Nach der Wahl in Großbritannien:Unflotter Dreier

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Die Alleinherrschaft der Labour-Partei hat ein Ende - wer künftig regieren wird, ist noch offen. Klar ist nur: Tory-Chef Cameron greift als Erster nach dem Amt des Premierministers.

Wolfgang Koydl, London

Der vernünftigste Vorschlag kam von David Steel, dem im Alter weise gewordenen früheren Vorsitzenden der Liberalen Partei: Alle Beteiligten an dem Nachwahlpoker, so riet er, sollten sich zuerst einmal ins Bett legen und ausschlafen. "Morgen können sie dann anfangen, miteinander zu reden." Natürlich hielt sich keiner an den klugen Rat.

David Cameron und die Tories konnten die meisten Wahlkreise gewinnen. (Foto: Foto: Reuters)

Premierminister Gordon Brown, Tory-Chef David Cameron und Nick Clegg, der Führer der Liberaldemokraten, eilten nach einer durchwachten Nacht am frühen Morgen aus ihren Wahlkreisen zurück in die Hauptstadt. Unterwegs in Zug, Auto oder Flugzeug hatten sie genügend Zeit, sich zu überlegen, was der Wähler wohl mit seinem undurchsichtigen Votum gemeint haben könnte.

Die Unsicherheit ist sicher

Sicher war nur, dass die Zeiten, in denen Konservative und Sozialdemokraten einander mit der Regelmäßigkeit eines Gezeitenwechsels an der Macht ablösten, fürs Erste vorbei zu sein scheint. Die Briten lieferten ein Wahlergebnis ab, das Boris Johnson, der konservative Bürgermeister von London, mit einem Metallbaukasten verglich: "Wir müssen jetzt eben etwas daraus zusammenbauen."

Dass dies den britischen Politikern schwerzufallen scheint, dürfte ihre Kollegen auf dem europäischen Festland amüsieren. Denn in Deutschland, Italien, Belgien oder den Niederlanden wäre das britische Ergebnis der Normal- und nicht der Ausnahmefall. Eine Partei gewinnt, aber nicht drastisch, eine andere verliert, aber nicht katastrophal, und dazwischen schiebt sich ein Königsmacher, der zwar auch kein strahlender Sieger ist, der aber letztendlich den Sieger krönen kann.

In den mittlerweile immer stärker aufgesplitterten europäischen Parlamenten mit einer Vielzahl an Parteien und Koalitionsvarianten würde ein Resultat mit lediglich zwei Koalitionsmöglichkeiten von drei Parteien geradezu mit Nostalgie betrachtet. Im Bundestag müsste man dazu bis in jene Zeiten vor dem Auftreten der Grünen und der Linken zurückgehen. In Westminster stellt sich im Grunde genommen nur die Frage, ob die Liberalen mit den Konservativen zusammengehen oder mit Labour. Und wenn man sich die reine Arithmetik ansieht, bleibt wohl nur die Möglichkeit eines blau-gelben Bündnisses von Cameron und Clegg.

Schwierige Mehrheit

Denn Labour und Liberale würden selbst dann keine Mehrheit zusammenkratzen können, wenn die neu gewählte Grüne Caroline Lucas und der eine oder andere Unabhängige dazustoßen würden. Staatstragend und verantwortungsvoll - schließlich blicken ihnen die zappeligen Finanzmärkte über die Schulter - beschworen die Spitzenpolitiker aller Parteien denn auch eine stabile und starke Regierung im nationalen Interesse.

Politik freilich ist keine einfache Addition, sondern eine Gleichung mit zahlreichen Unbekannten. Zu denen gehört die jeweilige Parteibasis, und hier droht sowohl Cameron als auch Clegg potentiell Ungemach. Denn derweil der Liberalen-Chef für eine Zusammenarbeit mit den Konservativen aufgeschlossen ist, müsste sich die Mehrheit der Parteimitglieder dazu schon sehr überwinden. In der Tory-Fraktion wiederum regte sich am Tag nach der Wahl vernehmlich Unmut angesichts von Spekulationen, wonach Cameron den Liberalen bei deren wichtigster Forderung nach einer Reform des Wahlrechts entgegenkommen wolle.

Das Werben um die Liberalen hatte fünf Minuten nach Schließung der Wahllokale begonnen, als schon die erste Prognose ziemlich genau das endgültige Wahlergebnis voraussagte. Lord Peter Mandelson, der einflussreichste Strippenzieher der Labour Party, winkte mit einem geradezu überdimensionalen Zaunpfahl den LibDems zu, als er kühl konstatierte: "Das Mehrheitswahlrecht pfeift auf dem letzten Loch."

Das Werben hat begonnen

Im Laufe der Nacht umgarnten auch weitere Labour-Politiker den potentiellen kleinen Partner, derweil ein Wahlkreis nach dem anderen an die Konservativen verlorenging. Nick Clegg freilich enttäuschte zunächst das Liebeswerben der Sozialdemokraten. Die Partei mit den meisten Stimmen und den meisten Sitzen, so bekräftigte er eine Aussage, die er schon vor dem Wahltag getroffen hatte, habe das Recht, als Erste eine Regierungsbildung zu versuchen - entweder allein oder mit anderen. Das aber sind die Tories.

Wer am Freitag mit wem gegebenenfalls sprechen würde, war ohnehin unklar. Cameron und Clegg hatten sich in ihren Parteizentralen verschanzt. Allfällige Kontakte konnte es nur per Telefon gegeben haben. Am Tag danach verstummte vorläufig das Werben der Sozialdemokraten. Wortlos verschwand Premierminister Gordon Brown hinter der schwarz polierten Tür von Nummer zehn Downing Street.

Er habe sich zu einem Nickerchen hingelegt, um Kraft zu tanken, hieß es. Zuvor hatte auch er versichert, er werde alles tun, damit das Land eine stabile Regierung erhalte. Nach seinem Kurzschlaf erklärte Brown vor der schwarz polierten Tür von Nummer zehn Downing Street, er lasse dem Tory-Chef Cameron den Vortritt für Koalitionsgespräche - stehe aber auch selbst für Gespräche mit den Liberaldemokraten bereit. Alles bleibt offen.

Dass es wohl noch ein wenig dauern würde, bevor das Land einen neuen Premierminister erhält, ließ sich übrigens durch einen Blick in den Terminkalender der Queen ablesen. Königin Elisabeth erteilt einem Politiker den Auftrag zur Regierungsbildung bei einer Audienz im Buckingham-Palast. Doch die alte Dame hielt sich in Schloss Windsor vor den Toren von London auf. Vorerst, so verlautete aus Palastkreisen, plane sie keine Rückkehr in ihr Stadtschloss.

© SZ vom 8.5.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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