Angriff auf Gaza-Hilfsflotte:Blockierter Frieden

Israel steht blamiert und blutbefleckt vor der Welt. Nach dem Desaster auf hoher See muss sich die Weltgemeinschaft fragen, wie sie sich künftig zur israelischen Gaza-Blockadepolitik verhalten will.

T. Avenarius

Israels Politiker sind nicht zu beneiden. Sie müssen die katastrophale Militäraktion gegen die "Free Gaza"-Schiffe verteidigen. Der Einsatz von Elitesoldaten gegen die selbsternannten Friedensfreunde aus aller Welt war von vorne herein das falsche Mittel. Mit neun toten Gaza-Aktivisten steht Benjamin Netanjahus Regierung nun blamiert und blutbefleckt vor der Welt da, auch vor den besten Freunden Israels. Nach dem Desaster auf hoher See muss sich die Weltgemeinschaft aber auch fragen, wie sie sich künftig zur israelischen Gaza-Blockadepolitik verhalten will.

Israel greift Gaza-Hilfsflotte an - Netanjahu besucht Soldaten

Israels Premier Benjamin Netanjahu besuchte am Dienstag demonstrativ verwundete Soldaten.

(Foto: dpa)

Israel hat den Gaza-Streifen vor vier Jahren abgeriegelt, ohne internationale Legitimation für diese Aktion. Zuerst wollte die Jerusalemer Regierung erzwingen, dass der seit 2006 von der Hamas gefangen gehaltene Soldat Gilad Schalit freikommt. Später begründete Israel die Sperre mit der Herrschaft der Hamas, die eine Terrorgruppe sei. Völkerrechtlich ist jedoch nicht zu rechtfertigen, dass 1, 5 Millionen Menschen für ein Verbrechen Einzelner haftbar gemacht werden. Zudem bestraft die Blockade ein Volk dafür, dass es eine unliebsame Regierung an die Macht gebracht hat. Tatsache ist auch: Schalit sitzt weiterhin angekettet in einem Kellerloch, und die Hamas regiert noch immer. Das alles zusammen genommen ist eine Bankrotterklärung für die Blockadepolitik.

Die Frage ist dabei nicht, wie viele Tonnen Hilfsgüter im Monat die Israelis eben doch passieren lassen. Die Grenzer geben immer wieder Lebensmittel, Medikamente und Baumaterial frei. Sie tun es aber willkürlich. So verleihen sie jedem Nein an der Grenze die Gestalt einer zusätzlichen Strafmaßnahme. Allein die Vereinten Nationen garantieren eine Minimalversorgung der Menschen, unter größten Schwierigkeiten. Und durch die Schmugglertunnel an der ägyptischen Grenze kommen Lebensmittel, Medikamente und Konsumgüter nach Gaza, was Israel zulässt. Aber entscheidend ist allein: Mit welchem Recht verweigert Israel 1,5 Millionen Gaza-Palästinensern eine Zukunft?

Die Sperre der Grenzübergänge hat die Wirtschaft des früher wohlhabenden Palästinensergebiets ruiniert. Vorbei die Zeiten, als Tulpen, Erdbeeren und Gurken aus Gaza auf den Märkten Israels und Europas verkauft wurden. Agrarprodukte kommen nicht mehr aus dem abgeriegelten Land, verfaulen an den Verladestellen. Die winzige Industrie liegt am Boden, Rohstoffe und Material können nicht importiert werden. Inzwischen kann in Gaza und Rafah nicht einmal mehr genug für den heimischen Markt produziert werden. Die Arbeitslosigkeit beträgt rund 50 Prozent, zwei Drittel der Menschen leben an der Armutsgrenze, ebenso viele sind auf die Versorgung durch die Vereinten Nationen angewiesen - diese Zahlen sprechen für sich. Das einst hohe palästinensische Bildungsniveau ist längst nicht mehr haltbar, weil es nicht mehr genug Schulen gibt.

Die Fortsetzung des Krieges mit ökonomischen Mitteln hat noch andere negative Folgen. Die Bevölkerung radikalisiert sich. Sie folgt islamistischen Rattenfängern. Die Hamas ist nicht mehr die gefährlichste Organisation im Gaza-Streifen. Al-Qaida-nahe Gruppen gewinnen zunehmend an Boden. Im Gegensatz zu den Islamo-Nationalisten der Hamas sind solche Kräfte grundsätzlich nicht gesprächsfähig.

Zyniker unterstellen, dass Israel genau dies will. Denn solange Militante die Meinungsführerschaft bei den Palästinensern haben, muss Jerusalem nicht ernsthaft über einen Frieden verhandeln. Aber das kann kaum eine Antwort sein. Die Palästinafrage blockiert seit 60 Jahren die friedliche Entwicklung im Nahen Osten. Es wäre an der Zeit, dass sich Palästinenser und Israelis mit ernsthaftem Verhandlungswillen an den Tisch setzen. Vorher müssen Hindernisse aus dem Weg geräumt werden. Die Gaza-Blockade ist eines davon.

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