Die Linke in NRW:"Belogen, getäuscht, verleumdet"

Die Linken in NRW sind Hort der ganz Linken unter den Linken. Manche Parteistrategen in Berlin fürchten gar einen Erfolg dieser Chaos-Truppe.

Hans Leyendecker, Bochum

Ralf Michalowsky ist ein Linker reinsten Wassers: Friedensbewegung, "Grüner Halbmond", Türkischer Arbeiterverein, Falken, Jusos, SPD, Grüne. Überall war der 60-jährige Gladbecker dabei, manchmal auch mittenmang. Aber wer der Mann war, der bei ihm zu Hause lange Zeit als Statue auf dem Klavier stand, sagt er, habe er "wirklich nicht gewusst".

Linke; Linken fuer die Landtagswahl in NRW; Bärbel Beuermann; Wahlkampf, NRW; ddp

Im Hort der ganz Linken unter den Linken: Bärbel Beuermann, Spitzenkandidatin der Linken in NRW

(Foto: Foto: ddp)

Er habe "das Ding" in Weißrussland auf einem Trödelmarkt gekauft und gedacht, es handele sich "um einen russischen Musiker". Der Mann auf dem Klavier war der Blutsäufer Felix Dschersinski, der verhasste Gründer des KGB, und eigentlich kennt jeder echte Linke vom Jahrgang 1950 die markanten Gesichtszüge des "Eisernen Felix".

Ein Parteifreund hat eine eidesstattliche Versicherung darüber abgegeben, dass die Statue bei Michalowskys auf dem Klavier stand. Jetzt liegt sie im Keller. Ein großer Spaß, oder nur ein kleines Missverständnis? Seit 2007 ist Michalowsky Mitglied im NRW-Landesvorstand der Linken; er ist auch ihr Pressesprecher, und die Frage ist unter anderem, ob man Leuten trauen darf, die einen Massenmörder als Figur auf dem Klavier stehen hatten.

Hort der ganz Linken unter den Linken

Die Dschersinski-Anekdote sagt manches über das Schattenhafte und die Zerstrittenheit dieser Partei aus, die am 9. Mai zur Wahl im bevölkerungsreichsten Bundesland antritt. Der NRW-Landesverband, der nach eigenen Angaben etwa 8700 Mitglieder zählt, hat sich bundesweit zum Hort der ganz Linken unter den Linken entwickelt. Es gibt mindestens sechs Strömungen und noch viel mehr Gruppen und Zirkel. Selten sind sie sich einig. Sie ziehen immer an vielen Stricken und streiten sich.

"Wer hat uns verraten"

Im Landtagswahlkampf führen derzeit etwa 15 der 53 Kreisverbände mit eigenen Plakaten eine Gegenkampagne zum rot-rot-grünen Lagerwahlkampf der Führung der Partei. Auf ihren Plakaten steht: "Wer hat uns verraten - Sozialdemokraten" oder "Wer grün wählt, wird sich schwarz ärgern". Die Parteiführung kritisiert die Kampagne, unterbindet sie aber nicht: "Wir finden das nicht richtig", sagt Wolfgang Zimmermann, der Landessprecher der Partei. Aber die Parteiführung habe die Plakataktion nicht untersagt oder gar mit juristischen Mitteln bekämpft: "Wir verstehen uns als pluralistische Partei".

Bei Umfragen liegen die Linken derzeit bei sechs Prozent. Sicher ist der Einzug in den Landtag längst nicht. Bei der Europawahl kam die Partei 2009 in NRW auf 4,6 Prozent, bei den Kommunalwahlen lag sie bei 4,4 Prozent, aber bei den Bundestagswahlen schaffte sie landesweit 8,4 Prozent. Einige der Aktivisten der Partei wirken angesichts der vielen neuen Aufgaben überfordert und auch erschöpft.

Es gibt Strategen im Berliner Karl-Liebknecht-Haus, die sich vor einem Erfolg dieser Truppe fürchten. "Natürlich wollen wir regieren", sagt Zimmermann. Auf den vorderen sieben Plätzen der Landesliste rangieren, mit einer Ausnahme, strikte Befürworter einer Regierungsbeteiligung. Je weiter die Liste aber ziehen würde, desto mehr Gegner kämen ins Parlament.

Erbitterte Fehden

Nicht wenige der Parteimitglieder betrachten einander mit Argwohn, ja mit Hass und überschütten sich gegenseitig mit Verdächtigungen oder spionieren sich gegenseitig aus. Die Fraktionen tragen erbitterte Fehden aus. "Sollten wir uns irgendwo begegnen, mache einen großen Bogen um mich", warnte ein im Ruhrgebiet bekannter Linker ein linkes Ratsmitglied. "Du hast mich getäuscht, belogen", und, wer das versucht, "den mache ich alle". Ein linker Stadtrat aus Duisburg bezeichnete das Existenzrecht des Staates Israel als "läppisch".

Kreisverbände führen Phantom-Mitglieder, um auf dem Papier dicke zu tun. Die Zahl der Parteischiedsgerichtsverfahren wird auf mindestens hundert im Jahr geschätzt. Offizielle Zahlen gibt es nicht. In Köln haben in der vergangenen Woche 56 Mitglieder die Partei verlassen, "weil der persönliche Umgang untereinander katastrophal" sei. In Bottrop gab es erbitterte Auseinandersetzungen, und der Kreisverband wurde zeitweise aufgelöst. In Kleve haben ehemalige Mitglieder Strafanzeige gegen die beiden Landesvorsitzenden Katharina Schwabedissen und Wolfgang Zimmermann wegen Verleumdung gestellt. Das Ermittlungsverfahren läuft noch, wie die zuständige Staatsanwaltschaft mitteilte.

In Radevormwald hat die Fraktion der Linkspartei einen Ratsherrn ausgeschlossen, weil er wiederholt gegen seine Ehefrau handgreiflich geworden sein soll. In Aachen, Duisburg, Gelsenkirchen, Mülheim, Herne und im Rhein-Erft-Kreis kam es zu Spaltungen, Abspaltungen oder anderen größeren Scharmützeln. In Bad Salzuflen hat sich die komplette Ratsfraktion der Linkspartei vor wenigen Tagen in eine "bunte Liste" umbenannt. Bei einer neuen Partei gebe es "nun mal Probleme", sagt Zimmermann.

Michalowsky sitzt daneben und nickt. Kritische Journalisten lässt der Pressesprecher schriftlich "schon jetzt wissen", dass diese für den Fall des Einzugs seiner Partei in den Düsseldorfer Landtag "nicht zu den von uns bevorzugten Gesprächspartnern zählen würden". Später nimmt er das zurück.

Dschersinski hätte solche Fragen ganz anders gelöst.

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