Nach der Wahl in Großbritannien:Alle für einen

Im Gerangel um die Macht buhlen Labour und die Konservativen um die Gunst der Liberaldemokraten. Doch die Situation für Premier Gordon Brown ist kritisch - auch in der eigenen Partei wird sein Rücktritt gefordert.

Im Verhandlungspoker um Großbritanniens künftige Regierung halten sich die Liberaldemokraten als mögliche Königsmacher alle Optionen offen.

Gordon Brown, AP

Noch ist er im Amt, doch jetzt sieht sich Gordon harscher Kritik aus den eigenen Reihen ausgesetzt.

(Foto: Foto: AP)

Trotz "guter Gespräche" mit den Konservativen habe sich Parteichef Nick Clegg am Sonntagnachmittag auch mit Premierminister Gordon Brown von der Labour-Partei getroffen, teilte ein Mitarbeiter Cleggs mit. Das Gespräch sei freundschaftlich verlaufen.

Die beiden Parteichefs hätten sich im Londoner Außenministerium getroffen, während gleichzeitig in einem nahe gelegenen Regierungsgebäude die Unterhändler von Konservativen und Liberal-Demokraten über eine Regierungsbildung beraten hätten. Der Partei-Chef der Konservativen, David Cameron, sei über das Treffen informiert worden.

Alle Augen waren auf den Chef der Liberaldemokraten, Nick Clegg, gerichtet. Der war am Samstag mit Abgeordneten seiner Partei zusammengekommen, um über ein Bündnis mit den konservativen Tories von Parteichef David Cameron zu beraten.

Kommt dies zustande, sind die Tage von Premierminister Gordon Brown gezählt. Die Verhandlungen ziehen sich jedoch vermutlich noch länger hin. Cameron wollte erst am Montagabend mit seinen Abgeordneten zusammentreffen, um die Lage zu beraten.

Die Konservativen waren bei der Parlamentswahl am Donnerstag zwar stärkste Partei geworden, hatten aber die absolute Mehrheit verfehlt. Browns Labour-Partei wurde abgestraft und musste herbe Verluste hinnehmen. Jedoch buhlt auch Browns Partei um die Liberaldemokraten, um in einer Koalition weiter an der Macht zu bleiben. Die Konservativen haben Brown zum Rücktritt aufgefordert.

Derweil sieht sich Gordon Brown nun auch der Kritik aus den eigenen Reihen ausgesetzt: Der wiedergewählte Labour-Abgeordnete John Mann forderte den Premier zum Rücktritt auf: Die Labour-Partei könne nach der Parlamentswahl nur Einfluss auf die Regierungsbildung nehmen, wenn Brown zurücktrete, so Mann. Brown habe Labour Stimmen von Wählern gekostet, die mit dem Parteiprogramm leben können, aber Brown als Führungsfigur ablehnen.

Erpicht auf eine schnelle Lösung

Im Vordergrund der Verhandlungen steht die Reform des Wahlsystems, das bisher kleine Parteien wie die Liberalen benachteiligt. Clegg hielt sich am Samstag alle Optionen offen und deutete längere Sondierungen an. Seine Priorität sei eine "grundlegende politische Reform". Er würde jedoch in den "kommenden Stunden und Tagen konstruktiv" vorgehen. Zwar sind die Tories auf eine schnelle Lösung erpicht - auch weil die Finanzmärkte am Montag sensibel auf die unsichere Lage reagieren könnten. Aus Parteikreisen hieß es jedoch, es werde "wahrscheinlich" kein Ergebnis vor Montag geben.

Gespräche zwischen führenden Mitgliedern der "Lib Dems" - Großbritanniens drittgrößter Partei - und der Tories am Freitagabend sowie ein Telefonat zwischen Clegg und Cameron hatten keinen Durchbruch gebracht. Ein neues Treffen zwischen Spitzen der Liberalen und der Tories soll es am Sonntag geben. Um mögliche Ministerposten für die Liberal Democrats sei es bei den Sondierungsgesprächen noch nicht gegangen, hieß es.

Bis eine neue Regierung gebildet ist, bleibt Brown im Amt. Spekulationen gab es darüber, dass Clegg mit Brown nicht zusammenarbeiten wolle und den Kopf des Premiers fordern könnte. Schon seit Tagen diskutieren die Medien über mögliche Nachfolger für Brown. Labour hatte bei der Wahl das zweitschlechteste Ergebnis in der Nachkriegsgeschichte eingefahren.

Sowohl Cameron als auch Brown hatten den Liberalen eine Wahlreform in Aussicht gestellt. Die Tories gingen jedoch nicht so weit wie Labour und schlugen nur einen parteiübergreifenden Ausschuss vor. Clegg könnte das zu wenig sein. Die Liberaldemokraten wollen ein Wahlsystem, das die tatsächliche Stimmenanteile besser abbildet als das bisher geltende Mehrheitswahlrecht. Derzeit kommt nur ein Abgeordneter pro Wahlkreis ins Parlament. Die Stimmen für seine Konkurrenten - auch wenn sie ihm nur knapp unterlegen sind - verfallen.

Die Tories kämen zusammen mit den Liberalen auf 363 von insgesamt 650 Sitzen im Unterhaus, Labour mit den Liberalen auf 315. Das wäre immer noch nicht die Mehrheit. Labour müsste also noch andere kleinere Parteien ins Boot holen. Cameron hatte am Freitag angedeutet, auch er könne sich eine Konstellationen vorstellen, in der die Tories als Minderheitsregierung von regionalen Parteien aus Schottland, Nordirland und Wales geduldet würden.

Während um die Konsequnzen aus dem Wahlergebnis noch gepokert wird, wurde erleichtert die Nachricht aufgenommen, dass die rechtsradikale British National Party (BNP) entgegen ersten Befürchtungen keine Sitze im Unterhaus gewonnen haben. Die BNP verbesserte bei der Wahl zwar ihr landesweites Ergebnis von 0,7 auf 1,9 Prozent, konnte jedoch kein Direktmandat erringen.

Und noch jemand hat den Einzug ins britische Parlament verpasst: Der Schlagzeuger der Britpop-Band Blur, Dave Rowntree, der für Labour Partei angetreten war, musste sich im Wahlkreis Cities of London and Westminster seinem Gegner Mark Field von den Konservativen geschlagen geben.

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