeklettert sind, verglichen mit denen eines Versicherungsvertreters eher gering.

Hinzu kommt: Vertreter einer Versicherung erhalten nach Verkauf einer Police in der Regel neben der Abschlussprovision eine jährliche Bestandspflegeprovision, also ein Zubrot dafür, dass der Vertrag noch weiter läuft. "AWD bezahlt an die Mitarbeiter keine Bestandsprovisionen, sondern behält diese für sich. Dafür haben die Berater auch die Chance, mehr zu verdienen als etwa ein Vertreter einer Versicherung", sagt der Unternehmenssprecher.

Maschmeyer bezifferte das Jahreseinkommen eines Mitarbeiters mit Beraterlizenz nach einem Jahr auf 50000 Euro, ohne von brutto oder netto zu reden. Bose hält entgegen, dass diese Zahl nichts aussage, weil bei den Direktoren im Vertrieb Millionen, bei den Managern einige hunderttausend ankommen würden, und so für untergeordnete Mitarbeiter viel weniger übrig bleibe. Außerdem müsste man die Betriebskosten abziehen.

Lob von Schröder

Die Berater sind jedenfalls von den Abschlussprovisionen abhängig. Allein schon wegen dieses Verkaufsdrucks hat Wolfgang Scholl, Versicherungsexperte der Verbraucherzentrale Bundesverband, große Zweifel, "ob sich die Beratung wirklich am Bedarf des Kunden und nicht an der Höhe der Provision orientiert".

Das Unternehmen verweist dagegen auf gute Ergebnisse bei Beratungstests. Schon die Vergleichssoftware sorge dafür, dass der Kunde aus allen Produktsparten im Vergleich zu anderen Anbietern das günstigste Angebot erhalte.

Im Geschäftsbericht für 2004 wird aber darauf hingewiesen, dass fondsgebundene Produkte mit 49 Prozent den höchsten Anteil an den Abschlussprovisionen erreichen. Positiv, heißt es dort weiter, sei von den Kunden der MasterFund aufgenommen worden. Laut der der SZ vorliegenden AWD-Provisionsliste vom 3.1.2005 gibt es aber innerhalb der fondsgebundenen Produkte für Master-Fund-Policen überdurchschnittlich hohe Provisionen.

"In Meetings wird natürlich der Abschluss von bestimmten Produkten empfohlen", sagt dazu ein ehemaliger AWD-Mitarbeiter. Und Experte Scholl ergänzt: "Man muss sich schon fragen, warum der AWD in diesem Umfang fondsgebundene Produkte verkauft statt reine Aktienfonds. Ob das nicht doch an den Provisionen liegt?"

Bundeskanzler Schröder scheint trotzdem voll des Lobes für AWD. Ende vergangenen Jahres hielt er eine Rede auf einer Vertriebsveranstaltung des Unternehmens als "Ehrengast", wie einem Jubelbericht im AWD-Intranet zu entnehmen war.

Demnach soll der Kanzler diese Botschaft bei den Vertretern hinterlassen haben: "Sie als AWD-Mitarbeiter erfüllen eine staatsersetzende Funktion. Sichern Sie die Rente Ihrer Mandanten, denn der Staat kann es nicht!" Und weiter heißt es in dem Bericht: "Die überwältigten Zuhörer dankten es ihm mit Standing Ovations."

© SZ vom 12.05.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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