Sitzblockade in Berlin:Polizisten fordern Thierses Rücktritt

Für seine Sitzblockade bei einer Neonazi-Demo muss Wolfgang Thierse Kritik einstecken. Die FDP nennt ihn "öffentlichkeitsgeil", die Polizeigewerkschaft verlangt den Rücktritt.

Am Samstag noch bejubelten Demonstranten Wolfgang Thierse (SPD) bei seiner Sitzblockade, jetzt gibt es Kritik. Die Deutsche Polizeigewerkschaft im Beamtenbund forderte am Montag den Rücktritt des Bundestagsvizepräsidenten. Thierse hatte am 1. Mai mit der Aktion gegen eine Neonazi-Demonstration in Berlin-Prenzlauer Berg protestiert.

Sitzblockade in Berlin: Am 1. Mai protestierte der SPD-Politiker Wolfgang Thierse mit einer Sitzblockade gegen eine Neonazi-Demonstration im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg.

Am 1. Mai protestierte der SPD-Politiker Wolfgang Thierse mit einer Sitzblockade gegen eine Neonazi-Demonstration im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg.

(Foto: Foto: ddp)

Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft, Rainer Wendt, sagte: "Herr Thierse hat Einsatzkräfte der Polizei behindert." Das sei Nötigung. "Aber viel schlimmer ist, dass jemand, der ein so hohes Staatsamt bekleidet, öffentlich Rechtsbruch zelebriert", sagte Wendt dem Nachrichtensender N24. "Er sollte seinen Hut nehmen."

Etwa 700 NPD-Anhänger wollten am Samstag quer durch Thierses Berliner Wahlkreis ziehen. Angesichts von 6000 Gegendemonstranten und wiederholten Sitzblockaden mussten die Rechtsextremen aber nach einigen hundert Metern umkehren. Unter dem Applaus der Demonstranten hinter den Polizeiabsperrungen hatte auch Thierse mit weiteren Berliner Politikern den Zug kurzzeitig blockiert.

Nach einer ähnlichen Blockade im Februar in Dresden hatte die dortige Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen mehrere Linken-Landespolitiker aufgenommen.

Ähnlich wie Wendt äußerte sich am Montag der Berliner FDP- Innenpolitiker Björn Jotzo. Er sprach von einer unerträglichen und rechtswidrigen "PR-Sitzblockade" Thierses. "Es ist völlig inakzeptabel, wenn Mitglieder von Verfassungsinstitutionen mit Hilfe ihrer Abgeordnetenprivilegien Polizeisperren überwinden und dann anschließend in unverantwortlicher Weise und offensichtlich rechtswidrig die Grundrechte anderer Bürger missachten und die Arbeit der Polizei erschweren." Thierse habe aus "reiner Öffentlichkeitsgeilheit" eine Verschärfung der Lage in Kauf genommen.

Kritik auch aus den eigenen Reihen

Der CDU-Abgeordnete Andreas Gram kritisierte Thierses Aktion als inakzeptabel. Er bewege sich am Rande eines Rechtsbruchs.

Auch von seiner eigenen Partei wird Thierse heftig kritisiert. Im Berliner Innenausschuss sagte der verfassungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Tom Schreiber: "Es kann nicht sein, dass Politiker, die Vorbildfunktion haben, offensichtlichen Rechtsbruch begehen." Er fügte hinzu: "Es darf auch nicht sein, dass man seine Immunität schamlos ausnutzt. Ich kann nur mit dem Kopf schütteln."

Die SPD-Abgeordnete Anja Hertel sagte: "Ich habe ein Problem mit Demokraten, die meinen, sich über das Gesetz stellen zu können. Das darf nicht sein." Es sei auch nicht besonders mutig, mit seinem Abgeordnetenausweis durch die Polizeisperren zu gehen, sich dann unter Polizeischutz auf die Straße zu setzen, um schließlich umgehend Interviews zu geben.

Staatsanwaltschaft prüft den Vorfall

Wolfgang Thierse hat unterdessen seine Sitzblockade gegen einen Neonazi-Aufmarsch in Berlin verteidigt. "Unser Protest war friedlich, fröhlich und gewaltfrei", schrieb der SPD-Politiker am Montag auf seiner Website.

Nach mehrfacher Aufforderung und einem Gespräch mit einem Einsatzleiter der Polizei habe er mit dessen Hilfe widerstandslos die Fahrbahn verlassen. "Denn unser Protest richtete sich nicht gegen die Polizei, sondern gegen die Nazis." Die Beamten hätten ihre polizeiliche Pflicht und die Demonstranten ihre staatsbürgerliche Pflicht erfüllt.

Die Sitzblockade wird aber möglicherweise ein juristisches Nachspiel für Thierse haben. Die Berliner Staatsanwaltschaft prüft, ob es einen Anfangsverdacht auf eine Straftat gibt, wie ein Sprecher der Behörde am Montag der Berliner Morgenpost sagte.

Von den Ermittlungen betroffen sind demnach auch der Grünen-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wieland und der Bezirksbürgermeister von Berlin-Pankow, Matthias Köhne (SPD), die sich ebenfalls an der Sitzblockade beteiligt hatten. Thierse hatte am Samstag in Berlin Blockaden unterstützt, mit denen Tausende Gegendemonstranten einen Aufzug der rechtsextremen NPD weitgehend verhinderten.

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