Venedig-Biennale:Mit vollem Körpereinsatz

Christoph Schlingensief soll den deutschen Pavillon auf der Venedig-Biennale 2011 gestalten - für Gerhard Richter ein Skandal. Warum dieser verbale Frontalangriff?

Kia Vahland

Nichts adelt so sehr wie ein Skandal - das haben Popstars, kleine und große Prominente von der Bildenden Kunst gelernt. Seit den Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts ist der moderne Künstler erst einer, wenn er es wenigstens zu einem Skandälchen bringt und mindestens Bischof und Lokalzeitung gegen seine Arbeit aufbringt. Insofern müsste sich der Theatermann und Allrounder Christoph Schlingensief geschmeichelt fühlen. Seine Berufung für den Deutschen Pavillon auf der Venedig-Biennale 2011 gilt schon jetzt, bevor überhaupt irgendetwas Handfestes über seine Pläne bekannt geworden ist, als "Skandal".

Helmut-Käutner-Preis für Christoph Schlingensief

Christoph Schlingensief  im März 2010 in Düsseldorf.

(Foto: ag.dpa)

Leider ist derjenige, der das sagt, der wohl einflussreichste lebende deutsche Künstler: Gerhard Richter. "Die nehmen einen Performer, dabei haben wir Tausende Künstler", schimpfte der Maler während eines Besuchs seiner neuen Räume im Dresdner Albertinum. Dieser Ausbruch fällt schon deshalb auf, weil der 78-Jährige sich nur ungern und selten zum Kunstbetrieb äußert. Und wenn einer erhaben ist über den Verdacht, Reviergrenzen markieren zu müssen, dann ist es Gerhard Richter. Es scheint denn auch nicht wirklich um die Malerei zu gehen, von der Richter meint, sie sei "in der Dauerkrise seit Picasso". Dass dem längst nicht mehr so ist, zeigt schon sein eigenes Lebenswerk. Worauf also zielt dieser verbale Frontalangriff?

Filzhutmann mit Mission

Er zielt auf die Sorge, die Kunst verliere ihren kontemplativen Charakter zugunsten eines bühnenartigen Spektakels, das Zwiegespräch mit dem Einzelwerk gehe unter im Geraune der Massen, die der Aufmerksamkeitsökonomie des Eventtourismus folgen. Und tatsächlich wird man etwa die vergangene Biennale als großartige Ausstellung in Erinnerung behalten, auch wenn sich nur wenige Namen wie Nathalie Djurberg, Lygia Pape oder Pascale Marthine Tayou eingeprägt haben. Nicht in Sicht ist ein neuer Joseph Beuys mit seinen manchmal kruden politischen Thesen, aber seinem schichtenübergreifendem Erfolg als jedermann bekannter Filzhutmann mit Mission - welcher auch immer.

Oder kommt nun diese Rolle Schlingensief zu - dem politisch engagierten Künstler, der für die Sache seine gesamte Persönlichkeit ins Spiel bringt und aufs Spiel setzt? Das scheint der Plan der Kuratorin Susanne Gaensheimer zu sein: Sie schickt einen Akteur los, der, auch wenn er jetzt noch abwiegelt, sich mit Haut und Haar gegen den 1938 eingeweihten deutschen Pavillon stemmen wird, weil er gewohnt ist, zwischen Biografie, Körpergefühl und künstlerischem Werk nicht zu trennen.

Ansehnlicher Wandschmuck

Es ist keine dankbare Aufgabe, den deutschen Pavillon bespielen zu müssen. Die Kandidaten der vergangenen Jahre, Isa Genzken und Liam Gillick, sind kläglich gescheitert mit ihren Versuchen, die Naziarchitektur mit subtilem Humor zu unterlaufen. Selbst der allseits gerühmte Hans Haacke kapitulierte 1993 vor der Evidenz faschistischen Bauens. Wer seinen deutschen Pavillon betrat, musste Schritt um Schritt die locker liegenden Steinplatten zertreten, während der Schriftzug "Germania" und ein Hitlerbild unverwüstlich an der Wand prangten. Haacke zwang also die Besucher, sich auf symbolischem deutschem Terrain selbst den Boden unter den Füßen wegzuziehen, während das Erbe der Naziherrschaft als ewig währender, aber recht ansehnlicher Wandschmuck hinzunehmen war.

Die Last dieses Erbes körperlich spürbar werden ließ nur Gregor Schneider, der seine Gäste 2001 durch die Abgründe eines deutschen Wohnhauses der Nachkriegszeit robben ließ. Was aber könnte Malerei, womöglich noch in sammlerfreundlichen Kleinformaten, ausrichten, hinge sie in so schwer kontaminierter Umgebung? Was bliebe von ihrer Ästhetik, ihren Botschaften? Bevor das Auge andere Reize aufnehmen kann, ist der Besucher immer erst einmal der Architektur ausgesetzt. Das Fenster in die Welt, das das Tafelbild seit der Renaissance mal mehr, mal weniger zu sein verspricht, ist ohne adäquate Wände, Böden und Decken nicht denkbar.

Die Architektur von 1938 bleibt das eigentliche Skandalon. Vielleicht schafft es nur ein kluger Performer wie Schlingensief, der mit Leib und Seele einschreitet, dem Vergangenem Gegenwart entgegenzusetzen.

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