Forschung:"Nanotechnik wird erwachsen"

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Wissenschaftler fürchten, Miniaturmaterial könnte wie Asbest enden.

Von Robert Service

Vergessen Sie die futuristischen Visionen von winzigen Maschinen, die in der Blutbahn kreisen und Krebszellen zerstören - echte Nanotechnik ist längst Alltag.

Modell einer Kohlenstoff-Röhre, die in Computerchips zum Einsatz kommen soll. (Foto: Foto: AP)

Intel und andere Hersteller von Computerchips verkaufen bereits für Milliarden Dollar Schaltkreise, deren elektronisches Innenleben in Nanometern (Millionstel Millimeter) gemessen wird. Auch Computer-Festplatten, CD-Spieler und Lacke mit reduzierter Reibung bedienen einen Milliarden-Markt.

Den Teilnehmern der Jahrestagung der amerikanischen Chemiker-Vereinigung (American Chemical Society, ACS) im März entfuhr daher ein fast hörbares Stöhnen, als Eva Oberdörster von ihren Fischen erzählte (SZ, 1.4.2004).

Wie die Toxikologin von der Southern Methodist University in Dallas berichtete, hatten so genannte Buckyballs - kugelförmige Kohlenstoffmoleküle aus 60 Atomen - in Fischgehirnen Zellmembranen beschädigt.

Zeitungen auf der ganzen Welt berichteten darüber, und Forscher wie Politiker fürchteten, die Artikel könnten die öffentliche Meinung über Nanotechnik vergiften.

Das Forschungsgebiet käme dann ähnlich in Verruf wie die grüne Gentechnik und die Atomkraft.

Noch ist Nanotechnik nicht so weit, aber sie steht am Scheideweg. "Nanotechnik wird erwachsen", sagt Vicki Colvin von der Rice University in Houston.

Behörden, Forscher und Umweltorganisationen untersuchen, welchen Effekt Nanomaterialien auf Gesundheit und Umwelt haben, um Grenzwerte festzulegen. Viele Beobachter fürchten jedoch, dass neue Bestimmungen neuen Produkten hinterherhinken, dass die Technik also zu schnell erwachsen wird.

Die Ängste haben ihre Wurzeln in einem Zielkonflikt: Was Nanoteilchen für Forschung und Technik interessant macht, erschwert es Forschern auch, die Wirkung auf Organismus und Natur vorherzusagen.

Heißes Forschungsgebiet

Nanopartikel ändern ihre elektrischen, optischen oder chemischen Eigenschaften mit der Größe. Gold zum Beispiel gilt eigentlich als chemisch träge, aber als Nanoteilchen ist es hochreaktiv.

Solche Verwandlungen haben zwei Ursachen: Zum einen sitzen bei winzigen Partikeln die meisten Atome an der Oberfläche, zum anderen kann sich die Elektronenhülle bei Nanoteilchen verformen; beides prägt ihr Verhalten.

Darum ist Nanotechnik zurzeit eines der heißesten Forschungsgebiete überhaupt. In Amerika allein hat sich die finanzielle Förderung der Nationalen Nanotechnik-Initiative (NNI) zwischen 2000 und 2005 fast vervierfacht, auf knapp eine Milliarde Dollar.

Auf der ganzen Welt werden in diesem Jahr 3,5 Milliarden Dollar für Forschung am Kleinsten ausgegeben. Die Liste engagierter Konzerne liest sich wie ein Auszug aus der Fortune-500-Liste: General Electric, Lucent, Philips, Matsushita, Intel, AMD, Merck.

David Rejeski zufolge, der das "Foresight and Governance Project" am Woodrow Wilson International Center Washington leitet, sind in den USA bereits 130 verschiedene Nanoprodukte auf dem Markt. 2012, schätzt die Regierung, ist die Nanoindustrie eine Billion Dollar wert.

"Schwierig bis unmöglich"

Wenn sich Forscher und Firmen um die Akzeptanz der Nanotechnik sorgen, fürchten sie nicht unbedingt die "Grey-Goo"-Szenarien. Das Schlagwort (grauer Schleim) steht für die Horrorversion sich selbst vermehrender Nanoroboter, die das Leben auf der Erde ersticken, wie Billy Joy warnt, Mitbegründer der Firma Sun Microsystems.

Richard Smalley von der Rice University widerspricht: Es wäre "schwierig, wenn nicht gar unmöglich", solche Maschinen herzustellen, sagt der prominente Nanoforscher.

Die meisten seiner Kollegen stimmen zu. Viel wahrscheinlicher sei es, dass Nanopartikel aus Lacken oder anderen Produkten in die Umwelt gelangen. Die Forscher wollen verhindern, dass sich eine Entwicklung wie bei Asbest wiederholt. Die Wunderfaser von einst ist heute zum Killer geworden.

Anders als Asbest jedoch sind Nanopartikel variabel in Größe, chemischer Zusammensetzung und den Mechanismen ihrer Wirkung. "Wir wissen wenig über die Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit und fast nichts über die Wechselwirkung verschiedener Teilchen miteinander", warnt der Washingtoner Beobachter David Rejeski.

Wirksames Antibiotikum

Etwa ein Dutzend Studien hat Hinweise erbracht, dass Nanopartikel für alle Organismen, vom Bakterium bis hin zum Säugetier, gefährlich werden können.

Demnach verklumpen zum Beispiel Kohlenstoff-Nanoröhrchen, wenn sie in die Lungen von Ratten gelangen, und schädigen das Gewebe, verursachen Atemprobleme und können sogar töten.

Und in Wasser gelöste Buckyballs, berichtete die Rice-University-Forscherin Vicky Colvin auf der ACS-Konferenz, vernichten Coli-Bakterien. "Sie sind ein extrem wirksames Antibiotikum", sagt Colvin.

Experten debattieren jetzt darüber, wie solche Ergebnisse zu bewerten sind. Pat Mooney von der ETC-Gruppe, die früher gegen die grüne Gentechnik gekämpft hat, sieht ein Warnlicht blinken.

Seine Organisation fordert ein Moratorium für Nanoprodukte und Laborforschung. "Es gibt viele Bedenken", räumt Clayton Teague ein, der das Nanotechnology Coordination Office in Washington leitet.

"Aber das sind die ersten Daten, es ist schwer, auf das Risiko zu schließen."

"Fast lächerlich"

Vorsicht hält auch Mihail Roco für angebracht, der Leiter der Forschungsinitiative NNI. Es seien aber bereits große Forschungsprojekte zur Sicherheit der Technik finanziert worden. Insgesamt gebe die NNI elf Prozent ihres Budgets, also 106 Millionen Dollar, für Umweltforschung aus.

Doch die Kritiker rechnen anders. Der Löwenanteil von diesem Geld, sagt Pat Mooney, fließe in Projekte, die untersuchen, ob Nanotechnik bestehende Umweltprobleme lösen könne.

Nur fünf Millionen Dollar, ergänzt Oberdörster, bekämen die Universitäten, um die Giftigkeit der Nanopartikel zu studieren. "Das ist schon fast lächerlich. Wenn man eine Billionen-Dollar-Industrie erwartet, sollte man einen Teil davon nehmen und ihn in die Toxikologie stecken."

Teague wiederum verweist auf die Erfahrung mit Dieselruß, Lackdämpfen und Toner-Staub, bei denen es um ultrafeine Partikel geht. Die Forschung fange nicht bei Null an.

"Es scheint unwahrscheinlich, dass das System, mit dem gefährliche Substanzen nachgewiesen und kontrolliert werden, stark verändert werden muss."

Auch das sehen Kritiker anders: Bisher schätzen Behörden die Sicherheit neuer Produkte und Stoffe auf Grund ihres chemischen Aufbaus ein. Nanoröhrchen und Buckyballs werden daher vergleichbar eingestuft wie Graphit, die typische, harmlose Form des Kohlenstoffs.

Schon die Entscheidung, wie man Nanopartikel auf ihre Giftigkeit testet, macht Probleme, sagt Vicky Colvin. Sollen Forscher Ein-Nanometer-Teilchen untersuchen, Zehn-Nanometer- oder 50-Nanometer-Teilchen? Oder alle drei und jede Zwischengröße?

Offen informieren

Die Firmen, die in die Nanotechnik investieren, bemühen sich ebenso hektisch, die Sicherheitsfrage zu klären. "Sie haben ein großes Interesse daran, dass der Zug nicht entgleist", sagt Rejeski. "Das Letzte, was sie gebrauchen können, ist, dass ihr Renommee von einer Technik ruiniert wird, in die sie viel Geld investiert haben."

Um die öffentliche Debatte richtig zu beginnen, schlägt Julia Moore von der National Science Foundation vor, sollten Firmen ihre Kunden offen informieren, welche Produkte Nanomaterialien enthalten.

Wenn sich dann die Vorteile der Technik herausstellen, könnten die Menschen selbst entscheiden, ob sie die Produkte benutzen wollen.

Niemand dürfe die Sorgen der Menschen als grundlos oder schlecht informiert abtun, fordert überdies David Goldston, leitender Mitarbeiter im Wissenschaftsausschuss des amerikanischen Repräsentantenhauses. "Forscher sollten sich engagiert zeigen und Sorgen nicht mit rhetorischen Gegenangriffen abtun."

Und schließlich, sagt NNI-Chef Roco, muss seine Initiative weiterhin die Nebenwirkungen der Nanotechnik erforschen und die Ergebnisse verbreiten. "Der beste Ansatz ist es, von Anfang an offen zu sein und so viel Information wie möglich anzubieten. Wer das nicht tut, erweckt den Eindruck, er verberge eine unbequeme Wahrheit."

Und dieser Eindruck ist womöglich das Einzige, das die Nanotechnik noch stoppen kann.

© Dieser Text ist im Original im internationalen Wissenschaftsmagazin Science erschienen, das von der AAAS herausgegeben wird. Weitere Informationen www. aaas.org und www.scienceonline.org. - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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